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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilslehre Richard Wagners.
von !V. Fr enden borg.

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elc Verehrer der Wagnerschen Kunst begnügen sich nachgerade
nicht mehr damit, dem Genie und den Werken des Meisters die
ihnen ohne Zweifel gebührende ästhetische Würdigung zu Teil
werden zu lassen und dafür einzutreten, sondern schreiben ihnen
eine weit über das Künstlerische hinausgehende sozialpolitische und
sogar ethische Bedeutung zu.") Nun kann mau ja auch alle andern Kunstwerke vom
Standpunkte der Ethik oder sozialer Anschauungen ans betrachten und die Frage
auswerfen, ob und in welcher Weise diese Werke einen Einfluß auf die ethischen An¬
schauungen und die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit gehabt haben oder ans ihnen
hervorgegangen seien, und man wird gewiß leicht überall eine gewisse Wechsel¬
wirkung zwischen deu verschiedenen gleichzeitigen Strömungen des geistigen Lebens
nachweisen können. Aber das genügt dem richtigen Wagnerianer nicht. Für
ihn soll die Wagnersche Kunst der Ausgangspunkt einer neuen Kultur sein, sie
soll ein neues Evangelium enthalten, das die Menschheit einem neuen Ziele des
Heils zuzuführen vermöge, und soll insofern gleichsam den Abschluß des bisher
teilweise im Ungewissen tappenden Suchens nach dem wahren Licht der Erkenntnis
bilden.

Angesichts derartiger Verheißungen, die an jedes neue Werk Wagners eine
neue Entwicklung nicht nur der Kunst, sondern womöglich gleich der ganzen
Nation anknüpfen möchten, muß man doch einmal ernstlich nach deu Grundideen
der Wagnerschen Kunst, uach deu Ideen, die darin zur Darstellung gelangt sind,
suchen. Denn in diesen Ideen muß das weltbewegende und erlösende Element
liegen -- die Art der künstlerischen Gestaltung kann hierbei zunächst außer Be¬
tracht bleiben.

Bis jetzt kennt man nur zwei Wege, der Menschheit das verlorene Heil
wiederzugewinnen und die ewige Sehnsucht uach demselben zu stillen: die Nächsten-
liebe und die freiwillige Entsagung vou der Welt, die Verneinung des Willens
zum Leben, wie Schopenhauer sagt. Die Liebe ist das einzige praktische Mittel,
um die Unvollkommenheit der Welt -- biblisch gesprochen der Sünde -- zu
neiitralisireu, die Entsagung die letzte Möglichkeit, sich ihr zu entziehen. Einen



D. Red.
Bei dem Interesse, welches die Bestrebungen Wagners gerade im Augenblicke wieder
^ und wer weiß wie lange noch? -- infolge der Aufführungen seiner neuesten Oper cr-
rrgeu, schließen wir den vorstehenden vortrefflichen Aufsatz sofort an den im letzten Hefte
abgedruckten sachkundigen Bericht über die Bayreuther Parsifalvorstelluugeu an.
Die Heilslehre Richard Wagners.
von !V. Fr enden borg.

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elc Verehrer der Wagnerschen Kunst begnügen sich nachgerade
nicht mehr damit, dem Genie und den Werken des Meisters die
ihnen ohne Zweifel gebührende ästhetische Würdigung zu Teil
werden zu lassen und dafür einzutreten, sondern schreiben ihnen
eine weit über das Künstlerische hinausgehende sozialpolitische und
sogar ethische Bedeutung zu.") Nun kann mau ja auch alle andern Kunstwerke vom
Standpunkte der Ethik oder sozialer Anschauungen ans betrachten und die Frage
auswerfen, ob und in welcher Weise diese Werke einen Einfluß auf die ethischen An¬
schauungen und die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit gehabt haben oder ans ihnen
hervorgegangen seien, und man wird gewiß leicht überall eine gewisse Wechsel¬
wirkung zwischen deu verschiedenen gleichzeitigen Strömungen des geistigen Lebens
nachweisen können. Aber das genügt dem richtigen Wagnerianer nicht. Für
ihn soll die Wagnersche Kunst der Ausgangspunkt einer neuen Kultur sein, sie
soll ein neues Evangelium enthalten, das die Menschheit einem neuen Ziele des
Heils zuzuführen vermöge, und soll insofern gleichsam den Abschluß des bisher
teilweise im Ungewissen tappenden Suchens nach dem wahren Licht der Erkenntnis
bilden.

Angesichts derartiger Verheißungen, die an jedes neue Werk Wagners eine
neue Entwicklung nicht nur der Kunst, sondern womöglich gleich der ganzen
Nation anknüpfen möchten, muß man doch einmal ernstlich nach deu Grundideen
der Wagnerschen Kunst, uach deu Ideen, die darin zur Darstellung gelangt sind,
suchen. Denn in diesen Ideen muß das weltbewegende und erlösende Element
liegen — die Art der künstlerischen Gestaltung kann hierbei zunächst außer Be¬
tracht bleiben.

Bis jetzt kennt man nur zwei Wege, der Menschheit das verlorene Heil
wiederzugewinnen und die ewige Sehnsucht uach demselben zu stillen: die Nächsten-
liebe und die freiwillige Entsagung vou der Welt, die Verneinung des Willens
zum Leben, wie Schopenhauer sagt. Die Liebe ist das einzige praktische Mittel,
um die Unvollkommenheit der Welt — biblisch gesprochen der Sünde — zu
neiitralisireu, die Entsagung die letzte Möglichkeit, sich ihr zu entziehen. Einen



D. Red.
Bei dem Interesse, welches die Bestrebungen Wagners gerade im Augenblicke wieder
^ und wer weiß wie lange noch? — infolge der Aufführungen seiner neuesten Oper cr-
rrgeu, schließen wir den vorstehenden vortrefflichen Aufsatz sofort an den im letzten Hefte
abgedruckten sachkundigen Bericht über die Bayreuther Parsifalvorstelluugeu an.
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[0557] Die Heilslehre Richard Wagners. von !V. Fr enden borg. i elc Verehrer der Wagnerschen Kunst begnügen sich nachgerade nicht mehr damit, dem Genie und den Werken des Meisters die ihnen ohne Zweifel gebührende ästhetische Würdigung zu Teil werden zu lassen und dafür einzutreten, sondern schreiben ihnen eine weit über das Künstlerische hinausgehende sozialpolitische und sogar ethische Bedeutung zu.") Nun kann mau ja auch alle andern Kunstwerke vom Standpunkte der Ethik oder sozialer Anschauungen ans betrachten und die Frage auswerfen, ob und in welcher Weise diese Werke einen Einfluß auf die ethischen An¬ schauungen und die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit gehabt haben oder ans ihnen hervorgegangen seien, und man wird gewiß leicht überall eine gewisse Wechsel¬ wirkung zwischen deu verschiedenen gleichzeitigen Strömungen des geistigen Lebens nachweisen können. Aber das genügt dem richtigen Wagnerianer nicht. Für ihn soll die Wagnersche Kunst der Ausgangspunkt einer neuen Kultur sein, sie soll ein neues Evangelium enthalten, das die Menschheit einem neuen Ziele des Heils zuzuführen vermöge, und soll insofern gleichsam den Abschluß des bisher teilweise im Ungewissen tappenden Suchens nach dem wahren Licht der Erkenntnis bilden. Angesichts derartiger Verheißungen, die an jedes neue Werk Wagners eine neue Entwicklung nicht nur der Kunst, sondern womöglich gleich der ganzen Nation anknüpfen möchten, muß man doch einmal ernstlich nach deu Grundideen der Wagnerschen Kunst, uach deu Ideen, die darin zur Darstellung gelangt sind, suchen. Denn in diesen Ideen muß das weltbewegende und erlösende Element liegen — die Art der künstlerischen Gestaltung kann hierbei zunächst außer Be¬ tracht bleiben. Bis jetzt kennt man nur zwei Wege, der Menschheit das verlorene Heil wiederzugewinnen und die ewige Sehnsucht uach demselben zu stillen: die Nächsten- liebe und die freiwillige Entsagung vou der Welt, die Verneinung des Willens zum Leben, wie Schopenhauer sagt. Die Liebe ist das einzige praktische Mittel, um die Unvollkommenheit der Welt — biblisch gesprochen der Sünde — zu neiitralisireu, die Entsagung die letzte Möglichkeit, sich ihr zu entziehen. Einen D. Red. Bei dem Interesse, welches die Bestrebungen Wagners gerade im Augenblicke wieder ^ und wer weiß wie lange noch? — infolge der Aufführungen seiner neuesten Oper cr- rrgeu, schließen wir den vorstehenden vortrefflichen Aufsatz sofort an den im letzten Hefte abgedruckten sachkundigen Bericht über die Bayreuther Parsifalvorstelluugeu an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/557>, abgerufen am 03.07.2024.