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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Herzen der Entschlafnen eine Stätte der Ruhe und Einsamkeit, ein Labsal und
eine Erholung nach schweren Kämpfen in der wirren Welt gewesen war.




Zweites Rapitel.

In dem Gasthause des kleinen Ortes Scholldvrf an der Ostseeküste traf
an einen, Juliabend sehr zur Überraschung der Wirtsleute ein Fremder ein, der
die Absicht zu erkennen gab, mehrere Wochen zu bleiben. Er wurde mit großer
Ehrerbietung und einem Aufwande von Entschuldigungen wegen der Einfachheit
des Zimmers empfangen, sodaß er sich genötigt sah, zu wiederholten malen
zu erklären, er sei durchaus zufrieden, wenn die Luft gut, das Bett rein und
die Speisen gesund seien. Er habe die Absicht, fügte er hinzu, die Umgegend
zu durchstreifen, um Skizzen der Küste mit ihren Klippen und Wäldern auf¬
zunehmen.

Der Bursche, welcher ihn von der Poststation, die etwa eine Stunde von
Scholldorf entfernt lag, hierher begleitet hatte, setzte indessen die Koffer des
Gastes in dem kajütenähnlichen kleinen Gemache nieder, und der Gast selbst warf
seinen breitkrämpigen Filzhut auf den Tisch, strich mit der Hand durch das blonde
Haar und blickte gedankenvoll aus dem kleinen Fenster hinaus auf die blaue See.

Für die Herren Maler, sagte die Wirtin, indem sie eine letzte ordnende
Hand an die Möbel legte und mit einem Staubtuche über die Lehnen der Rohr¬
stühle Hinsuhr, für die Herren Maler sei diese Umgegend die schönste, welche sie
sich nur wünschen könnten, und in früherer Zeit seien sie auch in großer Zahl
gekommen. Das sei eine lustige Zeit gewesen, denn die Herren wären immer
guter Dinge und voll von Späßen, wenn auch nicht immer gut bei Kasse ge¬
wesen. Aber in den letzten Jahren sei Scholldvrf ganz aus der Mode gekommen,
weil eine neue Landstraße gebant sei, welche zu dem benachbarten Fischbeck führe
und Scholldorf unberührt lasse. Dort sei nun auch ein Bad gegründet worden
und alles modern und teuer. Aber wer die Küste richtig kenne, der werde immer
lieber nach Scholldorf kommen, wo das Essen noch die alten soliden Preise
habe und der Rotwein unverfälscht sei.

Sie warf bei dieser Erzählung prüfende Blicke auf den Herrn, der mit
träumerischem Blick am Fenster stand, und suchte mit dem scharfen Blick des
Gastwirts das echte Gold an ihm von dem unedlem Metall auszuscheiden.

Das Ergebnis dieser Prüfung war äußerst günstig für den fremden Herrn.
Sie sagte sich im stillen, daß sie noch niemals in ihrem Leben einen Maler,
ja vielleicht noch niemals einen Mann gesehen habe, der ein so feines und vor¬
nehmes Wesen gehabt habe. Sein Anzug freilich war höchst einfach, beinahe
ärmlich. Er trug eine dunkle Bluse, die offenbar schon manches Wetter erlebt
hatte, und es war nichts geschniegeltes und gebügeltes an ihm, weder eine
funkelnde Kmvatte, noch ein Beinkleid, welches den Stolz eines großstädtischen


Grenzboten I, 1833, ?
Die Grafen von Altenschwerdt.

Herzen der Entschlafnen eine Stätte der Ruhe und Einsamkeit, ein Labsal und
eine Erholung nach schweren Kämpfen in der wirren Welt gewesen war.




Zweites Rapitel.

In dem Gasthause des kleinen Ortes Scholldvrf an der Ostseeküste traf
an einen, Juliabend sehr zur Überraschung der Wirtsleute ein Fremder ein, der
die Absicht zu erkennen gab, mehrere Wochen zu bleiben. Er wurde mit großer
Ehrerbietung und einem Aufwande von Entschuldigungen wegen der Einfachheit
des Zimmers empfangen, sodaß er sich genötigt sah, zu wiederholten malen
zu erklären, er sei durchaus zufrieden, wenn die Luft gut, das Bett rein und
die Speisen gesund seien. Er habe die Absicht, fügte er hinzu, die Umgegend
zu durchstreifen, um Skizzen der Küste mit ihren Klippen und Wäldern auf¬
zunehmen.

Der Bursche, welcher ihn von der Poststation, die etwa eine Stunde von
Scholldorf entfernt lag, hierher begleitet hatte, setzte indessen die Koffer des
Gastes in dem kajütenähnlichen kleinen Gemache nieder, und der Gast selbst warf
seinen breitkrämpigen Filzhut auf den Tisch, strich mit der Hand durch das blonde
Haar und blickte gedankenvoll aus dem kleinen Fenster hinaus auf die blaue See.

Für die Herren Maler, sagte die Wirtin, indem sie eine letzte ordnende
Hand an die Möbel legte und mit einem Staubtuche über die Lehnen der Rohr¬
stühle Hinsuhr, für die Herren Maler sei diese Umgegend die schönste, welche sie
sich nur wünschen könnten, und in früherer Zeit seien sie auch in großer Zahl
gekommen. Das sei eine lustige Zeit gewesen, denn die Herren wären immer
guter Dinge und voll von Späßen, wenn auch nicht immer gut bei Kasse ge¬
wesen. Aber in den letzten Jahren sei Scholldvrf ganz aus der Mode gekommen,
weil eine neue Landstraße gebant sei, welche zu dem benachbarten Fischbeck führe
und Scholldorf unberührt lasse. Dort sei nun auch ein Bad gegründet worden
und alles modern und teuer. Aber wer die Küste richtig kenne, der werde immer
lieber nach Scholldorf kommen, wo das Essen noch die alten soliden Preise
habe und der Rotwein unverfälscht sei.

Sie warf bei dieser Erzählung prüfende Blicke auf den Herrn, der mit
träumerischem Blick am Fenster stand, und suchte mit dem scharfen Blick des
Gastwirts das echte Gold an ihm von dem unedlem Metall auszuscheiden.

Das Ergebnis dieser Prüfung war äußerst günstig für den fremden Herrn.
Sie sagte sich im stillen, daß sie noch niemals in ihrem Leben einen Maler,
ja vielleicht noch niemals einen Mann gesehen habe, der ein so feines und vor¬
nehmes Wesen gehabt habe. Sein Anzug freilich war höchst einfach, beinahe
ärmlich. Er trug eine dunkle Bluse, die offenbar schon manches Wetter erlebt
hatte, und es war nichts geschniegeltes und gebügeltes an ihm, weder eine
funkelnde Kmvatte, noch ein Beinkleid, welches den Stolz eines großstädtischen


Grenzboten I, 1833, ?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/57>, abgerufen am 22.07.2024.