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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^330.

sorties vorstehen, die Zeit nehmen, um jahraus jahrein zu "lagen" und Gesetze
machen zu helfen? Da geht nun durch die ganze Welt und durch Deutschland am
lautesten der Jammer, das Ansehen des Parlamentarismus werde herabgewür¬
digt, und wieder sucht man den Uebelthäter eifrigst an allen Orten, nur nicht
da, wo er steckt. Die professionsmäßige Gesetzmacherei, das Fraetions- und Cliquen-
unwesen, dazu in manchen Ländern noch die persönliche Ausbeutung der Ver¬
trauens- und Machtstellung: das ist es, was die Bevölkerung gegen den Par¬
lamentarismus eingenommen hat. Diese Mißstimmung kann momentan über¬
täubt werden, allem sie wird stetig wachsen und das ganze parlamentarische
Wesen in Mißcredit bringen, wenn nicht die Parlamentarier selbst zur Einsicht
kommen. Ein Radicalmittel giebt es, um zu verbinden, daß die Völker frei¬
willig auf parlamentarische Controle verzichten: Wiederherstellung eines Systems
ständischer Wahlen in zeitgemäßer Form. Wenn man das nicht will, sollte
mau dankbar der Idee zustimmen, die Vorberathung der Gesetzvorlagen in
nov berufene Versammlungen von Fachmännern zu verlegen. Aber dort sollen
nur Vertrauensmänner der Regierung zusammenkommen, nicht die Auserwählten
der Nation! O über die Spiegelfechterei! Wenn von 1000 Wahlberechtigten
sich 30V zur Wahl einfinden, und von diesen 161 ihre Stimme einem Gamin
g, la Richter oder einem Komiker wie unser Karl Braun oder dein unschuldigen
"Dichter" Träger geben, so sind diese die Auserwählten der 1000. Jene Or¬
thodoxie, welcher das Parlament Selbstzweck ist, so wie viele Leute turnen, um
zu turnen, nicht um die Muskeln zu kräftigen und den Blutumlauf zu fördern,
verliert von Tag zu Tag an Anhang und steht in Gefahr, dem Schicksal der
alten Büreaukratie zu verfallen und zwar je eher, je "cousequenter" sie auf ihrem
Schein besteht. Unsre Hoffnung beruht auf der von der liberalen Presse ver¬
unglimpften Jugend, die unbeirrt durch veraltete Lehrmeinungen wieder das
Banner entfaltet, welches auch über unsern jungen Häuptern wallte, das Banner
des Vaterlandes.




Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^830.
von Moritz Berndt.

er Zeitraum von 1813 bis 1815 war sür Sachsen, insbesondere für
Dresden, tiefschmerzlich und verlustreich gewesen. Während der
ganzen Dauer des Jahres 1813 hatte Dresden eine zahlreiche
eindliche Besatzung in seinen Mauern gehabt; dann ward vor
einen Thoren eine blutige dreitägige Schlacht geschlagen, und bis
in den November hinein mußte es eine harte Belagerung aushalten. Die Bilder


Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^330.

sorties vorstehen, die Zeit nehmen, um jahraus jahrein zu „lagen" und Gesetze
machen zu helfen? Da geht nun durch die ganze Welt und durch Deutschland am
lautesten der Jammer, das Ansehen des Parlamentarismus werde herabgewür¬
digt, und wieder sucht man den Uebelthäter eifrigst an allen Orten, nur nicht
da, wo er steckt. Die professionsmäßige Gesetzmacherei, das Fraetions- und Cliquen-
unwesen, dazu in manchen Ländern noch die persönliche Ausbeutung der Ver¬
trauens- und Machtstellung: das ist es, was die Bevölkerung gegen den Par¬
lamentarismus eingenommen hat. Diese Mißstimmung kann momentan über¬
täubt werden, allem sie wird stetig wachsen und das ganze parlamentarische
Wesen in Mißcredit bringen, wenn nicht die Parlamentarier selbst zur Einsicht
kommen. Ein Radicalmittel giebt es, um zu verbinden, daß die Völker frei¬
willig auf parlamentarische Controle verzichten: Wiederherstellung eines Systems
ständischer Wahlen in zeitgemäßer Form. Wenn man das nicht will, sollte
mau dankbar der Idee zustimmen, die Vorberathung der Gesetzvorlagen in
nov berufene Versammlungen von Fachmännern zu verlegen. Aber dort sollen
nur Vertrauensmänner der Regierung zusammenkommen, nicht die Auserwählten
der Nation! O über die Spiegelfechterei! Wenn von 1000 Wahlberechtigten
sich 30V zur Wahl einfinden, und von diesen 161 ihre Stimme einem Gamin
g, la Richter oder einem Komiker wie unser Karl Braun oder dein unschuldigen
„Dichter" Träger geben, so sind diese die Auserwählten der 1000. Jene Or¬
thodoxie, welcher das Parlament Selbstzweck ist, so wie viele Leute turnen, um
zu turnen, nicht um die Muskeln zu kräftigen und den Blutumlauf zu fördern,
verliert von Tag zu Tag an Anhang und steht in Gefahr, dem Schicksal der
alten Büreaukratie zu verfallen und zwar je eher, je „cousequenter" sie auf ihrem
Schein besteht. Unsre Hoffnung beruht auf der von der liberalen Presse ver¬
unglimpften Jugend, die unbeirrt durch veraltete Lehrmeinungen wieder das
Banner entfaltet, welches auch über unsern jungen Häuptern wallte, das Banner
des Vaterlandes.




Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^830.
von Moritz Berndt.

er Zeitraum von 1813 bis 1815 war sür Sachsen, insbesondere für
Dresden, tiefschmerzlich und verlustreich gewesen. Während der
ganzen Dauer des Jahres 1813 hatte Dresden eine zahlreiche
eindliche Besatzung in seinen Mauern gehabt; dann ward vor
einen Thoren eine blutige dreitägige Schlacht geschlagen, und bis
in den November hinein mußte es eine harte Belagerung aushalten. Die Bilder


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[0450] Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^330. sorties vorstehen, die Zeit nehmen, um jahraus jahrein zu „lagen" und Gesetze machen zu helfen? Da geht nun durch die ganze Welt und durch Deutschland am lautesten der Jammer, das Ansehen des Parlamentarismus werde herabgewür¬ digt, und wieder sucht man den Uebelthäter eifrigst an allen Orten, nur nicht da, wo er steckt. Die professionsmäßige Gesetzmacherei, das Fraetions- und Cliquen- unwesen, dazu in manchen Ländern noch die persönliche Ausbeutung der Ver¬ trauens- und Machtstellung: das ist es, was die Bevölkerung gegen den Par¬ lamentarismus eingenommen hat. Diese Mißstimmung kann momentan über¬ täubt werden, allem sie wird stetig wachsen und das ganze parlamentarische Wesen in Mißcredit bringen, wenn nicht die Parlamentarier selbst zur Einsicht kommen. Ein Radicalmittel giebt es, um zu verbinden, daß die Völker frei¬ willig auf parlamentarische Controle verzichten: Wiederherstellung eines Systems ständischer Wahlen in zeitgemäßer Form. Wenn man das nicht will, sollte mau dankbar der Idee zustimmen, die Vorberathung der Gesetzvorlagen in nov berufene Versammlungen von Fachmännern zu verlegen. Aber dort sollen nur Vertrauensmänner der Regierung zusammenkommen, nicht die Auserwählten der Nation! O über die Spiegelfechterei! Wenn von 1000 Wahlberechtigten sich 30V zur Wahl einfinden, und von diesen 161 ihre Stimme einem Gamin g, la Richter oder einem Komiker wie unser Karl Braun oder dein unschuldigen „Dichter" Träger geben, so sind diese die Auserwählten der 1000. Jene Or¬ thodoxie, welcher das Parlament Selbstzweck ist, so wie viele Leute turnen, um zu turnen, nicht um die Muskeln zu kräftigen und den Blutumlauf zu fördern, verliert von Tag zu Tag an Anhang und steht in Gefahr, dem Schicksal der alten Büreaukratie zu verfallen und zwar je eher, je „cousequenter" sie auf ihrem Schein besteht. Unsre Hoffnung beruht auf der von der liberalen Presse ver¬ unglimpften Jugend, die unbeirrt durch veraltete Lehrmeinungen wieder das Banner entfaltet, welches auch über unsern jungen Häuptern wallte, das Banner des Vaterlandes. Dresdener Zustände in den Jahren ^8^5 bis ^830. von Moritz Berndt. er Zeitraum von 1813 bis 1815 war sür Sachsen, insbesondere für Dresden, tiefschmerzlich und verlustreich gewesen. Während der ganzen Dauer des Jahres 1813 hatte Dresden eine zahlreiche eindliche Besatzung in seinen Mauern gehabt; dann ward vor einen Thoren eine blutige dreitägige Schlacht geschlagen, und bis in den November hinein mußte es eine harte Belagerung aushalten. Die Bilder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/450>, abgerufen am 24.11.2024.