Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Kritiklosigkeit. Kaiserin Atheuais-Eudokia, "Eyprianns und Justina" betitelt, die Überzeugung zu Kritiklosigkeit. Line literarische Neujahrsbetrachtung. le Gewohnheit der Nenjahrsbetrachtungcn gilt für so antiquirt Ernster gestimmte Naturen haben seit Jahren in unsrer Literatur wie im Kritiklosigkeit. Kaiserin Atheuais-Eudokia, „Eyprianns und Justina" betitelt, die Überzeugung zu Kritiklosigkeit. Line literarische Neujahrsbetrachtung. le Gewohnheit der Nenjahrsbetrachtungcn gilt für so antiquirt Ernster gestimmte Naturen haben seit Jahren in unsrer Literatur wie im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86167"/> <fw type="header" place="top"> Kritiklosigkeit.</fw><lb/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Kaiserin Atheuais-Eudokia, „Eyprianns und Justina" betitelt, die Überzeugung zu<lb/> gewinnen, daß in ihrer Seele die neue Religion besser Wurzel geschlagen als die ab¬<lb/> sterbende alte, die sie in früher Jugend verlassen. Aber nach allem muß mau ebeu<lb/> hieran zweifeln. Es ist fast unmöglich, sich in die innern Zustände dieser byzantini¬<lb/> schen Menschen hineinzudenken. Grcgvrovins stellt Athenals-Eudokia so dar, daß wir<lb/> eine uneingcstandne, ihr selbst selten zum Bewußtsein kommende Hinneigung zu der<lb/> Welt ihrer Jugend und ersten Bildung immer voraussetzen müssen. Wenigstens<lb/> spricht die wundersame Scene in Antiochien, wo die Kaiserin im Senatspalast die<lb/> Bürgerschaft versammelt und dort eine poetische Lobrede auf die berühmte Stadt hält,<lb/> entschiedendafür, daß sie mit allen theologischen Studien in der neuen Weltnie heimisch<lb/> ward. Jedenfalls sind ihr Leben, soweit es der Biograph aufzuhellen vermag,<lb/> ihr wundersames Glück und ihr Ende typisch für eine Zeit großer Umwälzungen,<lb/> rätselvoller Uebergänge und Neubildungen. In diesem Sinne stellt Gregvrovins<lb/> die ätherische Philvsvphentvchter und oströmische Kaiserin dar, und sicher wird<lb/> sein vortrefflich geschriebenes kleines Buch das Interesse größerer Leserkreise ge¬<lb/> winnen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Kritiklosigkeit.<lb/> Line literarische Neujahrsbetrachtung.</head><lb/> <p xml:id="ID_100"> le Gewohnheit der Nenjahrsbetrachtungcn gilt für so antiquirt<lb/> wie die Sitte der Neujahrswünsche. Sie hat auch keinen Sinn,<lb/> da wo sie auf die Betonung der eignen Vortrefflichkeit und<lb/> höchstens auf das berühmte „Morgen wieder luschtik!" weiland<lb/> Seiner Majestät des Kölligs Jerome von Westphalen hinausläuft.<lb/> Wer sich an dreihundert und vierundsechzig Tagen unsträflich findet, wird anch<lb/> am ersten Januar uicht mit sich zu Hader» haben, und umgekehrt liegt ver¬<lb/> zweifelt wenig an frommen Vorsätzen, die »ur für die ersten vierundzwanzig<lb/> Stunden des Jahres gelten sollen. Indes bleibt es doch gewiß, daß nach alter<lb/> Gewohnheit der Jahresanfang ein vcrehrliches Publikum für „Rückblicke" und<lb/> „Allsblicke" empfänglich findet, und so fehlen sie auch in der beliebten Form<lb/> zwangloser Plaudereien dem modernen Feuilleton nicht, das sich als eine lite¬<lb/> rarische Macht fühlt oder wenigstens ankündigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_101" next="#ID_102"> Ernster gestimmte Naturen haben seit Jahren in unsrer Literatur wie im<lb/> Publikum die wachsende Kritiklosigkeit beklagt. Wer das Wort nur äußerlich<lb/> nimmt und sich an die Thatsache hält, daß vielleicht nie zuvor so viel „pikante,"<lb/> „schneidige," „vernichtende" Kritiken geschrieben worden sind als im letzten Jahr¬<lb/> zehnt, der mag leicht die Klage für eine jener Phrasen erachten, die in der<lb/> Presse Curs haben. Die naheliegende Erkenntnis, daß die sämmtliche Kritik,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Kritiklosigkeit.
Kaiserin Atheuais-Eudokia, „Eyprianns und Justina" betitelt, die Überzeugung zu
gewinnen, daß in ihrer Seele die neue Religion besser Wurzel geschlagen als die ab¬
sterbende alte, die sie in früher Jugend verlassen. Aber nach allem muß mau ebeu
hieran zweifeln. Es ist fast unmöglich, sich in die innern Zustände dieser byzantini¬
schen Menschen hineinzudenken. Grcgvrovins stellt Athenals-Eudokia so dar, daß wir
eine uneingcstandne, ihr selbst selten zum Bewußtsein kommende Hinneigung zu der
Welt ihrer Jugend und ersten Bildung immer voraussetzen müssen. Wenigstens
spricht die wundersame Scene in Antiochien, wo die Kaiserin im Senatspalast die
Bürgerschaft versammelt und dort eine poetische Lobrede auf die berühmte Stadt hält,
entschiedendafür, daß sie mit allen theologischen Studien in der neuen Weltnie heimisch
ward. Jedenfalls sind ihr Leben, soweit es der Biograph aufzuhellen vermag,
ihr wundersames Glück und ihr Ende typisch für eine Zeit großer Umwälzungen,
rätselvoller Uebergänge und Neubildungen. In diesem Sinne stellt Gregvrovins
die ätherische Philvsvphentvchter und oströmische Kaiserin dar, und sicher wird
sein vortrefflich geschriebenes kleines Buch das Interesse größerer Leserkreise ge¬
winnen.
Kritiklosigkeit.
Line literarische Neujahrsbetrachtung.
le Gewohnheit der Nenjahrsbetrachtungcn gilt für so antiquirt
wie die Sitte der Neujahrswünsche. Sie hat auch keinen Sinn,
da wo sie auf die Betonung der eignen Vortrefflichkeit und
höchstens auf das berühmte „Morgen wieder luschtik!" weiland
Seiner Majestät des Kölligs Jerome von Westphalen hinausläuft.
Wer sich an dreihundert und vierundsechzig Tagen unsträflich findet, wird anch
am ersten Januar uicht mit sich zu Hader» haben, und umgekehrt liegt ver¬
zweifelt wenig an frommen Vorsätzen, die »ur für die ersten vierundzwanzig
Stunden des Jahres gelten sollen. Indes bleibt es doch gewiß, daß nach alter
Gewohnheit der Jahresanfang ein vcrehrliches Publikum für „Rückblicke" und
„Allsblicke" empfänglich findet, und so fehlen sie auch in der beliebten Form
zwangloser Plaudereien dem modernen Feuilleton nicht, das sich als eine lite¬
rarische Macht fühlt oder wenigstens ankündigt.
Ernster gestimmte Naturen haben seit Jahren in unsrer Literatur wie im
Publikum die wachsende Kritiklosigkeit beklagt. Wer das Wort nur äußerlich
nimmt und sich an die Thatsache hält, daß vielleicht nie zuvor so viel „pikante,"
„schneidige," „vernichtende" Kritiken geschrieben worden sind als im letzten Jahr¬
zehnt, der mag leicht die Klage für eine jener Phrasen erachten, die in der
Presse Curs haben. Die naheliegende Erkenntnis, daß die sämmtliche Kritik,
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