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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Österreichisches.

Weinlig zählt nicht zu den besonders hervortretenden Thomaskantoren Leip¬
zigs. Er soll ein stilles, zurückgezogenes, ganz seinem Amte und Berufe ge¬
widmetes Leben geführt haben. Daß er aber ein ausgezeichneter Lehrer ge¬
wesen, daran sind wir gerade in den letzten Tagen und Wochen vielfach erinnert
worden: ein Schüler von ihm war -- Richard Wagner, der in der auto¬
biographischen Skizze, die er 1843 in der "Zeitung für die elegante Welt" ver¬
öffentlichte, ihm folgendes ehrenvolle Denkmal gesetzt hat: "Ich fühlte die
Notwendigkeit eines nen zu beginnenden, streng geregelten Studiums der Musik,
und die Vorsehung ließ mich den rechten Mann finden, der mir neue Liebe
zur Sache einflößen und sie durch den gründlichsten Unterricht läutern sollte.
Dieser Mann war Theodor Weinlig. Nachdem ich mich wohl schon zuvor
in der Fuge versucht hatte, begann ich jedoch erst bei ihm das gründliche Stu¬
dium des Kontrapunktes, welches er die glückliche Eigenschaft besaß den Schüler
spielend erlernen zu lassen.... Mein Studium bei Weinlig war in weniger
als einem halben Jahre beendet: er selbst entließ mich aus der Lehre, nachdem
er mich soweit gebracht, daß ich die schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes
mit Leichtigkeit zu lösen imstande war." Der Wagner, der dies vor vierzig
Jahren schrieb, war freilich ein andrer, als der, der jetzt aus der Welt ge¬
gangen.




Österreichisches.

is die Grenzboten vor einigen Monaten die vielbesprochene Mit¬
teilung über das Vertragsverhältnis zwischen Österreich und dem
deutschen Reiche gemacht hatten, wurde in allen nichtdeutschen
Idiomen dieses vielsprachigen Staatskörpers auf das allerleb-
hafteste gegen den Verdacht protestirt, daß irgendeine Nationalität
etwa dem Bündnisse mit Deutschland abgeneigt sei oder gar an dessen Lockerung
arbeite. Dieses Bündnis zählte plötzlich nur begeisterte Anhänger im Lande.
So wenig nun dieser einmütige Feuereifer mit hundert und aberhundert Kund¬
gebungen der letzten Jahre in Einklang zu bringen war, ließen wir uns den¬
selben doch gern gefallen. Bewies er nicht, daß man auf das Kannegießern
und Bramarbasiren in den Zeitungen und Vereinen keinen zu großen Wert legen
dürfe? Da geht viel über die Zunge und aus der Feder, wovon Kopf und
Herz eigentlich nichts wissen. Das Geschäft verlangt, daß man sich nicht
überbieten lasse, und der Zank erhitzt die Gemüter. Shakespeare hat wiederholt


Österreichisches.

Weinlig zählt nicht zu den besonders hervortretenden Thomaskantoren Leip¬
zigs. Er soll ein stilles, zurückgezogenes, ganz seinem Amte und Berufe ge¬
widmetes Leben geführt haben. Daß er aber ein ausgezeichneter Lehrer ge¬
wesen, daran sind wir gerade in den letzten Tagen und Wochen vielfach erinnert
worden: ein Schüler von ihm war — Richard Wagner, der in der auto¬
biographischen Skizze, die er 1843 in der „Zeitung für die elegante Welt" ver¬
öffentlichte, ihm folgendes ehrenvolle Denkmal gesetzt hat: „Ich fühlte die
Notwendigkeit eines nen zu beginnenden, streng geregelten Studiums der Musik,
und die Vorsehung ließ mich den rechten Mann finden, der mir neue Liebe
zur Sache einflößen und sie durch den gründlichsten Unterricht läutern sollte.
Dieser Mann war Theodor Weinlig. Nachdem ich mich wohl schon zuvor
in der Fuge versucht hatte, begann ich jedoch erst bei ihm das gründliche Stu¬
dium des Kontrapunktes, welches er die glückliche Eigenschaft besaß den Schüler
spielend erlernen zu lassen.... Mein Studium bei Weinlig war in weniger
als einem halben Jahre beendet: er selbst entließ mich aus der Lehre, nachdem
er mich soweit gebracht, daß ich die schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes
mit Leichtigkeit zu lösen imstande war." Der Wagner, der dies vor vierzig
Jahren schrieb, war freilich ein andrer, als der, der jetzt aus der Welt ge¬
gangen.




Österreichisches.

is die Grenzboten vor einigen Monaten die vielbesprochene Mit¬
teilung über das Vertragsverhältnis zwischen Österreich und dem
deutschen Reiche gemacht hatten, wurde in allen nichtdeutschen
Idiomen dieses vielsprachigen Staatskörpers auf das allerleb-
hafteste gegen den Verdacht protestirt, daß irgendeine Nationalität
etwa dem Bündnisse mit Deutschland abgeneigt sei oder gar an dessen Lockerung
arbeite. Dieses Bündnis zählte plötzlich nur begeisterte Anhänger im Lande.
So wenig nun dieser einmütige Feuereifer mit hundert und aberhundert Kund¬
gebungen der letzten Jahre in Einklang zu bringen war, ließen wir uns den¬
selben doch gern gefallen. Bewies er nicht, daß man auf das Kannegießern
und Bramarbasiren in den Zeitungen und Vereinen keinen zu großen Wert legen
dürfe? Da geht viel über die Zunge und aus der Feder, wovon Kopf und
Herz eigentlich nichts wissen. Das Geschäft verlangt, daß man sich nicht
überbieten lasse, und der Zank erhitzt die Gemüter. Shakespeare hat wiederholt


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[0587] Österreichisches. Weinlig zählt nicht zu den besonders hervortretenden Thomaskantoren Leip¬ zigs. Er soll ein stilles, zurückgezogenes, ganz seinem Amte und Berufe ge¬ widmetes Leben geführt haben. Daß er aber ein ausgezeichneter Lehrer ge¬ wesen, daran sind wir gerade in den letzten Tagen und Wochen vielfach erinnert worden: ein Schüler von ihm war — Richard Wagner, der in der auto¬ biographischen Skizze, die er 1843 in der „Zeitung für die elegante Welt" ver¬ öffentlichte, ihm folgendes ehrenvolle Denkmal gesetzt hat: „Ich fühlte die Notwendigkeit eines nen zu beginnenden, streng geregelten Studiums der Musik, und die Vorsehung ließ mich den rechten Mann finden, der mir neue Liebe zur Sache einflößen und sie durch den gründlichsten Unterricht läutern sollte. Dieser Mann war Theodor Weinlig. Nachdem ich mich wohl schon zuvor in der Fuge versucht hatte, begann ich jedoch erst bei ihm das gründliche Stu¬ dium des Kontrapunktes, welches er die glückliche Eigenschaft besaß den Schüler spielend erlernen zu lassen.... Mein Studium bei Weinlig war in weniger als einem halben Jahre beendet: er selbst entließ mich aus der Lehre, nachdem er mich soweit gebracht, daß ich die schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes mit Leichtigkeit zu lösen imstande war." Der Wagner, der dies vor vierzig Jahren schrieb, war freilich ein andrer, als der, der jetzt aus der Welt ge¬ gangen. Österreichisches. is die Grenzboten vor einigen Monaten die vielbesprochene Mit¬ teilung über das Vertragsverhältnis zwischen Österreich und dem deutschen Reiche gemacht hatten, wurde in allen nichtdeutschen Idiomen dieses vielsprachigen Staatskörpers auf das allerleb- hafteste gegen den Verdacht protestirt, daß irgendeine Nationalität etwa dem Bündnisse mit Deutschland abgeneigt sei oder gar an dessen Lockerung arbeite. Dieses Bündnis zählte plötzlich nur begeisterte Anhänger im Lande. So wenig nun dieser einmütige Feuereifer mit hundert und aberhundert Kund¬ gebungen der letzten Jahre in Einklang zu bringen war, ließen wir uns den¬ selben doch gern gefallen. Bewies er nicht, daß man auf das Kannegießern und Bramarbasiren in den Zeitungen und Vereinen keinen zu großen Wert legen dürfe? Da geht viel über die Zunge und aus der Feder, wovon Kopf und Herz eigentlich nichts wissen. Das Geschäft verlangt, daß man sich nicht überbieten lasse, und der Zank erhitzt die Gemüter. Shakespeare hat wiederholt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/587>, abgerufen am 22.07.2024.