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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Neueste Blüten deutscher Lyrik.
von Paul Schönfeld.

cum einer von der kindischen Gewohnheit nicht lassen kann, sich die
Finger mit Tinte zu beschmutzen, unter dein Vorwande, die Welt
zu erleuchten oder zu ergötze", so mag er, wenn er will, schlechte
Romane und elende Dramen schreiben --- aber nnr jn keine Verse!
Ist aber der Unglückliche wirklich von dem t-umtieus error des Verse-
nmchens besessen, hat sich sein Geist infolge eines eingebornen Cre-
tinismus auf jenes langweilige Geduldsspiel ccipricirt, eine gegebene Anzahl von
Worten in einen gegebenen Raum von Zeilen unterzubringen, ist er durch einen
intellectuellen Veitstanz dazu verurtheilt, in jenen Sprüngen zu denken, die man
Strophen nennt, so möge er sich doch um Himmelswillen nicht öffentlich zur Schon
stellen, er reservire sich für seine Freunde nud seine Hausmagd oder für den Zweck,
seine Gläubiger zu schrecken und in die Flucht zu schlagen. Denn Verse zu machen
ist in Italien ein verworfener Beruf und ein anrüchiges Handwerk.

Diese pessimistisch klingenden, aber leider nur zu begründeten Worte, die einer
der hervorragendsten zeitgenössischen Poeten Italiens, Giosus Cardueci, in jüngster
Vergangenheit seinen Landsleuten zurief, dürften in gleichem Maße ihre Geltung
beanspruchen, wenn sie an eine gewisse Gattung deutscher "Lyriker" gerichtet wären,
die in wahrhaft grnusencrregcnder, ihren welschen Rivalen in nichts nachstehender
Menge unsern Büchermarkt überschwemmen. Wenn das Interesse selbst literatur-
frenndlicher Kreise für die Erscheinungen dieser Lyrik in keinem Verhältniß hierzu
steht, sondern in stetem Abnehmen begriffen ist, so kann der Grund davon schwerlich
allein in der relativ nüchternen Richtung gesucht werden, durch welche sich ja die
Gegenwart unleugbar von den ersten Decennien dieses Jahrhunderts unterscheidet;
wie könnten sonst Werke der Erzählungsliteratur, die um abenteuerlicher Phnntastik
ihres gleichen suchen, sich eines so dankbaren Publicums erfreuen? Wir glauben
nicht fehlzugehen, wenn wir vielmehr die Hauptursache in dem Poetischen Angebot
erblicken, in dem Mangel an Gehalt und Originalität einerseits, andrerseits in
der dilettantischen Unreife und Formlosigkeit, die sich ans diesem Gebiete neuer¬
dings dermaßen breit machen, daß man es Leuten von einigem Geschmack nicht
verargen kann, wenn sie nach einer Reihe schlimmer Erfnhrnngen auch durch die
anerkennendste Kritik nicht mehr zur Lectüre einer Gedichtsammlung sich angereizt
fühlen , sondern in die allgemeine Jeremiade über das Darniederliegen der Poesie
einstimmen.

Wenn bei so bewandten Umständen etwas Verwunderung erregt, so ist es
die Thatsache, daß auch das werthloseste Machwerk, dem die Pure Impotenz an
der Stirn geschrieben steht, unter den Verlegern seinen Charon findet, der es
zum Ufer einer schattenhaften Existenz hinüberleitet, und es regt sich beim Durch¬
blättern so manches splendid ausgestatteten Buches unwillkürlich der Zweifel, ob
die Verlagshandlung es wirklich gewagt hat, die Herstellungskosten zu tragen
oder nur auf das Risico des Autors hin sich zur Uebernahme der Pathenstelle hat
bereit finden lassen.

Die ernsthafte Kritik, wird mancher meinen, welche lohnendere Aufgaben zu
erfüllen hat, könnte Druckwerke, denen jede empfehlenswerthe Eigenschaft abgeht,


Neueste Blüten deutscher Lyrik.
von Paul Schönfeld.

cum einer von der kindischen Gewohnheit nicht lassen kann, sich die
Finger mit Tinte zu beschmutzen, unter dein Vorwande, die Welt
zu erleuchten oder zu ergötze«, so mag er, wenn er will, schlechte
Romane und elende Dramen schreiben —- aber nnr jn keine Verse!
Ist aber der Unglückliche wirklich von dem t-umtieus error des Verse-
nmchens besessen, hat sich sein Geist infolge eines eingebornen Cre-
tinismus auf jenes langweilige Geduldsspiel ccipricirt, eine gegebene Anzahl von
Worten in einen gegebenen Raum von Zeilen unterzubringen, ist er durch einen
intellectuellen Veitstanz dazu verurtheilt, in jenen Sprüngen zu denken, die man
Strophen nennt, so möge er sich doch um Himmelswillen nicht öffentlich zur Schon
stellen, er reservire sich für seine Freunde nud seine Hausmagd oder für den Zweck,
seine Gläubiger zu schrecken und in die Flucht zu schlagen. Denn Verse zu machen
ist in Italien ein verworfener Beruf und ein anrüchiges Handwerk.

Diese pessimistisch klingenden, aber leider nur zu begründeten Worte, die einer
der hervorragendsten zeitgenössischen Poeten Italiens, Giosus Cardueci, in jüngster
Vergangenheit seinen Landsleuten zurief, dürften in gleichem Maße ihre Geltung
beanspruchen, wenn sie an eine gewisse Gattung deutscher „Lyriker" gerichtet wären,
die in wahrhaft grnusencrregcnder, ihren welschen Rivalen in nichts nachstehender
Menge unsern Büchermarkt überschwemmen. Wenn das Interesse selbst literatur-
frenndlicher Kreise für die Erscheinungen dieser Lyrik in keinem Verhältniß hierzu
steht, sondern in stetem Abnehmen begriffen ist, so kann der Grund davon schwerlich
allein in der relativ nüchternen Richtung gesucht werden, durch welche sich ja die
Gegenwart unleugbar von den ersten Decennien dieses Jahrhunderts unterscheidet;
wie könnten sonst Werke der Erzählungsliteratur, die um abenteuerlicher Phnntastik
ihres gleichen suchen, sich eines so dankbaren Publicums erfreuen? Wir glauben
nicht fehlzugehen, wenn wir vielmehr die Hauptursache in dem Poetischen Angebot
erblicken, in dem Mangel an Gehalt und Originalität einerseits, andrerseits in
der dilettantischen Unreife und Formlosigkeit, die sich ans diesem Gebiete neuer¬
dings dermaßen breit machen, daß man es Leuten von einigem Geschmack nicht
verargen kann, wenn sie nach einer Reihe schlimmer Erfnhrnngen auch durch die
anerkennendste Kritik nicht mehr zur Lectüre einer Gedichtsammlung sich angereizt
fühlen , sondern in die allgemeine Jeremiade über das Darniederliegen der Poesie
einstimmen.

Wenn bei so bewandten Umständen etwas Verwunderung erregt, so ist es
die Thatsache, daß auch das werthloseste Machwerk, dem die Pure Impotenz an
der Stirn geschrieben steht, unter den Verlegern seinen Charon findet, der es
zum Ufer einer schattenhaften Existenz hinüberleitet, und es regt sich beim Durch¬
blättern so manches splendid ausgestatteten Buches unwillkürlich der Zweifel, ob
die Verlagshandlung es wirklich gewagt hat, die Herstellungskosten zu tragen
oder nur auf das Risico des Autors hin sich zur Uebernahme der Pathenstelle hat
bereit finden lassen.

Die ernsthafte Kritik, wird mancher meinen, welche lohnendere Aufgaben zu
erfüllen hat, könnte Druckwerke, denen jede empfehlenswerthe Eigenschaft abgeht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/503>, abgerufen am 01.09.2024.