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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Was das für ein heilloser Humbug ist! sagte Gottlieb für sich, indem er
sein Buch zuklappte und in ein Fach seines ungeheuern, mit Tiegeln, Retorten,
Schädeln und alten Folianten bedeckten Schreibtisches legte.

Die Gräfin hat die Absicht, ihr Vermögen mit meiner Hilfe anzulegen,
fuhr Rudolf fort. Nun ist freilich bei mir ein solcher Zudrang von Kapitalien,
daß mir nicht viel daran liegt, das Geld zu bekommen. Immerhin will ich
das Vertrauen nicht täuschen. Wenn du daher Gelegenheit haben solltest, mit
der Gräfin über mich zu sprechen, so bestätige ihr nur, was sie übrigens von
ihrem Bankier schon erfahren hat, daß sie bei mir alle Garantien findet.

Sehr gern, mein Junge, entgegnete Gottlieb. Ich brauche dich nicht weiter
zu bitten, daß du der Gräfin erklärst, meine Kurmethode sei die rationellste der
Neuzeit, denn das merkt sie schon von selber.

Rudolf verzog das Gesicht. Leb wohl! sagte er mit einem neuen Seufzer.
Gottlieb wuchs ihm über den Kopf, das war schmerzlich.

Leb wohl, mein Junge, glückliche Reise, erwiederte der Nlgcnarzt.




Neuntes Aapitel.

Auf dem Balkon eines der schönsten Zimmer in der Heilanstalt des Herr"
Gottlieb Schmidt lag an diesem Morgen el" junger Mann im Lehnstuhl, rauchte
eine Cigarrette und blickte träumerisch in die auf deu Strand spukenden Welle"
hinein. Er hatte eine zarte Gesichtsbildung, eine blasse Farbe, und auch seine
'Hände waren zart und weiß. Seine dunkeln, lebhaften Augen, das dunkel¬
braune, leicht gelockte Haar und der feine, braune Schnurrbart gaben dem ari-,
stokratisch geschnittenen Gesicht einen interessanten und etwas koketten Ausdruck.
Aus seinem Sinne" weckte ih" ein Klopfe" an die Thür des Zimmers und
das Hereintreten des Briefträgers. Es gab einen Brief, dessen Empfang be¬
scheinigt werden mußte, und mit Erstannen sah der Jüngling die Aufschrift des¬
selben, welche eine Einlage von tausend Mark ankündigte. Doch wurde seine
Aufmerksamkeit sofort auf einen andern Brief gelenkt, den er gleichzeitig erhielt
und der eine französische Adresse von kritzlicher Damenhand trug.

Mit beiden Briefen begab er sich zu seinem Platz auf dem Balkon, nahm
ein Messerchen mit Perlmutterheft zur Hand und blickte von einer Adresse zur
andern hin und her, unentschlossen, welches Schreibe" er zuerst öffnen solle.
Endlich siegte die deutsche Aufschrift, er steckte deu Pariser Brief in die Tasche
und schnitt den andern auf.

Gleichgiltig ließ er den Tauseudmarkschei" stecke", las aber mit erfreuter
Miene die begleitende" Zeile".

Hochgeborner Herr Graf, hieß es darin, ich habe das Vergnügen, Euer
Hochgeboren mitzuteilen, daß die erste Auflage Ihrer Gedichte vergriffen ist,
und daß ich in, Begriffe bin, die zweite Auflage auszugeben. Indem ich


Was das für ein heilloser Humbug ist! sagte Gottlieb für sich, indem er
sein Buch zuklappte und in ein Fach seines ungeheuern, mit Tiegeln, Retorten,
Schädeln und alten Folianten bedeckten Schreibtisches legte.

Die Gräfin hat die Absicht, ihr Vermögen mit meiner Hilfe anzulegen,
fuhr Rudolf fort. Nun ist freilich bei mir ein solcher Zudrang von Kapitalien,
daß mir nicht viel daran liegt, das Geld zu bekommen. Immerhin will ich
das Vertrauen nicht täuschen. Wenn du daher Gelegenheit haben solltest, mit
der Gräfin über mich zu sprechen, so bestätige ihr nur, was sie übrigens von
ihrem Bankier schon erfahren hat, daß sie bei mir alle Garantien findet.

Sehr gern, mein Junge, entgegnete Gottlieb. Ich brauche dich nicht weiter
zu bitten, daß du der Gräfin erklärst, meine Kurmethode sei die rationellste der
Neuzeit, denn das merkt sie schon von selber.

Rudolf verzog das Gesicht. Leb wohl! sagte er mit einem neuen Seufzer.
Gottlieb wuchs ihm über den Kopf, das war schmerzlich.

Leb wohl, mein Junge, glückliche Reise, erwiederte der Nlgcnarzt.




Neuntes Aapitel.

Auf dem Balkon eines der schönsten Zimmer in der Heilanstalt des Herr»
Gottlieb Schmidt lag an diesem Morgen el» junger Mann im Lehnstuhl, rauchte
eine Cigarrette und blickte träumerisch in die auf deu Strand spukenden Welle»
hinein. Er hatte eine zarte Gesichtsbildung, eine blasse Farbe, und auch seine
'Hände waren zart und weiß. Seine dunkeln, lebhaften Augen, das dunkel¬
braune, leicht gelockte Haar und der feine, braune Schnurrbart gaben dem ari-,
stokratisch geschnittenen Gesicht einen interessanten und etwas koketten Ausdruck.
Aus seinem Sinne» weckte ih» ein Klopfe» an die Thür des Zimmers und
das Hereintreten des Briefträgers. Es gab einen Brief, dessen Empfang be¬
scheinigt werden mußte, und mit Erstannen sah der Jüngling die Aufschrift des¬
selben, welche eine Einlage von tausend Mark ankündigte. Doch wurde seine
Aufmerksamkeit sofort auf einen andern Brief gelenkt, den er gleichzeitig erhielt
und der eine französische Adresse von kritzlicher Damenhand trug.

Mit beiden Briefen begab er sich zu seinem Platz auf dem Balkon, nahm
ein Messerchen mit Perlmutterheft zur Hand und blickte von einer Adresse zur
andern hin und her, unentschlossen, welches Schreibe» er zuerst öffnen solle.
Endlich siegte die deutsche Aufschrift, er steckte deu Pariser Brief in die Tasche
und schnitt den andern auf.

Gleichgiltig ließ er den Tauseudmarkschei» stecke», las aber mit erfreuter
Miene die begleitende» Zeile».

Hochgeborner Herr Graf, hieß es darin, ich habe das Vergnügen, Euer
Hochgeboren mitzuteilen, daß die erste Auflage Ihrer Gedichte vergriffen ist,
und daß ich in, Begriffe bin, die zweite Auflage auszugeben. Indem ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/384>, abgerufen am 22.07.2024.