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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Lakchen und Th^rsosträger.

Was mag da sein? fragte der Graf.

Als man näher kam, drang von Mund zu Mund der Schiffer, die hinab
zum Wasser liefen, die Nachricht, es sei ein Unglück geschehen, und dieser Ruf
gelaugte bis zum Wagen des Prinzen. Ein Schatten flog über seine Züge,
wie die Ahnung von etwas Schrecklichem, was ihn angehen könne.

Er ließ halten und stieg aus, den Grafen bittend, den Weg mit seiner
Iran allein fortzusetzen.

Der Wagen fuhr weiter, der Prinz aber ging zu jener Stelle des Hafens
hinab, wo die Menschen sich versammelt hatten.

Dort waren mehrere Schiffer, halb im Wasser stehend, bemüht, mit Haken¬
staugen eine buntfarbige Masse aus deu Fluten aufs Land zu ziehen, und
als ihnen dies geglückt war, zeigte es sich, daß es zwei menschliche Leichen waren,
die, fest an einander geklammert, gleichsam uur einen Körper bildeten. Es war
ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt sich mit krampfhaften Fingern an
den blutgefärbten Kleidungsstücken des Mannes fest.

Als sie auf deu Steinen lagen und von einander gerissen worden waren,
erkannte der Prinz die Züge seiner Iran und ihres Entführers.






Der gute Ephraim konnte sich, obwohl seine Seele uicht mehr vom ersten
Schwung und Zauber des Verhältnisses mit Flörchen beflügelt ward, doch nicht
losmachen von denn bestrickenden Zauber der Liebesgewohuheit. Es war zu
holdselig, dein blonden Mädchen so ganz ohne lästige Nebenumstände nachzugehen
und das Gehirn ein wenig ausruhen zu lassen in ihrer Umarmung. Schon das
alte Haus machte ihn selig. Die tiefen, niedrigen Zinnner mit dem alten, un¬
scheinbaren Mobiliar wußte" nichts von der Welt und ihrer Qual, und in dein
Erker am Blumenfenster war es dreihundert Jahre früher als in Berlin, weder
Schopenhauer noch Hegel hatten hier ein unfreundliches Licht anf das Zu¬
sammenleben zweibeiniger Vögel ohne Federn fallen lassen, und hier konnte man
küssen ohne dabei zu denken. Ephraim ließ sich gehen und ließ sich forttragen
wie ein Schwimmer von den schmeichelnden Wellen, die ihn unter sanftem Wiegen
über die Snudbauk hiuausspülcu, welche die letzte Möglichkeit der Rückkehr bot.

Die Nachrichten aus der Heimat fochten ihn im allgemeinen wenig an,
und nur mit Kopfschütteln nahm er die Nachricht von dem tragischen Ende seines
Onkels Irrwisch auf. Er war tief innerlich überzeugt davon, daß ein gütiger


Lakchen und Th^rsosträger.

Was mag da sein? fragte der Graf.

Als man näher kam, drang von Mund zu Mund der Schiffer, die hinab
zum Wasser liefen, die Nachricht, es sei ein Unglück geschehen, und dieser Ruf
gelaugte bis zum Wagen des Prinzen. Ein Schatten flog über seine Züge,
wie die Ahnung von etwas Schrecklichem, was ihn angehen könne.

Er ließ halten und stieg aus, den Grafen bittend, den Weg mit seiner
Iran allein fortzusetzen.

Der Wagen fuhr weiter, der Prinz aber ging zu jener Stelle des Hafens
hinab, wo die Menschen sich versammelt hatten.

Dort waren mehrere Schiffer, halb im Wasser stehend, bemüht, mit Haken¬
staugen eine buntfarbige Masse aus deu Fluten aufs Land zu ziehen, und
als ihnen dies geglückt war, zeigte es sich, daß es zwei menschliche Leichen waren,
die, fest an einander geklammert, gleichsam uur einen Körper bildeten. Es war
ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt sich mit krampfhaften Fingern an
den blutgefärbten Kleidungsstücken des Mannes fest.

Als sie auf deu Steinen lagen und von einander gerissen worden waren,
erkannte der Prinz die Züge seiner Iran und ihres Entführers.






Der gute Ephraim konnte sich, obwohl seine Seele uicht mehr vom ersten
Schwung und Zauber des Verhältnisses mit Flörchen beflügelt ward, doch nicht
losmachen von denn bestrickenden Zauber der Liebesgewohuheit. Es war zu
holdselig, dein blonden Mädchen so ganz ohne lästige Nebenumstände nachzugehen
und das Gehirn ein wenig ausruhen zu lassen in ihrer Umarmung. Schon das
alte Haus machte ihn selig. Die tiefen, niedrigen Zinnner mit dem alten, un¬
scheinbaren Mobiliar wußte» nichts von der Welt und ihrer Qual, und in dein
Erker am Blumenfenster war es dreihundert Jahre früher als in Berlin, weder
Schopenhauer noch Hegel hatten hier ein unfreundliches Licht anf das Zu¬
sammenleben zweibeiniger Vögel ohne Federn fallen lassen, und hier konnte man
küssen ohne dabei zu denken. Ephraim ließ sich gehen und ließ sich forttragen
wie ein Schwimmer von den schmeichelnden Wellen, die ihn unter sanftem Wiegen
über die Snudbauk hiuausspülcu, welche die letzte Möglichkeit der Rückkehr bot.

Die Nachrichten aus der Heimat fochten ihn im allgemeinen wenig an,
und nur mit Kopfschütteln nahm er die Nachricht von dem tragischen Ende seines
Onkels Irrwisch auf. Er war tief innerlich überzeugt davon, daß ein gütiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/51>, abgerufen am 24.08.2024.