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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Nicht sehr, meine Liebe. Aber dann, siehst dn, mache ich Unterschiede.
Wenn ich einen Wolf sehen sollte, der im Begriffe wäre, ein Lamm zu ver¬
schlingen, was würde ich thun? Je nnn, ich würde ihn mit dem ersten besten,
was ich finden könnte, erschrecken und verscheuchen. Würdest du das nicht auch,
Herzchen?

El natürlich! sagte Cynthy Ann.

Und so machte ich mir denn, als ich diesen Hnmphreys wie einen Wolf
oder Tiger oder Panther darüber hersah, ganze Vermögen zu verschlucken und
August zu beißen, eine Vogelscheuche von Worten zurecht, die wie ein alter
Hut und Rock auf eiueiu Pfahl aussah, und trieb thu weg. Habe ich irgend¬
welche" Schaden damit angerichtet, meine Liebe?

Nun nein, Jonas, ich glaube wirklich, am Ende nicht.
'

Ob die Verteidigung Jonas gut war oder nicht, kann ich nicht sagen;
denn ich weiß es nicht. Aber er hat Anspruch auf das, was Gutes davou kam.




Neununddreißigstes Kapitel.
Jonas appellirt.

Jonas hatte aus die nächste Quartalversammluug gewartet, um seine Be¬
rufung vom llrteilsspruche Pastor Halts beim Vorsitzenden Ältesten anzubringen.
Diese Quartalversammlnng des Kreises wurde im Städtchen Brayville abge¬
halten, und es mußten auf dem Fußboden Betten für die Gäste aufgeschlagn
werden, welche den Ort anfüllten. Jeder besuchende Methodist hatte ein Recht
auf Unterkunft und Bewirtung, und jeder dort wohnende Methodist öffnete seine
Thüren weit, denn die Leute im Westen sind sehr gastfrei und geben in einer
reichlichen Weise, wie sie ans der östlichen Seite der Berge nicht bekannt ist.
Wer das nicht erfahren hat, begreift den Reiz einer Quartalversammluug uicht.
Die Begegnung mit alten Freunden, das gesellige Leben -- alles ist nahezu
himmlisch. Und dann das Absingen der alten methodistischen Lieder wie fol¬
gendes :


O, welch eine Wonne,
Wonne, Wonne!
O, welch eine Wonne,
Nie mehr zu trennen sich!

Oder jener andre feierlich-schöne Refrain:


Gewiß, die Schnitterzeit kommt bald,
Die Ernt' und Engelsjubel schallt.

Und wer will die Wonne einer Mutter beschreiben, wenn ihr nugerateuer
Sohn "die Waffen seiner Empörung niederlegte" und "gründlich sich bekehrte."
Mögen die, welchen es beliebt, die Nase darüber rümpfen, aber die moralischen
Wunder, die bei methodistischen Scelenerweckungen zustande gebracht werden,
sind erstaunlicher, als irgend eine Blindenheilung oder eine Totenerweckung sein
könnte.

Jonas stellte sich, seinem Versprechen getreu, im Städtchen ein, sprach bei
dein Ältesten an dem Orte, wo er sich aushielt, vor und bat ihn um ein Privat¬
gespräch. Er faud deu alten Herrn, wie er gerade mit seiner schönen Stimme
den Vers sang:


Der jüngste Tag.

Nicht sehr, meine Liebe. Aber dann, siehst dn, mache ich Unterschiede.
Wenn ich einen Wolf sehen sollte, der im Begriffe wäre, ein Lamm zu ver¬
schlingen, was würde ich thun? Je nnn, ich würde ihn mit dem ersten besten,
was ich finden könnte, erschrecken und verscheuchen. Würdest du das nicht auch,
Herzchen?

El natürlich! sagte Cynthy Ann.

Und so machte ich mir denn, als ich diesen Hnmphreys wie einen Wolf
oder Tiger oder Panther darüber hersah, ganze Vermögen zu verschlucken und
August zu beißen, eine Vogelscheuche von Worten zurecht, die wie ein alter
Hut und Rock auf eiueiu Pfahl aussah, und trieb thu weg. Habe ich irgend¬
welche» Schaden damit angerichtet, meine Liebe?

Nun nein, Jonas, ich glaube wirklich, am Ende nicht.
'

Ob die Verteidigung Jonas gut war oder nicht, kann ich nicht sagen;
denn ich weiß es nicht. Aber er hat Anspruch auf das, was Gutes davou kam.




Neununddreißigstes Kapitel.
Jonas appellirt.

Jonas hatte aus die nächste Quartalversammluug gewartet, um seine Be¬
rufung vom llrteilsspruche Pastor Halts beim Vorsitzenden Ältesten anzubringen.
Diese Quartalversammlnng des Kreises wurde im Städtchen Brayville abge¬
halten, und es mußten auf dem Fußboden Betten für die Gäste aufgeschlagn
werden, welche den Ort anfüllten. Jeder besuchende Methodist hatte ein Recht
auf Unterkunft und Bewirtung, und jeder dort wohnende Methodist öffnete seine
Thüren weit, denn die Leute im Westen sind sehr gastfrei und geben in einer
reichlichen Weise, wie sie ans der östlichen Seite der Berge nicht bekannt ist.
Wer das nicht erfahren hat, begreift den Reiz einer Quartalversammluug uicht.
Die Begegnung mit alten Freunden, das gesellige Leben — alles ist nahezu
himmlisch. Und dann das Absingen der alten methodistischen Lieder wie fol¬
gendes :


O, welch eine Wonne,
Wonne, Wonne!
O, welch eine Wonne,
Nie mehr zu trennen sich!

Oder jener andre feierlich-schöne Refrain:


Gewiß, die Schnitterzeit kommt bald,
Die Ernt' und Engelsjubel schallt.

Und wer will die Wonne einer Mutter beschreiben, wenn ihr nugerateuer
Sohn „die Waffen seiner Empörung niederlegte" und „gründlich sich bekehrte."
Mögen die, welchen es beliebt, die Nase darüber rümpfen, aber die moralischen
Wunder, die bei methodistischen Scelenerweckungen zustande gebracht werden,
sind erstaunlicher, als irgend eine Blindenheilung oder eine Totenerweckung sein
könnte.

Jonas stellte sich, seinem Versprechen getreu, im Städtchen ein, sprach bei
dein Ältesten an dem Orte, wo er sich aushielt, vor und bat ihn um ein Privat¬
gespräch. Er faud deu alten Herrn, wie er gerade mit seiner schönen Stimme
den Vers sang:


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[0248] Der jüngste Tag. Nicht sehr, meine Liebe. Aber dann, siehst dn, mache ich Unterschiede. Wenn ich einen Wolf sehen sollte, der im Begriffe wäre, ein Lamm zu ver¬ schlingen, was würde ich thun? Je nnn, ich würde ihn mit dem ersten besten, was ich finden könnte, erschrecken und verscheuchen. Würdest du das nicht auch, Herzchen? El natürlich! sagte Cynthy Ann. Und so machte ich mir denn, als ich diesen Hnmphreys wie einen Wolf oder Tiger oder Panther darüber hersah, ganze Vermögen zu verschlucken und August zu beißen, eine Vogelscheuche von Worten zurecht, die wie ein alter Hut und Rock auf eiueiu Pfahl aussah, und trieb thu weg. Habe ich irgend¬ welche» Schaden damit angerichtet, meine Liebe? Nun nein, Jonas, ich glaube wirklich, am Ende nicht. ' Ob die Verteidigung Jonas gut war oder nicht, kann ich nicht sagen; denn ich weiß es nicht. Aber er hat Anspruch auf das, was Gutes davou kam. Neununddreißigstes Kapitel. Jonas appellirt. Jonas hatte aus die nächste Quartalversammluug gewartet, um seine Be¬ rufung vom llrteilsspruche Pastor Halts beim Vorsitzenden Ältesten anzubringen. Diese Quartalversammlnng des Kreises wurde im Städtchen Brayville abge¬ halten, und es mußten auf dem Fußboden Betten für die Gäste aufgeschlagn werden, welche den Ort anfüllten. Jeder besuchende Methodist hatte ein Recht auf Unterkunft und Bewirtung, und jeder dort wohnende Methodist öffnete seine Thüren weit, denn die Leute im Westen sind sehr gastfrei und geben in einer reichlichen Weise, wie sie ans der östlichen Seite der Berge nicht bekannt ist. Wer das nicht erfahren hat, begreift den Reiz einer Quartalversammluug uicht. Die Begegnung mit alten Freunden, das gesellige Leben — alles ist nahezu himmlisch. Und dann das Absingen der alten methodistischen Lieder wie fol¬ gendes : O, welch eine Wonne, Wonne, Wonne! O, welch eine Wonne, Nie mehr zu trennen sich! Oder jener andre feierlich-schöne Refrain: Gewiß, die Schnitterzeit kommt bald, Die Ernt' und Engelsjubel schallt. Und wer will die Wonne einer Mutter beschreiben, wenn ihr nugerateuer Sohn „die Waffen seiner Empörung niederlegte" und „gründlich sich bekehrte." Mögen die, welchen es beliebt, die Nase darüber rümpfen, aber die moralischen Wunder, die bei methodistischen Scelenerweckungen zustande gebracht werden, sind erstaunlicher, als irgend eine Blindenheilung oder eine Totenerweckung sein könnte. Jonas stellte sich, seinem Versprechen getreu, im Städtchen ein, sprach bei dein Ältesten an dem Orte, wo er sich aushielt, vor und bat ihn um ein Privat¬ gespräch. Er faud deu alten Herrn, wie er gerade mit seiner schönen Stimme den Vers sang:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/248>, abgerufen am 29.06.2024.