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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerot.

Eberhardt kreuzte die Arme über der Brust und betrachtete lange sinnend
die Thurmziunen, Seine Gestalt richtete sich höher auf, und ein Blitz zuckte
unter den zusammengezogenen Brauen hervor, wie aus einer unzufriedenen und
stolzen Seele hervorleuchtend.

Aber dieser Ausdruck verlor sich bald wieder aus seinem Gesicht. Er zog
an einem schmalen Bändchen eine große goldene Kapsel aus der^Bluse hervor
und öffnete sie. Es war in ihr ein zartes, wunderbar fein gemaltes Bildnis
verborgen: ein weiblicher Kopf voll Lieblichkeit und Anmut, von goldnen Locken
umwallt und mit sanften, blauen Augen.

Er sah das Bildnis liebend an, drückte einen Kuß darauf und verbarg es
wieder in seiner Kleidung.

Dann trat er rüstigen Schrittes den Heimweg an.




Viertes Uapitel.

Als Eberhardt zu dem bescheidnen Gasthofe zurückkehrte, der zur Zeit sein
Heim war, fiel ihm eine ungewohnte Lebendigkeit der Dorfgassen auf. Gruppen
von Fischern und Fischerweibern standen vor den Thüren, besprachen miteinander
irgend ein wichtiges Ereignis und betrachteten ihn, als er grüßend vorbeischritt,
mit neugierigen Blicken, wahrend sie zugleich ihr eifriges Geschwätz unterbrachen.
Es war dies umso auffallender, als es bereits spät am Abend und beinahe
ganz dunkel war, eine Tageszeit, zu welcher für gewöhnlich der müde Schiffer
und sein Weib, tief in Stroh und Federn versunken, dem Gott des Schlafes
huldigten und kein Lämpchen mehr die einzelnen Liebespaare verräterisch be¬
leuchtete, die etwa, durch süße Sehnsucht zu einander gelockt, auf deu Bänken
vor den Häusern und im Schatten der Hecken heimliche Zwiesprcich hielten.

Als er endlich vor dem Wirtshause selbst ankam, fand er dessen kleine
Fenster mehr als sonst erleuchtet, sogar den engen Flur erhellt und dort
die Familie, um einige Nachbarn und Nachbarinnen vermehrt, in aufgeregter
Stimmung bei einander. Bei seinem Eintritt schwieg auch hier die Unterhaltung,
doch als er lächelnd fragte, was denn der Grund sei, daß man noch munter
sei und ihn so befremdlich ansehe, trat die wackre Wirtin mit geheimnisvoll
wichtiger Miene auf ihn zu und teilte ihm mit, daß während seiner Abwesenheit
ein schwarzer Mann eingetroffen sei, welcher ihn besuchen wolle, lind verlangt
habe, daß man ihn auf des Herrn Eschenburg Zimmer führe.

Wenn die Wirtin erwartet hatte, daß diese Nachricht großen Eindruck auf
ihren Gast machen und ihn in ähnlicher Weise erschüttern werde, wie sie selbst
mit ihrer Familie und Freundschaft durch das wunderbare Ereignis erschüttert
worden war, so hatte sie sich nicht getäuscht. Denn Eberhardt verfärbte sich
bei ihren Worten, und seinen Lippen entfuhr ein unwillkürlicher Ausruf des


Die Grafen von Altenschwerot.

Eberhardt kreuzte die Arme über der Brust und betrachtete lange sinnend
die Thurmziunen, Seine Gestalt richtete sich höher auf, und ein Blitz zuckte
unter den zusammengezogenen Brauen hervor, wie aus einer unzufriedenen und
stolzen Seele hervorleuchtend.

Aber dieser Ausdruck verlor sich bald wieder aus seinem Gesicht. Er zog
an einem schmalen Bändchen eine große goldene Kapsel aus der^Bluse hervor
und öffnete sie. Es war in ihr ein zartes, wunderbar fein gemaltes Bildnis
verborgen: ein weiblicher Kopf voll Lieblichkeit und Anmut, von goldnen Locken
umwallt und mit sanften, blauen Augen.

Er sah das Bildnis liebend an, drückte einen Kuß darauf und verbarg es
wieder in seiner Kleidung.

Dann trat er rüstigen Schrittes den Heimweg an.




Viertes Uapitel.

Als Eberhardt zu dem bescheidnen Gasthofe zurückkehrte, der zur Zeit sein
Heim war, fiel ihm eine ungewohnte Lebendigkeit der Dorfgassen auf. Gruppen
von Fischern und Fischerweibern standen vor den Thüren, besprachen miteinander
irgend ein wichtiges Ereignis und betrachteten ihn, als er grüßend vorbeischritt,
mit neugierigen Blicken, wahrend sie zugleich ihr eifriges Geschwätz unterbrachen.
Es war dies umso auffallender, als es bereits spät am Abend und beinahe
ganz dunkel war, eine Tageszeit, zu welcher für gewöhnlich der müde Schiffer
und sein Weib, tief in Stroh und Federn versunken, dem Gott des Schlafes
huldigten und kein Lämpchen mehr die einzelnen Liebespaare verräterisch be¬
leuchtete, die etwa, durch süße Sehnsucht zu einander gelockt, auf deu Bänken
vor den Häusern und im Schatten der Hecken heimliche Zwiesprcich hielten.

Als er endlich vor dem Wirtshause selbst ankam, fand er dessen kleine
Fenster mehr als sonst erleuchtet, sogar den engen Flur erhellt und dort
die Familie, um einige Nachbarn und Nachbarinnen vermehrt, in aufgeregter
Stimmung bei einander. Bei seinem Eintritt schwieg auch hier die Unterhaltung,
doch als er lächelnd fragte, was denn der Grund sei, daß man noch munter
sei und ihn so befremdlich ansehe, trat die wackre Wirtin mit geheimnisvoll
wichtiger Miene auf ihn zu und teilte ihm mit, daß während seiner Abwesenheit
ein schwarzer Mann eingetroffen sei, welcher ihn besuchen wolle, lind verlangt
habe, daß man ihn auf des Herrn Eschenburg Zimmer führe.

Wenn die Wirtin erwartet hatte, daß diese Nachricht großen Eindruck auf
ihren Gast machen und ihn in ähnlicher Weise erschüttern werde, wie sie selbst
mit ihrer Familie und Freundschaft durch das wunderbare Ereignis erschüttert
worden war, so hatte sie sich nicht getäuscht. Denn Eberhardt verfärbte sich
bei ihren Worten, und seinen Lippen entfuhr ein unwillkürlicher Ausruf des


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[0111] Die Grafen von Altenschwerot. Eberhardt kreuzte die Arme über der Brust und betrachtete lange sinnend die Thurmziunen, Seine Gestalt richtete sich höher auf, und ein Blitz zuckte unter den zusammengezogenen Brauen hervor, wie aus einer unzufriedenen und stolzen Seele hervorleuchtend. Aber dieser Ausdruck verlor sich bald wieder aus seinem Gesicht. Er zog an einem schmalen Bändchen eine große goldene Kapsel aus der^Bluse hervor und öffnete sie. Es war in ihr ein zartes, wunderbar fein gemaltes Bildnis verborgen: ein weiblicher Kopf voll Lieblichkeit und Anmut, von goldnen Locken umwallt und mit sanften, blauen Augen. Er sah das Bildnis liebend an, drückte einen Kuß darauf und verbarg es wieder in seiner Kleidung. Dann trat er rüstigen Schrittes den Heimweg an. Viertes Uapitel. Als Eberhardt zu dem bescheidnen Gasthofe zurückkehrte, der zur Zeit sein Heim war, fiel ihm eine ungewohnte Lebendigkeit der Dorfgassen auf. Gruppen von Fischern und Fischerweibern standen vor den Thüren, besprachen miteinander irgend ein wichtiges Ereignis und betrachteten ihn, als er grüßend vorbeischritt, mit neugierigen Blicken, wahrend sie zugleich ihr eifriges Geschwätz unterbrachen. Es war dies umso auffallender, als es bereits spät am Abend und beinahe ganz dunkel war, eine Tageszeit, zu welcher für gewöhnlich der müde Schiffer und sein Weib, tief in Stroh und Federn versunken, dem Gott des Schlafes huldigten und kein Lämpchen mehr die einzelnen Liebespaare verräterisch be¬ leuchtete, die etwa, durch süße Sehnsucht zu einander gelockt, auf deu Bänken vor den Häusern und im Schatten der Hecken heimliche Zwiesprcich hielten. Als er endlich vor dem Wirtshause selbst ankam, fand er dessen kleine Fenster mehr als sonst erleuchtet, sogar den engen Flur erhellt und dort die Familie, um einige Nachbarn und Nachbarinnen vermehrt, in aufgeregter Stimmung bei einander. Bei seinem Eintritt schwieg auch hier die Unterhaltung, doch als er lächelnd fragte, was denn der Grund sei, daß man noch munter sei und ihn so befremdlich ansehe, trat die wackre Wirtin mit geheimnisvoll wichtiger Miene auf ihn zu und teilte ihm mit, daß während seiner Abwesenheit ein schwarzer Mann eingetroffen sei, welcher ihn besuchen wolle, lind verlangt habe, daß man ihn auf des Herrn Eschenburg Zimmer führe. Wenn die Wirtin erwartet hatte, daß diese Nachricht großen Eindruck auf ihren Gast machen und ihn in ähnlicher Weise erschüttern werde, wie sie selbst mit ihrer Familie und Freundschaft durch das wunderbare Ereignis erschüttert worden war, so hatte sie sich nicht getäuscht. Denn Eberhardt verfärbte sich bei ihren Worten, und seinen Lippen entfuhr ein unwillkürlicher Ausruf des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/111>, abgerufen am 22.07.2024.