Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.Der jüngste Tag. Wolken teilten sich bereits, und durch die zerrissenen Schleier sah das weiße Achtes Kapitel. Zahlen lügen nicht. Zahlen lügen nicht, sagte Eider Haukins, der Milleritenprediger. Ich sage Nicht alle Milleritenprediger waren ganz so ungebildete Leute als Eider Denn er hatte offenbar das Studium von Zahlen so eifrig betrieben, daß Der jüngste Tag. Wolken teilten sich bereits, und durch die zerrissenen Schleier sah das weiße Achtes Kapitel. Zahlen lügen nicht. Zahlen lügen nicht, sagte Eider Haukins, der Milleritenprediger. Ich sage Nicht alle Milleritenprediger waren ganz so ungebildete Leute als Eider Denn er hatte offenbar das Studium von Zahlen so eifrig betrieben, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193672"/> <fw type="header" place="top"> Der jüngste Tag.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1084" prev="#ID_1083"> Wolken teilten sich bereits, und durch die zerrissenen Schleier sah das weiße<lb/> Antlitz des Mondes hernieder.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Achtes Kapitel.<lb/> Zahlen lügen nicht.</head><lb/> <p xml:id="ID_1085"> Zahlen lügen nicht, sagte Eider Haukins, der Milleritenprediger. Ich sage<lb/> euch, Zahlen können nicht lügen. Wenn ein Methodist davon redet, daß jemand<lb/> aus der Gnade gefallen sein soll, so muß er die Sache beweisen, und auf Be¬<lb/> weise ist kein Verlaß. Und wenn ein Presbyterianer vom Beharren spricht, so<lb/> hat er keine unbedingte Gewißheit ans seiner Seite. Aber Zahlen, die lügen<lb/> unter keinen Umständen, und Zahlen sinds, die zeigen, daß dieses Jahr das<lb/> letzte Jahr der Welt ist, und daß der jüngste Tag nahe herbeigekommen ist.<lb/> Ich bitte euch uicht, ans meine eignen Vorstellungen zu hören, auf keine Ver-<lb/> nunftgründe von jemand; alles, um Ums ich anch bitte, ist, der Stimme des<lb/> Mannes im leinenen Rocke Gehör zu geben, welcher zu Daniel sprach, und<lb/> dann auf die Stimme der Arithmetik zu lauschen und mit einfachen Addiren<lb/> die einfachste Additionssumme zustande zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1086"> Nicht alle Milleritenprediger waren ganz so ungebildete Leute als Eider<lb/> Hankins, und es ist nur recht und billig, wenn ich sage, daß die Adveutisten<lb/> von heutzutage eine sehr achtbare religiöse Genossenschaft sind, die eine Arbeit<lb/> thut, welche mehr Anerkennung von andern verdient, als ihr in Wirklichkeit zu<lb/> Teil wird. Für die Täuschung, welche das Erscheinen des jüngsten Tages für<lb/> unmittelbar bevorstehend hält, sind die Führer der Adventisten nicht um erster<lb/> Stelle verantwortlich. Vom Gnostizismus bis zum Mvrmoneutmn ist jede reli¬<lb/> giöse Täuschung aus einem Grundirrtum in der vorgängigen religiösen Be¬<lb/> lehrung des Volles hervorgegangen. Durch die engherzige Methode, die heilige<lb/> Schrift wörtlich zu nehmen, eine Methode, die bei den polemischen Erörterungen<lb/> der letzten Generation so beliebt war, und der viele Leute noch jetzt eifrig zu¬<lb/> gethan sind, wurde für deu Millerismns der Grund gelegt. Und heutzutage<lb/> ist in vielen Gegenden der Boden gedüngt für den nächsten Fanatismus. Es<lb/> fragt sich mir, wer zuerst säen und ernten wird. Für Leute wie diejenigen,<lb/> welche sich im Schulhause zu Sngar Grove versammelt hatten, um den Geist<lb/> der Schrift dnrch Dehnung und Verdrehung des Buchstabens zu zerstören und<lb/> so den Beweis zu führen, daß ihre Sekte Recht habe, konnte nichts von so über¬<lb/> wältigender Wirkung sein als die Zahlen Eider Hankins.</p><lb/> <p xml:id="ID_1087" next="#ID_1088"> Denn er hatte offenbar das Studium von Zahlen so eifrig betrieben, daß<lb/> dabei die andern Zweige einer höhern Bildung zu kurz gekommen waren. Seine<lb/> Beweisführung war auf eine große Papptafel gedruckt. Er begann mit den<lb/> siebzig Wochen Daniels, er addirte dazu, die „Zeit, die Zeiten und eine halbe</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Der jüngste Tag.
Wolken teilten sich bereits, und durch die zerrissenen Schleier sah das weiße
Antlitz des Mondes hernieder.
Achtes Kapitel.
Zahlen lügen nicht.
Zahlen lügen nicht, sagte Eider Haukins, der Milleritenprediger. Ich sage
euch, Zahlen können nicht lügen. Wenn ein Methodist davon redet, daß jemand
aus der Gnade gefallen sein soll, so muß er die Sache beweisen, und auf Be¬
weise ist kein Verlaß. Und wenn ein Presbyterianer vom Beharren spricht, so
hat er keine unbedingte Gewißheit ans seiner Seite. Aber Zahlen, die lügen
unter keinen Umständen, und Zahlen sinds, die zeigen, daß dieses Jahr das
letzte Jahr der Welt ist, und daß der jüngste Tag nahe herbeigekommen ist.
Ich bitte euch uicht, ans meine eignen Vorstellungen zu hören, auf keine Ver-
nunftgründe von jemand; alles, um Ums ich anch bitte, ist, der Stimme des
Mannes im leinenen Rocke Gehör zu geben, welcher zu Daniel sprach, und
dann auf die Stimme der Arithmetik zu lauschen und mit einfachen Addiren
die einfachste Additionssumme zustande zu bringen.
Nicht alle Milleritenprediger waren ganz so ungebildete Leute als Eider
Hankins, und es ist nur recht und billig, wenn ich sage, daß die Adveutisten
von heutzutage eine sehr achtbare religiöse Genossenschaft sind, die eine Arbeit
thut, welche mehr Anerkennung von andern verdient, als ihr in Wirklichkeit zu
Teil wird. Für die Täuschung, welche das Erscheinen des jüngsten Tages für
unmittelbar bevorstehend hält, sind die Führer der Adventisten nicht um erster
Stelle verantwortlich. Vom Gnostizismus bis zum Mvrmoneutmn ist jede reli¬
giöse Täuschung aus einem Grundirrtum in der vorgängigen religiösen Be¬
lehrung des Volles hervorgegangen. Durch die engherzige Methode, die heilige
Schrift wörtlich zu nehmen, eine Methode, die bei den polemischen Erörterungen
der letzten Generation so beliebt war, und der viele Leute noch jetzt eifrig zu¬
gethan sind, wurde für deu Millerismns der Grund gelegt. Und heutzutage
ist in vielen Gegenden der Boden gedüngt für den nächsten Fanatismus. Es
fragt sich mir, wer zuerst säen und ernten wird. Für Leute wie diejenigen,
welche sich im Schulhause zu Sngar Grove versammelt hatten, um den Geist
der Schrift dnrch Dehnung und Verdrehung des Buchstabens zu zerstören und
so den Beweis zu führen, daß ihre Sekte Recht habe, konnte nichts von so über¬
wältigender Wirkung sein als die Zahlen Eider Hankins.
Denn er hatte offenbar das Studium von Zahlen so eifrig betrieben, daß
dabei die andern Zweige einer höhern Bildung zu kurz gekommen waren. Seine
Beweisführung war auf eine große Papptafel gedruckt. Er begann mit den
siebzig Wochen Daniels, er addirte dazu, die „Zeit, die Zeiten und eine halbe
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |