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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

deshalb je einander völlig zu gleichen. Es war also an der Arbeit dieser
Künstler doch auch manches Eigene, das ihre Begabung lebendig erhielt und sie
davor bewahrte, zu bloßen Handlangern herabzusinken. Dies befähigte sie auch,
selbständig zu erfinden, wenn es nötig war. Sie thaten es selten, da sie ge¬
zwungen waren, schnell zu arbeiten, und es förderlicher fanden, ihre Stoffe
andern zu entlehnen als sich mit eignen Erfindungen abzumühen. Gleichwohl
sahen wir, daß sie sich bisweilen von Vorgängen, deren Zeugen sie waren, an¬
regen ließen und Genrebilder von unübertrefflicher Wahrheit zu Stande brachten.
Ob sie aber erfinden oder nachahmen sie machen alles mit einer Leichtigkeit,
einer Anmut, einer Schnelligkeit der Ausführung, einer Sicherheit der Hand,
die wir nur bewundern können. Und unsre Bewunderung verdoppelt sich, wenn
wir uns erinnern, daß sie für die Bürger einer kleinen Stadt arbeiteten, wenn
wir namentlich bedenken, daß dieselbe Geschmacksrichtung wie in Pompeji doch
jedenfalls auch in der ganzen übrigen römischen Welt vertreten war, und daß
es also überall Künstler von ähnlicher Begabung für ähnliche Werke gegeben
haben muß. Und dies ist ein erstaunliches und überraschendes Ergebnis. Die
Geschichtschreiber sagen uns, geniale Maler habe es damals nicht mehr gegeben;
talentvolle dagegen -- das zeigen die Wandgemälde von Pompeji -- waren
zu jeuer Zeit so zahlreich wie kaum je zuvor. Wir rühmen uns heute gern
des Strebens, das unsre Zeit beseelt, ein gewisses Maß äußeren Behagens einer
möglichst großen Zahl von Menschen zugänglich zu machen und breite Schichten
der Bevölkerung materiell zu heben; es ist dies eine große Wohlthat. Im
ersten Jahrhundert hatte man etwas ähnliches auf dem Gebiete der bildenden
Künste geleistet. Dank den bequemen Methoden, welche eine umfassende Ver¬
breitung ihrer Meisterwerke ermöglichten, hatten sie aufgehört, der ausschließliche
Besitz einzelner zu sein und waren zu einer Quelle des Genusses geworden für
alle Welt.




Drei Antworten.
^. An Herrn Classen in Hamburg.

n Nummer 17 der Grenzboten beschuldigt mich Herr Classen
in Hamburg, meine Preisschrift "Die Lehre Kants von der
Idealität des Raumes und der Zeit im Zusammenhange seiner
Kritik des Erkennens, Berlin 1883" aus dem Buche des Herrn
Krause "Populäre Darstellung von Kants Kritik der reinen
Vernunft, Lahr 1881" "abgeschrieben" zu haben. Diese Behauptung ist durch-


Drei Antworten.

deshalb je einander völlig zu gleichen. Es war also an der Arbeit dieser
Künstler doch auch manches Eigene, das ihre Begabung lebendig erhielt und sie
davor bewahrte, zu bloßen Handlangern herabzusinken. Dies befähigte sie auch,
selbständig zu erfinden, wenn es nötig war. Sie thaten es selten, da sie ge¬
zwungen waren, schnell zu arbeiten, und es förderlicher fanden, ihre Stoffe
andern zu entlehnen als sich mit eignen Erfindungen abzumühen. Gleichwohl
sahen wir, daß sie sich bisweilen von Vorgängen, deren Zeugen sie waren, an¬
regen ließen und Genrebilder von unübertrefflicher Wahrheit zu Stande brachten.
Ob sie aber erfinden oder nachahmen sie machen alles mit einer Leichtigkeit,
einer Anmut, einer Schnelligkeit der Ausführung, einer Sicherheit der Hand,
die wir nur bewundern können. Und unsre Bewunderung verdoppelt sich, wenn
wir uns erinnern, daß sie für die Bürger einer kleinen Stadt arbeiteten, wenn
wir namentlich bedenken, daß dieselbe Geschmacksrichtung wie in Pompeji doch
jedenfalls auch in der ganzen übrigen römischen Welt vertreten war, und daß
es also überall Künstler von ähnlicher Begabung für ähnliche Werke gegeben
haben muß. Und dies ist ein erstaunliches und überraschendes Ergebnis. Die
Geschichtschreiber sagen uns, geniale Maler habe es damals nicht mehr gegeben;
talentvolle dagegen — das zeigen die Wandgemälde von Pompeji — waren
zu jeuer Zeit so zahlreich wie kaum je zuvor. Wir rühmen uns heute gern
des Strebens, das unsre Zeit beseelt, ein gewisses Maß äußeren Behagens einer
möglichst großen Zahl von Menschen zugänglich zu machen und breite Schichten
der Bevölkerung materiell zu heben; es ist dies eine große Wohlthat. Im
ersten Jahrhundert hatte man etwas ähnliches auf dem Gebiete der bildenden
Künste geleistet. Dank den bequemen Methoden, welche eine umfassende Ver¬
breitung ihrer Meisterwerke ermöglichten, hatten sie aufgehört, der ausschließliche
Besitz einzelner zu sein und waren zu einer Quelle des Genusses geworden für
alle Welt.




Drei Antworten.
^. An Herrn Classen in Hamburg.

n Nummer 17 der Grenzboten beschuldigt mich Herr Classen
in Hamburg, meine Preisschrift „Die Lehre Kants von der
Idealität des Raumes und der Zeit im Zusammenhange seiner
Kritik des Erkennens, Berlin 1883" aus dem Buche des Herrn
Krause „Populäre Darstellung von Kants Kritik der reinen
Vernunft, Lahr 1881" „abgeschrieben" zu haben. Diese Behauptung ist durch-


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[0351] Drei Antworten. deshalb je einander völlig zu gleichen. Es war also an der Arbeit dieser Künstler doch auch manches Eigene, das ihre Begabung lebendig erhielt und sie davor bewahrte, zu bloßen Handlangern herabzusinken. Dies befähigte sie auch, selbständig zu erfinden, wenn es nötig war. Sie thaten es selten, da sie ge¬ zwungen waren, schnell zu arbeiten, und es förderlicher fanden, ihre Stoffe andern zu entlehnen als sich mit eignen Erfindungen abzumühen. Gleichwohl sahen wir, daß sie sich bisweilen von Vorgängen, deren Zeugen sie waren, an¬ regen ließen und Genrebilder von unübertrefflicher Wahrheit zu Stande brachten. Ob sie aber erfinden oder nachahmen sie machen alles mit einer Leichtigkeit, einer Anmut, einer Schnelligkeit der Ausführung, einer Sicherheit der Hand, die wir nur bewundern können. Und unsre Bewunderung verdoppelt sich, wenn wir uns erinnern, daß sie für die Bürger einer kleinen Stadt arbeiteten, wenn wir namentlich bedenken, daß dieselbe Geschmacksrichtung wie in Pompeji doch jedenfalls auch in der ganzen übrigen römischen Welt vertreten war, und daß es also überall Künstler von ähnlicher Begabung für ähnliche Werke gegeben haben muß. Und dies ist ein erstaunliches und überraschendes Ergebnis. Die Geschichtschreiber sagen uns, geniale Maler habe es damals nicht mehr gegeben; talentvolle dagegen — das zeigen die Wandgemälde von Pompeji — waren zu jeuer Zeit so zahlreich wie kaum je zuvor. Wir rühmen uns heute gern des Strebens, das unsre Zeit beseelt, ein gewisses Maß äußeren Behagens einer möglichst großen Zahl von Menschen zugänglich zu machen und breite Schichten der Bevölkerung materiell zu heben; es ist dies eine große Wohlthat. Im ersten Jahrhundert hatte man etwas ähnliches auf dem Gebiete der bildenden Künste geleistet. Dank den bequemen Methoden, welche eine umfassende Ver¬ breitung ihrer Meisterwerke ermöglichten, hatten sie aufgehört, der ausschließliche Besitz einzelner zu sein und waren zu einer Quelle des Genusses geworden für alle Welt. Drei Antworten. ^. An Herrn Classen in Hamburg. n Nummer 17 der Grenzboten beschuldigt mich Herr Classen in Hamburg, meine Preisschrift „Die Lehre Kants von der Idealität des Raumes und der Zeit im Zusammenhange seiner Kritik des Erkennens, Berlin 1883" aus dem Buche des Herrn Krause „Populäre Darstellung von Kants Kritik der reinen Vernunft, Lahr 1881" „abgeschrieben" zu haben. Diese Behauptung ist durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/351>, abgerufen am 29.06.2024.