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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zum Jubiläum eines Buches,

wird die Zukunft des Landes von dein Grade von Umsicht und Geschick abhängen,
mit welchem die Ministerien der Finanzen und der öffentlichen Arbeiten geleitet
werden.




Zum Jubiläum eines Buches.

er Sommer dieses Jahres bringt uns die Jubelfeier eines Ereignisses,
von dem eine neue Epoche in der Geschichte der Philosophie datirt.
Hundert Jahre sind verflossen, seitdem Kants "Kritik der reinen
Vernunft" erschien,. Seit der Neforma.ti.on des sechzehnten Jahr¬
hunderts hat die Geschichte wohl nichts zu verzeichnen, was auf
dem Gebiete des Geistes eine so tiefgehende und nachhaltige Umwälzung hervor¬
gerufen hätte wie die Kantische Philosophie, Und diese Umwälzung hat ihren
Quellpunkt hauptsächlich in jenem einen Buche, der "Kritik der reinen Vernunft."
Sie ist ein Werk, das an Tiefe der Speculation und an Kühnheit der Gedanken
fast einzig dasteht, dem sich von allen Büchern, die je geschrieben worden, jeden¬
falls nur wenige an die Seite stellen können, Kant stand bereits an der Schwelle
des Greisenalters, ein siebeuundfnnfzigjühriger Mann, als er das deutsche Volk
mit dieser reichsten Gabe seines Geistes beschenkte; zwölf Jahre ernsten Nach¬
denkens hatte er darauf verwendet, dann aber das Werk selbst, wie wir aus
einem seiner Briefe an Moses Mendelssohn ersehen, in vier bis fünf Monaten
niedergeschrieben, und zwar, wie er dort sagt, "mit größter Aufmerksamkeit auf
den Inhalt, aber weniger Fleiß auf deu Vortrag und Beförderung der leichten
Einsicht für den Leser," Letzeres ist leider nur zu wahr: Kant hat es seinen
Lesern durchaus nicht leicht gemacht. Während er in seinen früher erschienenen
kleinen Schriften leicht und gefällig schreibt, ist' der Stil seines Hauptwerkes
vielfach steif und schwerfällig. Sehr gut charakterisirt Kuno Fischer diese Schreib¬
art in seiner Geschichte der neuern Philosophie: "Um völlig gerecht zu sein,
mußte alles zur Sache gehörige auch ausgedrückt werden. So wurde die Last
eines Satzes oft groß, manches mußte in Parenthesen verpackt werden, um noch
in dem einen Satze mit fortzukommen. Solche Kantische Perioden schreiten
schwerfällig einher, wie Lastwagen, sie müssen gelesen und wieder gelesen, die
eingewickelten Sätze müssen auscinandcrgenvmmen, mit einem Worte die ganze
Periode muß förmlich ausgepackt werden, wenn man sie gründlich verstehen will."
Allerdings hat diese Schwierigkeit der Form die schließliche Wirkung des Buches
nicht verhindern können, aber sie hat sie doch immerhin verzögert; denn erst


Zum Jubiläum eines Buches,

wird die Zukunft des Landes von dein Grade von Umsicht und Geschick abhängen,
mit welchem die Ministerien der Finanzen und der öffentlichen Arbeiten geleitet
werden.




Zum Jubiläum eines Buches.

er Sommer dieses Jahres bringt uns die Jubelfeier eines Ereignisses,
von dem eine neue Epoche in der Geschichte der Philosophie datirt.
Hundert Jahre sind verflossen, seitdem Kants „Kritik der reinen
Vernunft" erschien,. Seit der Neforma.ti.on des sechzehnten Jahr¬
hunderts hat die Geschichte wohl nichts zu verzeichnen, was auf
dem Gebiete des Geistes eine so tiefgehende und nachhaltige Umwälzung hervor¬
gerufen hätte wie die Kantische Philosophie, Und diese Umwälzung hat ihren
Quellpunkt hauptsächlich in jenem einen Buche, der „Kritik der reinen Vernunft."
Sie ist ein Werk, das an Tiefe der Speculation und an Kühnheit der Gedanken
fast einzig dasteht, dem sich von allen Büchern, die je geschrieben worden, jeden¬
falls nur wenige an die Seite stellen können, Kant stand bereits an der Schwelle
des Greisenalters, ein siebeuundfnnfzigjühriger Mann, als er das deutsche Volk
mit dieser reichsten Gabe seines Geistes beschenkte; zwölf Jahre ernsten Nach¬
denkens hatte er darauf verwendet, dann aber das Werk selbst, wie wir aus
einem seiner Briefe an Moses Mendelssohn ersehen, in vier bis fünf Monaten
niedergeschrieben, und zwar, wie er dort sagt, „mit größter Aufmerksamkeit auf
den Inhalt, aber weniger Fleiß auf deu Vortrag und Beförderung der leichten
Einsicht für den Leser," Letzeres ist leider nur zu wahr: Kant hat es seinen
Lesern durchaus nicht leicht gemacht. Während er in seinen früher erschienenen
kleinen Schriften leicht und gefällig schreibt, ist' der Stil seines Hauptwerkes
vielfach steif und schwerfällig. Sehr gut charakterisirt Kuno Fischer diese Schreib¬
art in seiner Geschichte der neuern Philosophie: „Um völlig gerecht zu sein,
mußte alles zur Sache gehörige auch ausgedrückt werden. So wurde die Last
eines Satzes oft groß, manches mußte in Parenthesen verpackt werden, um noch
in dem einen Satze mit fortzukommen. Solche Kantische Perioden schreiten
schwerfällig einher, wie Lastwagen, sie müssen gelesen und wieder gelesen, die
eingewickelten Sätze müssen auscinandcrgenvmmen, mit einem Worte die ganze
Periode muß förmlich ausgepackt werden, wenn man sie gründlich verstehen will."
Allerdings hat diese Schwierigkeit der Form die schließliche Wirkung des Buches
nicht verhindern können, aber sie hat sie doch immerhin verzögert; denn erst


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[0540] Zum Jubiläum eines Buches, wird die Zukunft des Landes von dein Grade von Umsicht und Geschick abhängen, mit welchem die Ministerien der Finanzen und der öffentlichen Arbeiten geleitet werden. Zum Jubiläum eines Buches. er Sommer dieses Jahres bringt uns die Jubelfeier eines Ereignisses, von dem eine neue Epoche in der Geschichte der Philosophie datirt. Hundert Jahre sind verflossen, seitdem Kants „Kritik der reinen Vernunft" erschien,. Seit der Neforma.ti.on des sechzehnten Jahr¬ hunderts hat die Geschichte wohl nichts zu verzeichnen, was auf dem Gebiete des Geistes eine so tiefgehende und nachhaltige Umwälzung hervor¬ gerufen hätte wie die Kantische Philosophie, Und diese Umwälzung hat ihren Quellpunkt hauptsächlich in jenem einen Buche, der „Kritik der reinen Vernunft." Sie ist ein Werk, das an Tiefe der Speculation und an Kühnheit der Gedanken fast einzig dasteht, dem sich von allen Büchern, die je geschrieben worden, jeden¬ falls nur wenige an die Seite stellen können, Kant stand bereits an der Schwelle des Greisenalters, ein siebeuundfnnfzigjühriger Mann, als er das deutsche Volk mit dieser reichsten Gabe seines Geistes beschenkte; zwölf Jahre ernsten Nach¬ denkens hatte er darauf verwendet, dann aber das Werk selbst, wie wir aus einem seiner Briefe an Moses Mendelssohn ersehen, in vier bis fünf Monaten niedergeschrieben, und zwar, wie er dort sagt, „mit größter Aufmerksamkeit auf den Inhalt, aber weniger Fleiß auf deu Vortrag und Beförderung der leichten Einsicht für den Leser," Letzeres ist leider nur zu wahr: Kant hat es seinen Lesern durchaus nicht leicht gemacht. Während er in seinen früher erschienenen kleinen Schriften leicht und gefällig schreibt, ist' der Stil seines Hauptwerkes vielfach steif und schwerfällig. Sehr gut charakterisirt Kuno Fischer diese Schreib¬ art in seiner Geschichte der neuern Philosophie: „Um völlig gerecht zu sein, mußte alles zur Sache gehörige auch ausgedrückt werden. So wurde die Last eines Satzes oft groß, manches mußte in Parenthesen verpackt werden, um noch in dem einen Satze mit fortzukommen. Solche Kantische Perioden schreiten schwerfällig einher, wie Lastwagen, sie müssen gelesen und wieder gelesen, die eingewickelten Sätze müssen auscinandcrgenvmmen, mit einem Worte die ganze Periode muß förmlich ausgepackt werden, wenn man sie gründlich verstehen will." Allerdings hat diese Schwierigkeit der Form die schließliche Wirkung des Buches nicht verhindern können, aber sie hat sie doch immerhin verzögert; denn erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/540>, abgerufen am 23.07.2024.