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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

um Einklang mit der Bildung der Erde tragen wir wiederum dieses edelste
Organ der Sonne am nächsten, so das; gleichsam auf den Köpfen ihrer Menschen
die Erde auf ihrer himmlischen Bahn rollt, mit deren Gehirn am stärksten teil¬
nehmend an der Liebe ihrer Mutter, der Souue, und aller Gestirne. In dem
menschlichen Gehirn aber wiederum sind die Organe der edelsten Fähigkeiten zu
oberst geordnet, so daß auch in der äußern Bildung, dem innern Gesetz gemäß,
die Harmonie des Ganzen erkennbar ist, und das Bewußtsein der Gottheit, das
heißt die Religion, auch dem Auge erkennbar das Band bildet, welches irdisches
und überirdisches Leben mit einander verknüpft, unten an die Erde, oben an den
Himmel gebunden.

Was meinst du, mein Vater, redet nicht die Gottheit eine verständliche
Sprache? Ich sollte denken, daß sie sich klar ausdrückte in den Gesetzen der
Natur, und daß ihr Wort für uns Menschen in den Gesetzen unsrer Natur deutlich
vorgeschrieben wäre. Darum ist wohl, was wir Liebe nennen, Liebe zu Gott
und den gleichen Geschöpfen, die mit uns in derselben Mutter Erde wurzeln,
nichts andres als der willige Gehorsam gegen die Vorschriften unsrer Natur.
Liebe nennen wir ihn bei den Menschen auf der Erde, Schwerkraft nennen wir
ihn bei den Gestirnen im Himmel. Es ist der Gehorsam gegen die Gesetze seiner
Natur, welche deu Menschen selig macht, und das ist es, was die Thyrsos-
träger nur zu ahnen vermögen, gleich den Leuten in nächtlicher Dämmerung,
was die Bakchen aber wissen und befolgen. Denn so wie die Sonne nicht nur
die Sichtbarkeit der durch das Auge erkennbaren Dinge bewirkt, sondern auch
deren Werden und Wachsen, so verleiht die Gottheit nicht nur die Erkenntnis
der durch die Vernunft zu erfassender Dinge, sondern diesen selbst das Wesen
und die Wirklichkeit.




Die Sonne ging nnter, und mit ihrem letzten Licht schien sie das Leben
des todkranken Jünglings hinwegzunehmen. Eine friedliche Ruhe löste den be¬
wegten geistigen Ausdruck seiner Züge auf, und, die Hände seiner Eltern mit
einem letzten schwachen Druck erfassend, lächelte er ihnen zu, und es erstarb sem
Atem mit einem leichten Seufzer.




Schluß.

Als die Nachricht vou Ephraims Tode zu den befreundeten Kreisen in
Heidelberg gelaugte, entlockte sie den Augen der jungen Schauspielerin und den
Augen Flörchens heiße Thränen. Während aber die erstere für immer ein
schmerzliches Andenken an den ideal gesinnten Freund zu bewahren bestimmt
war, tröstete sich Flörchen mit großer Schnelligkeit. Sie wandte schon sehr


Bakchen und Thyrsosträger.

um Einklang mit der Bildung der Erde tragen wir wiederum dieses edelste
Organ der Sonne am nächsten, so das; gleichsam auf den Köpfen ihrer Menschen
die Erde auf ihrer himmlischen Bahn rollt, mit deren Gehirn am stärksten teil¬
nehmend an der Liebe ihrer Mutter, der Souue, und aller Gestirne. In dem
menschlichen Gehirn aber wiederum sind die Organe der edelsten Fähigkeiten zu
oberst geordnet, so daß auch in der äußern Bildung, dem innern Gesetz gemäß,
die Harmonie des Ganzen erkennbar ist, und das Bewußtsein der Gottheit, das
heißt die Religion, auch dem Auge erkennbar das Band bildet, welches irdisches
und überirdisches Leben mit einander verknüpft, unten an die Erde, oben an den
Himmel gebunden.

Was meinst du, mein Vater, redet nicht die Gottheit eine verständliche
Sprache? Ich sollte denken, daß sie sich klar ausdrückte in den Gesetzen der
Natur, und daß ihr Wort für uns Menschen in den Gesetzen unsrer Natur deutlich
vorgeschrieben wäre. Darum ist wohl, was wir Liebe nennen, Liebe zu Gott
und den gleichen Geschöpfen, die mit uns in derselben Mutter Erde wurzeln,
nichts andres als der willige Gehorsam gegen die Vorschriften unsrer Natur.
Liebe nennen wir ihn bei den Menschen auf der Erde, Schwerkraft nennen wir
ihn bei den Gestirnen im Himmel. Es ist der Gehorsam gegen die Gesetze seiner
Natur, welche deu Menschen selig macht, und das ist es, was die Thyrsos-
träger nur zu ahnen vermögen, gleich den Leuten in nächtlicher Dämmerung,
was die Bakchen aber wissen und befolgen. Denn so wie die Sonne nicht nur
die Sichtbarkeit der durch das Auge erkennbaren Dinge bewirkt, sondern auch
deren Werden und Wachsen, so verleiht die Gottheit nicht nur die Erkenntnis
der durch die Vernunft zu erfassender Dinge, sondern diesen selbst das Wesen
und die Wirklichkeit.




Die Sonne ging nnter, und mit ihrem letzten Licht schien sie das Leben
des todkranken Jünglings hinwegzunehmen. Eine friedliche Ruhe löste den be¬
wegten geistigen Ausdruck seiner Züge auf, und, die Hände seiner Eltern mit
einem letzten schwachen Druck erfassend, lächelte er ihnen zu, und es erstarb sem
Atem mit einem leichten Seufzer.




Schluß.

Als die Nachricht vou Ephraims Tode zu den befreundeten Kreisen in
Heidelberg gelaugte, entlockte sie den Augen der jungen Schauspielerin und den
Augen Flörchens heiße Thränen. Während aber die erstere für immer ein
schmerzliches Andenken an den ideal gesinnten Freund zu bewahren bestimmt
war, tröstete sich Flörchen mit großer Schnelligkeit. Sie wandte schon sehr


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[0194] Bakchen und Thyrsosträger. um Einklang mit der Bildung der Erde tragen wir wiederum dieses edelste Organ der Sonne am nächsten, so das; gleichsam auf den Köpfen ihrer Menschen die Erde auf ihrer himmlischen Bahn rollt, mit deren Gehirn am stärksten teil¬ nehmend an der Liebe ihrer Mutter, der Souue, und aller Gestirne. In dem menschlichen Gehirn aber wiederum sind die Organe der edelsten Fähigkeiten zu oberst geordnet, so daß auch in der äußern Bildung, dem innern Gesetz gemäß, die Harmonie des Ganzen erkennbar ist, und das Bewußtsein der Gottheit, das heißt die Religion, auch dem Auge erkennbar das Band bildet, welches irdisches und überirdisches Leben mit einander verknüpft, unten an die Erde, oben an den Himmel gebunden. Was meinst du, mein Vater, redet nicht die Gottheit eine verständliche Sprache? Ich sollte denken, daß sie sich klar ausdrückte in den Gesetzen der Natur, und daß ihr Wort für uns Menschen in den Gesetzen unsrer Natur deutlich vorgeschrieben wäre. Darum ist wohl, was wir Liebe nennen, Liebe zu Gott und den gleichen Geschöpfen, die mit uns in derselben Mutter Erde wurzeln, nichts andres als der willige Gehorsam gegen die Vorschriften unsrer Natur. Liebe nennen wir ihn bei den Menschen auf der Erde, Schwerkraft nennen wir ihn bei den Gestirnen im Himmel. Es ist der Gehorsam gegen die Gesetze seiner Natur, welche deu Menschen selig macht, und das ist es, was die Thyrsos- träger nur zu ahnen vermögen, gleich den Leuten in nächtlicher Dämmerung, was die Bakchen aber wissen und befolgen. Denn so wie die Sonne nicht nur die Sichtbarkeit der durch das Auge erkennbaren Dinge bewirkt, sondern auch deren Werden und Wachsen, so verleiht die Gottheit nicht nur die Erkenntnis der durch die Vernunft zu erfassender Dinge, sondern diesen selbst das Wesen und die Wirklichkeit. Die Sonne ging nnter, und mit ihrem letzten Licht schien sie das Leben des todkranken Jünglings hinwegzunehmen. Eine friedliche Ruhe löste den be¬ wegten geistigen Ausdruck seiner Züge auf, und, die Hände seiner Eltern mit einem letzten schwachen Druck erfassend, lächelte er ihnen zu, und es erstarb sem Atem mit einem leichten Seufzer. Schluß. Als die Nachricht vou Ephraims Tode zu den befreundeten Kreisen in Heidelberg gelaugte, entlockte sie den Augen der jungen Schauspielerin und den Augen Flörchens heiße Thränen. Während aber die erstere für immer ein schmerzliches Andenken an den ideal gesinnten Freund zu bewahren bestimmt war, tröstete sich Flörchen mit großer Schnelligkeit. Sie wandte schon sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/194>, abgerufen am 29.06.2024.