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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Z7neue Dichtungen.

zehnten Jahrhundert noch Menschenopfer darbringt, dann wird die Sache wie
ein alltäglicher Unglücksfall behandelt.

Mag aber der Ausgang des Prozesses sein, welcher er wolle, so werden doch
alle Ströme des weiten Ungarlnndes mit ihrem Wasser die Sparen des
Mordes von Tiszn-Eszlar nicht wegzuspülen vermögen.




Neue Dichtungen.

s giebt Lyriker, die nimmer saugesmüde werden und denen die
lyrische Stimmung wie aus geheimnisvollem Börne stets neu quillt.
Die eigentümliche Lust am Wohlklang des Wortes nud Reimes
paart sich bei ihnen mit jeuer leichten Beweglichkeit der Seele,
welche von dem Lebenseindruck zur Poesie angeregt wird, und in
rascher Wechselwirkung ruft auch die Virtuosität des Ausdruckes die poetische
Stimmung hervor. Nicht unbedingt trifft es zu, daß die Lieder, die "in der
Jugend Drang" gesungen werden, die besten sind, aber freilich völlig ins Gegenteil
verkehren läßt sich der Satz auch nicht und in der Natur der Sache liegt es,
daß mit dem heraunciheuden Alter die Lyrik auch des reichsten Dichters, wo
nicht versiegt, so doch sich wandelt. Einen entscheidenden Beleg dafür geben
Friedrich Bodensiedts neue Dichtungen Aus Morgenland und Abend¬
land ab (Leipzig, Brockhaus, 1832), welche den frischen, fröhlichen, klangreichem
Sänger der "Lieder des Mirza Schafft)" zumeist als reflektirenden Poeten zeigen.
Es handelt sich hier teils um eine Nachlese älterer, teils um die neuen Gedichte
Bodenstedts, welche etwa im letzten Lustrum entstanden sind und von denen
eine Anzahl der Fahrt Bvdeustedts über den Ozean und durch Amerika ihre
Entstehung verdanken. Es ist eine Sammlung ungleichen Wertes, die einzelnen
Blatter aber doch der Mehrzahl uach gehaltvoll und interessant genng, um ihnen
die Teilnahme des großen Publikums, das Vvdeustedt auf seinen poetischen
Wegen begleitet hat, zu sichern. Es ist leicht zu sehen, daß die flüchtigen Ein¬
drücke, die der Dichter vom Abendland im engsten Sinne, von Amerika, em¬
pfangen, sich an Stärke und Wirkungskraft nicht mit den ein Leben ausreichenden
und nachwirkender Eindrücken des in der Jngend geschauten Morgenlandes
'"essen können. Die Weisheit, welche die Sänger von Schiras unserm poetischen
Weltfahrer gelehrt haben, ist die überwiegende, und wie redliche Mühe er sich
auch giebt, das ihm fremdartige Wesen des Westens zu verstehen, so bringt er
es über eine scannende Bewunderung und gleichsam resignirte Huldigung nicht


Z7neue Dichtungen.

zehnten Jahrhundert noch Menschenopfer darbringt, dann wird die Sache wie
ein alltäglicher Unglücksfall behandelt.

Mag aber der Ausgang des Prozesses sein, welcher er wolle, so werden doch
alle Ströme des weiten Ungarlnndes mit ihrem Wasser die Sparen des
Mordes von Tiszn-Eszlar nicht wegzuspülen vermögen.




Neue Dichtungen.

s giebt Lyriker, die nimmer saugesmüde werden und denen die
lyrische Stimmung wie aus geheimnisvollem Börne stets neu quillt.
Die eigentümliche Lust am Wohlklang des Wortes nud Reimes
paart sich bei ihnen mit jeuer leichten Beweglichkeit der Seele,
welche von dem Lebenseindruck zur Poesie angeregt wird, und in
rascher Wechselwirkung ruft auch die Virtuosität des Ausdruckes die poetische
Stimmung hervor. Nicht unbedingt trifft es zu, daß die Lieder, die „in der
Jugend Drang" gesungen werden, die besten sind, aber freilich völlig ins Gegenteil
verkehren läßt sich der Satz auch nicht und in der Natur der Sache liegt es,
daß mit dem heraunciheuden Alter die Lyrik auch des reichsten Dichters, wo
nicht versiegt, so doch sich wandelt. Einen entscheidenden Beleg dafür geben
Friedrich Bodensiedts neue Dichtungen Aus Morgenland und Abend¬
land ab (Leipzig, Brockhaus, 1832), welche den frischen, fröhlichen, klangreichem
Sänger der „Lieder des Mirza Schafft)" zumeist als reflektirenden Poeten zeigen.
Es handelt sich hier teils um eine Nachlese älterer, teils um die neuen Gedichte
Bodenstedts, welche etwa im letzten Lustrum entstanden sind und von denen
eine Anzahl der Fahrt Bvdeustedts über den Ozean und durch Amerika ihre
Entstehung verdanken. Es ist eine Sammlung ungleichen Wertes, die einzelnen
Blatter aber doch der Mehrzahl uach gehaltvoll und interessant genng, um ihnen
die Teilnahme des großen Publikums, das Vvdeustedt auf seinen poetischen
Wegen begleitet hat, zu sichern. Es ist leicht zu sehen, daß die flüchtigen Ein¬
drücke, die der Dichter vom Abendland im engsten Sinne, von Amerika, em¬
pfangen, sich an Stärke und Wirkungskraft nicht mit den ein Leben ausreichenden
und nachwirkender Eindrücken des in der Jngend geschauten Morgenlandes
'«essen können. Die Weisheit, welche die Sänger von Schiras unserm poetischen
Weltfahrer gelehrt haben, ist die überwiegende, und wie redliche Mühe er sich
auch giebt, das ihm fremdartige Wesen des Westens zu verstehen, so bringt er
es über eine scannende Bewunderung und gleichsam resignirte Huldigung nicht


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[0297] Z7neue Dichtungen. zehnten Jahrhundert noch Menschenopfer darbringt, dann wird die Sache wie ein alltäglicher Unglücksfall behandelt. Mag aber der Ausgang des Prozesses sein, welcher er wolle, so werden doch alle Ströme des weiten Ungarlnndes mit ihrem Wasser die Sparen des Mordes von Tiszn-Eszlar nicht wegzuspülen vermögen. Neue Dichtungen. s giebt Lyriker, die nimmer saugesmüde werden und denen die lyrische Stimmung wie aus geheimnisvollem Börne stets neu quillt. Die eigentümliche Lust am Wohlklang des Wortes nud Reimes paart sich bei ihnen mit jeuer leichten Beweglichkeit der Seele, welche von dem Lebenseindruck zur Poesie angeregt wird, und in rascher Wechselwirkung ruft auch die Virtuosität des Ausdruckes die poetische Stimmung hervor. Nicht unbedingt trifft es zu, daß die Lieder, die „in der Jugend Drang" gesungen werden, die besten sind, aber freilich völlig ins Gegenteil verkehren läßt sich der Satz auch nicht und in der Natur der Sache liegt es, daß mit dem heraunciheuden Alter die Lyrik auch des reichsten Dichters, wo nicht versiegt, so doch sich wandelt. Einen entscheidenden Beleg dafür geben Friedrich Bodensiedts neue Dichtungen Aus Morgenland und Abend¬ land ab (Leipzig, Brockhaus, 1832), welche den frischen, fröhlichen, klangreichem Sänger der „Lieder des Mirza Schafft)" zumeist als reflektirenden Poeten zeigen. Es handelt sich hier teils um eine Nachlese älterer, teils um die neuen Gedichte Bodenstedts, welche etwa im letzten Lustrum entstanden sind und von denen eine Anzahl der Fahrt Bvdeustedts über den Ozean und durch Amerika ihre Entstehung verdanken. Es ist eine Sammlung ungleichen Wertes, die einzelnen Blatter aber doch der Mehrzahl uach gehaltvoll und interessant genng, um ihnen die Teilnahme des großen Publikums, das Vvdeustedt auf seinen poetischen Wegen begleitet hat, zu sichern. Es ist leicht zu sehen, daß die flüchtigen Ein¬ drücke, die der Dichter vom Abendland im engsten Sinne, von Amerika, em¬ pfangen, sich an Stärke und Wirkungskraft nicht mit den ein Leben ausreichenden und nachwirkender Eindrücken des in der Jngend geschauten Morgenlandes '«essen können. Die Weisheit, welche die Sänger von Schiras unserm poetischen Weltfahrer gelehrt haben, ist die überwiegende, und wie redliche Mühe er sich auch giebt, das ihm fremdartige Wesen des Westens zu verstehen, so bringt er es über eine scannende Bewunderung und gleichsam resignirte Huldigung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/297>, abgerufen am 29.06.2024.