Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein liberaler österreichischer Minister.

ir sind in den letzten Tilgen zuweilen Artikeln der Tagespresse
begegnet, in welchen die liberalen Parlamentarier, deren Partei
bis vor einiger Zeit in Oesterreich das große Wort führte und
mehrere Jahre die Zügel der Regierung in den Hunde" hielt, jetzt
aber kläglich abgewirtschaftet hat, in das Licht der Wahrheit ge¬
stellt wurden, wobei uns mitunter auffallende Aehnlichkeiten mit gewissen Führern
unsrer eignen liberalen Parteien aufstießen. Im folgenden geben wir zu jenen
Charakteristiken einen Beitrag aus guter Quelle, der insofern von besondern!
Interesse ist, als er ein Mitglied des Ministeriums Auersperg betrifft, eines
Ministeriums, das, wenigstens seinem Denken und Wollen nach, so recht nach
dein Herzen der österreichischen Liberalen war, und als sich in ihm der gedachte
Staatsmann selbst auf eine Weise charnkterisirt, die wenig zu wünschen übrig laßt.

Der Minister, den wir im Auge haben, ist der vormalige Justizminister
or. Glaser, von dem das große Publicum in Deutschland bisher Wohl nur
wußte, daß er sich mit Vornamen Julius Anton nannte, daß er sich als Docent
und Schriftsteller auf dem Gebiete des Strafrechts bekannt gemacht, daß er ein
eifriges Mitglied des deutschen Juristentags gewesen, und daß er im österreichischen
Abgeordnetenhause auf den Bänken der Linken eine Rolle gespielt, bis er sich
1871 das Portefeuille der Justiz erstrebt hatte. Genauere Kenner der Ver¬
hältnisse wußten auch, daß er ein getaufter Jude aus dem böhmischen Städtchen
Postelberg war und früher Jehoschua geheißen hatte. 1872 aber erschien
in Berlin unter dem Titel: Ein österreichischer Minister und sein Vater
eine Flugschrift, in welcher der anonyme Verfasser erzählte, daß er während
eines länger" Aufenthaltes in Teplitz die Bekanntschaft, eines alten Herrn ge¬
macht, von dem er bald erfahren, daß er der Vater des österreichischen Justiz-
ministers Dr. Glaser sei, und der ihm einige Zeit später einen Brief des letztern
mitgetheilt habe, welchen er, der Verfasser der kleinen Schrift, dann theilweise
folgen ließ. Diese interessante Epistel lautet folgendermaßen:


"Theuerster Vater!

Dieses mein Schreiben soll Sie über meine Stellung nicht allein beruhigen,
sondern Ihnen auch die Ueberzeugung verschaffen, wie sich dieselbe von Tag zu
Tag befestigt. Noch ein Jahr und das von Gott nuserwählte Volk ist am Ziele
seiner zu Paris geschlossenen heiligen Allianz.*) -- Heute können wir schon mit
Stolz behaupten, daß selbst gekrönte Häupter sich vor unsrer Macht dadurch beugen,
daß sie die innigsten Verbindungen mit uns suchen, nach unsern Rathschlägen mit



*) Die ^lliemog Israslits ist nemeint.
Ein liberaler österreichischer Minister.

ir sind in den letzten Tilgen zuweilen Artikeln der Tagespresse
begegnet, in welchen die liberalen Parlamentarier, deren Partei
bis vor einiger Zeit in Oesterreich das große Wort führte und
mehrere Jahre die Zügel der Regierung in den Hunde» hielt, jetzt
aber kläglich abgewirtschaftet hat, in das Licht der Wahrheit ge¬
stellt wurden, wobei uns mitunter auffallende Aehnlichkeiten mit gewissen Führern
unsrer eignen liberalen Parteien aufstießen. Im folgenden geben wir zu jenen
Charakteristiken einen Beitrag aus guter Quelle, der insofern von besondern!
Interesse ist, als er ein Mitglied des Ministeriums Auersperg betrifft, eines
Ministeriums, das, wenigstens seinem Denken und Wollen nach, so recht nach
dein Herzen der österreichischen Liberalen war, und als sich in ihm der gedachte
Staatsmann selbst auf eine Weise charnkterisirt, die wenig zu wünschen übrig laßt.

Der Minister, den wir im Auge haben, ist der vormalige Justizminister
or. Glaser, von dem das große Publicum in Deutschland bisher Wohl nur
wußte, daß er sich mit Vornamen Julius Anton nannte, daß er sich als Docent
und Schriftsteller auf dem Gebiete des Strafrechts bekannt gemacht, daß er ein
eifriges Mitglied des deutschen Juristentags gewesen, und daß er im österreichischen
Abgeordnetenhause auf den Bänken der Linken eine Rolle gespielt, bis er sich
1871 das Portefeuille der Justiz erstrebt hatte. Genauere Kenner der Ver¬
hältnisse wußten auch, daß er ein getaufter Jude aus dem böhmischen Städtchen
Postelberg war und früher Jehoschua geheißen hatte. 1872 aber erschien
in Berlin unter dem Titel: Ein österreichischer Minister und sein Vater
eine Flugschrift, in welcher der anonyme Verfasser erzählte, daß er während
eines länger» Aufenthaltes in Teplitz die Bekanntschaft, eines alten Herrn ge¬
macht, von dem er bald erfahren, daß er der Vater des österreichischen Justiz-
ministers Dr. Glaser sei, und der ihm einige Zeit später einen Brief des letztern
mitgetheilt habe, welchen er, der Verfasser der kleinen Schrift, dann theilweise
folgen ließ. Diese interessante Epistel lautet folgendermaßen:


„Theuerster Vater!

Dieses mein Schreiben soll Sie über meine Stellung nicht allein beruhigen,
sondern Ihnen auch die Ueberzeugung verschaffen, wie sich dieselbe von Tag zu
Tag befestigt. Noch ein Jahr und das von Gott nuserwählte Volk ist am Ziele
seiner zu Paris geschlossenen heiligen Allianz.*) — Heute können wir schon mit
Stolz behaupten, daß selbst gekrönte Häupter sich vor unsrer Macht dadurch beugen,
daß sie die innigsten Verbindungen mit uns suchen, nach unsern Rathschlägen mit



*) Die ^lliemog Israslits ist nemeint.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150286"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein liberaler österreichischer Minister.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> ir sind in den letzten Tilgen zuweilen Artikeln der Tagespresse<lb/>
begegnet, in welchen die liberalen Parlamentarier, deren Partei<lb/>
bis vor einiger Zeit in Oesterreich das große Wort führte und<lb/>
mehrere Jahre die Zügel der Regierung in den Hunde» hielt, jetzt<lb/>
aber kläglich abgewirtschaftet hat, in das Licht der Wahrheit ge¬<lb/>
stellt wurden, wobei uns mitunter auffallende Aehnlichkeiten mit gewissen Führern<lb/>
unsrer eignen liberalen Parteien aufstießen. Im folgenden geben wir zu jenen<lb/>
Charakteristiken einen Beitrag aus guter Quelle, der insofern von besondern!<lb/>
Interesse ist, als er ein Mitglied des Ministeriums Auersperg betrifft, eines<lb/>
Ministeriums, das, wenigstens seinem Denken und Wollen nach, so recht nach<lb/>
dein Herzen der österreichischen Liberalen war, und als sich in ihm der gedachte<lb/>
Staatsmann selbst auf eine Weise charnkterisirt, die wenig zu wünschen übrig laßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_465"> Der Minister, den wir im Auge haben, ist der vormalige Justizminister<lb/>
or. Glaser, von dem das große Publicum in Deutschland bisher Wohl nur<lb/>
wußte, daß er sich mit Vornamen Julius Anton nannte, daß er sich als Docent<lb/>
und Schriftsteller auf dem Gebiete des Strafrechts bekannt gemacht, daß er ein<lb/>
eifriges Mitglied des deutschen Juristentags gewesen, und daß er im österreichischen<lb/>
Abgeordnetenhause auf den Bänken der Linken eine Rolle gespielt, bis er sich<lb/>
1871 das Portefeuille der Justiz erstrebt hatte. Genauere Kenner der Ver¬<lb/>
hältnisse wußten auch, daß er ein getaufter Jude aus dem böhmischen Städtchen<lb/>
Postelberg war und früher Jehoschua geheißen hatte. 1872 aber erschien<lb/>
in Berlin unter dem Titel: Ein österreichischer Minister und sein Vater<lb/>
eine Flugschrift, in welcher der anonyme Verfasser erzählte, daß er während<lb/>
eines länger» Aufenthaltes in Teplitz die Bekanntschaft, eines alten Herrn ge¬<lb/>
macht, von dem er bald erfahren, daß er der Vater des österreichischen Justiz-<lb/>
ministers Dr. Glaser sei, und der ihm einige Zeit später einen Brief des letztern<lb/>
mitgetheilt habe, welchen er, der Verfasser der kleinen Schrift, dann theilweise<lb/>
folgen ließ. Diese interessante Epistel lautet folgendermaßen:</p><lb/>
          <note type="salute"> &#x201E;Theuerster Vater!</note><lb/>
          <p xml:id="ID_466" next="#ID_467"> Dieses mein Schreiben soll Sie über meine Stellung nicht allein beruhigen,<lb/>
sondern Ihnen auch die Ueberzeugung verschaffen, wie sich dieselbe von Tag zu<lb/>
Tag befestigt. Noch ein Jahr und das von Gott nuserwählte Volk ist am Ziele<lb/>
seiner zu Paris geschlossenen heiligen Allianz.*) &#x2014; Heute können wir schon mit<lb/>
Stolz behaupten, daß selbst gekrönte Häupter sich vor unsrer Macht dadurch beugen,<lb/>
daß sie die innigsten Verbindungen mit uns suchen, nach unsern Rathschlägen mit</p><lb/>
          <note xml:id="FID_34" place="foot"> *) Die ^lliemog Israslits ist nemeint.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Ein liberaler österreichischer Minister. ir sind in den letzten Tilgen zuweilen Artikeln der Tagespresse begegnet, in welchen die liberalen Parlamentarier, deren Partei bis vor einiger Zeit in Oesterreich das große Wort führte und mehrere Jahre die Zügel der Regierung in den Hunde» hielt, jetzt aber kläglich abgewirtschaftet hat, in das Licht der Wahrheit ge¬ stellt wurden, wobei uns mitunter auffallende Aehnlichkeiten mit gewissen Führern unsrer eignen liberalen Parteien aufstießen. Im folgenden geben wir zu jenen Charakteristiken einen Beitrag aus guter Quelle, der insofern von besondern! Interesse ist, als er ein Mitglied des Ministeriums Auersperg betrifft, eines Ministeriums, das, wenigstens seinem Denken und Wollen nach, so recht nach dein Herzen der österreichischen Liberalen war, und als sich in ihm der gedachte Staatsmann selbst auf eine Weise charnkterisirt, die wenig zu wünschen übrig laßt. Der Minister, den wir im Auge haben, ist der vormalige Justizminister or. Glaser, von dem das große Publicum in Deutschland bisher Wohl nur wußte, daß er sich mit Vornamen Julius Anton nannte, daß er sich als Docent und Schriftsteller auf dem Gebiete des Strafrechts bekannt gemacht, daß er ein eifriges Mitglied des deutschen Juristentags gewesen, und daß er im österreichischen Abgeordnetenhause auf den Bänken der Linken eine Rolle gespielt, bis er sich 1871 das Portefeuille der Justiz erstrebt hatte. Genauere Kenner der Ver¬ hältnisse wußten auch, daß er ein getaufter Jude aus dem böhmischen Städtchen Postelberg war und früher Jehoschua geheißen hatte. 1872 aber erschien in Berlin unter dem Titel: Ein österreichischer Minister und sein Vater eine Flugschrift, in welcher der anonyme Verfasser erzählte, daß er während eines länger» Aufenthaltes in Teplitz die Bekanntschaft, eines alten Herrn ge¬ macht, von dem er bald erfahren, daß er der Vater des österreichischen Justiz- ministers Dr. Glaser sei, und der ihm einige Zeit später einen Brief des letztern mitgetheilt habe, welchen er, der Verfasser der kleinen Schrift, dann theilweise folgen ließ. Diese interessante Epistel lautet folgendermaßen: „Theuerster Vater! Dieses mein Schreiben soll Sie über meine Stellung nicht allein beruhigen, sondern Ihnen auch die Ueberzeugung verschaffen, wie sich dieselbe von Tag zu Tag befestigt. Noch ein Jahr und das von Gott nuserwählte Volk ist am Ziele seiner zu Paris geschlossenen heiligen Allianz.*) — Heute können wir schon mit Stolz behaupten, daß selbst gekrönte Häupter sich vor unsrer Macht dadurch beugen, daß sie die innigsten Verbindungen mit uns suchen, nach unsern Rathschlägen mit *) Die ^lliemog Israslits ist nemeint.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/136>, abgerufen am 24.12.2024.