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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Gotha). (Fortsetzung)
Zehntes Aapitel.

er junge Graf warf, als er sein Zimmer verlassen hatte, einen
spähenden Blick über den Korridor hin, ob er nicht etwa Ge¬
fahr liefe, seiner Mutter zu begegnen, und bemerkte, daß die
Thür zu dem Gemach, welches dem der Gräfin zunächst lag,
offen stand. Er sah im Vorübergehen hinein, da er vermutete, daß
dies der Aufenthaltsort der Neuangekommenen sein würde, fand aber das junge
Mädchen nicht darin, und blieb stehen, um sich bei dem dienenden Wesen, welches
in dem Zimmer beschäftigt war, nach Fräulein Glock zu erkundigen.

Er hörte, sie sei in den Garten gegangen, und lenkte deshalb seine Schritte
ebenfalls dorthin.

In der That fand er dort Fräulein Glock. Sie saß in einer der Lauben
an der umfassenden Hecke und hatte eine Handarbeit im Schoße,

Als sie Dietrichs Schritt hörte, blickte sie empor, legte ihre Arbeit in das
Wrbchen auf dem Tische und stand auf, indem sie errötete. Gras Dietrich
trat mit einem freundschaftlichen Gruße auf sie zu, blieb aber überrascht stehen,
als er sie ins Auge faßte.

Ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Fräulein Anna, sagte er. El der
Tausend, wie groß sind Sie geworden -- und wie schön! fügte er bewun¬
dernd hinzu.

Das junge Mädchen blickte vor sich nieder und errötete noch tiefer als bei
seinem ersten Anblick.

Sie war eine anmutvolle Gestalt, Eine liebenswürdige Bescheidenheit und
Freundlichkeit, ein echt weiblicher Zug der Sanftmut lag nicht nur auf ihrem
hübschen Gesicht, sondern in ihrer ganzen Haltung ausgeprägt, Ihr Heller Anzug


Grenzboten I, 1833. 54


Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Gotha). (Fortsetzung)
Zehntes Aapitel.

er junge Graf warf, als er sein Zimmer verlassen hatte, einen
spähenden Blick über den Korridor hin, ob er nicht etwa Ge¬
fahr liefe, seiner Mutter zu begegnen, und bemerkte, daß die
Thür zu dem Gemach, welches dem der Gräfin zunächst lag,
offen stand. Er sah im Vorübergehen hinein, da er vermutete, daß
dies der Aufenthaltsort der Neuangekommenen sein würde, fand aber das junge
Mädchen nicht darin, und blieb stehen, um sich bei dem dienenden Wesen, welches
in dem Zimmer beschäftigt war, nach Fräulein Glock zu erkundigen.

Er hörte, sie sei in den Garten gegangen, und lenkte deshalb seine Schritte
ebenfalls dorthin.

In der That fand er dort Fräulein Glock. Sie saß in einer der Lauben
an der umfassenden Hecke und hatte eine Handarbeit im Schoße,

Als sie Dietrichs Schritt hörte, blickte sie empor, legte ihre Arbeit in das
Wrbchen auf dem Tische und stand auf, indem sie errötete. Gras Dietrich
trat mit einem freundschaftlichen Gruße auf sie zu, blieb aber überrascht stehen,
als er sie ins Auge faßte.

Ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Fräulein Anna, sagte er. El der
Tausend, wie groß sind Sie geworden — und wie schön! fügte er bewun¬
dernd hinzu.

Das junge Mädchen blickte vor sich nieder und errötete noch tiefer als bei
seinem ersten Anblick.

Sie war eine anmutvolle Gestalt, Eine liebenswürdige Bescheidenheit und
Freundlichkeit, ein echt weiblicher Zug der Sanftmut lag nicht nur auf ihrem
hübschen Gesicht, sondern in ihrer ganzen Haltung ausgeprägt, Ihr Heller Anzug


Grenzboten I, 1833. 54
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[0433] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. Roman von August Niemann (Gotha). (Fortsetzung) Zehntes Aapitel. er junge Graf warf, als er sein Zimmer verlassen hatte, einen spähenden Blick über den Korridor hin, ob er nicht etwa Ge¬ fahr liefe, seiner Mutter zu begegnen, und bemerkte, daß die Thür zu dem Gemach, welches dem der Gräfin zunächst lag, offen stand. Er sah im Vorübergehen hinein, da er vermutete, daß dies der Aufenthaltsort der Neuangekommenen sein würde, fand aber das junge Mädchen nicht darin, und blieb stehen, um sich bei dem dienenden Wesen, welches in dem Zimmer beschäftigt war, nach Fräulein Glock zu erkundigen. Er hörte, sie sei in den Garten gegangen, und lenkte deshalb seine Schritte ebenfalls dorthin. In der That fand er dort Fräulein Glock. Sie saß in einer der Lauben an der umfassenden Hecke und hatte eine Handarbeit im Schoße, Als sie Dietrichs Schritt hörte, blickte sie empor, legte ihre Arbeit in das Wrbchen auf dem Tische und stand auf, indem sie errötete. Gras Dietrich trat mit einem freundschaftlichen Gruße auf sie zu, blieb aber überrascht stehen, als er sie ins Auge faßte. Ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Fräulein Anna, sagte er. El der Tausend, wie groß sind Sie geworden — und wie schön! fügte er bewun¬ dernd hinzu. Das junge Mädchen blickte vor sich nieder und errötete noch tiefer als bei seinem ersten Anblick. Sie war eine anmutvolle Gestalt, Eine liebenswürdige Bescheidenheit und Freundlichkeit, ein echt weiblicher Zug der Sanftmut lag nicht nur auf ihrem hübschen Gesicht, sondern in ihrer ganzen Haltung ausgeprägt, Ihr Heller Anzug Grenzboten I, 1833. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/433>, abgerufen am 22.07.2024.