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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Politische Briefe.

deutung und ist in ähnlicher Weise auch bei andern Völkern in frühern Zeiten
vielleicht im Gebrauche gewesen; aber im Kampfe des amerikanischen Lebens der
Gegenwart wird sie praktisch keinen Werth und keinen Erfolg haben. Bussy Herd
würde seinem Volksstamme eine große Wohlthat erweisen, wenn er sich selbst
und die seinigen recht bald davon überzeugen könnte und wollte, daß nur in der
Aeevmmvdirung an das Leben der weißen Bevölkerung der Vereinigten Staaten
das Heil der Indianer liegt, und daß die Aufrechterhaltung eines patriarchalischen
Sonderstaates im Innern der Union auf die Dauer ganz unmöglich ist.




politische Briefe. 3. Die zweite Berathung der Unfallversicherung im Reichstage.

höricht ist die Rede, deren sich wohlmeinende Oberflächlichkeit gerne
bedient, daß ein Mann seiner Zeit vorauseile. Nicht vorauszu-
eilen in eine Zeit, die, ehe sie ist, gnr nichts ist, vermag die
Geisteskraft; seine Zeit vollkommen verstehen, ans ihren leben¬
digen Bedingungen und Möglichkeiten durch schöpferisches Wirken
die Gegenwart auf eine vollkommnere und gesicherte Stufe des Daseins er¬
heben, das allein ist Weisheit und geschichtliche Größe. Die künftige Zeit ist
die Tochter der Gegenwart. Es wäre ein leeres Thun, sich mit einem Wesen
zu beschäftigen, das noch nicht erzeugt ist, von dem niemand weiß, ob es als
schwache, mißlungene Bildung oder mit kräftigen Lebenskeimen in die Reihe der
Erscheinungen versetzt werden wird. Daß aber ein überlegener Mensch mit seinem
Verständniß der Gegenwart allein bleibt und, weil er seinem Verständniß keine
Bahn brechen kann, die Saaten der Zukunft verderben sieht, das ist ein tragisches
Geschick, dessen Beispiele der Geschichte nicht fremd sind.

Ein Schatten von solchen Geschick fällt jetzt auf unsern Kanzler. Man
hält ihn für einen Reactionär, weil er der Pflicht der Gegenwart entsprechen
will, die kurzsichtige Zeitgenossen nicht sehen. Als das Ausnahmegesetz gegen
die Socialdemokratie im Herbst 1878 erlassen wurde, da wurde die Ankündigung,
daß der repressiven Maßregel heilende Mittel zur Abhilfe der Arbeiternoth folgen
würden, mit allgemeinem Beifall, freilich auch mit skeptischen Mienen verschieden¬
gearteter Ungläubigen aufgenommen. Nicht nur die Ungläubigen, denen jede
Heilung der socialen Disharmonie ein Utopien scheint, auch die andern, die keinen
Weg anzugeben wissen und deshalb meinen, daß sobald keiner zu finden sei, sie
alle freuten sich im Stillen, daß die Reichsregierung zu dem Bekenntniß, ihr


Politische Briefe.

deutung und ist in ähnlicher Weise auch bei andern Völkern in frühern Zeiten
vielleicht im Gebrauche gewesen; aber im Kampfe des amerikanischen Lebens der
Gegenwart wird sie praktisch keinen Werth und keinen Erfolg haben. Bussy Herd
würde seinem Volksstamme eine große Wohlthat erweisen, wenn er sich selbst
und die seinigen recht bald davon überzeugen könnte und wollte, daß nur in der
Aeevmmvdirung an das Leben der weißen Bevölkerung der Vereinigten Staaten
das Heil der Indianer liegt, und daß die Aufrechterhaltung eines patriarchalischen
Sonderstaates im Innern der Union auf die Dauer ganz unmöglich ist.




politische Briefe. 3. Die zweite Berathung der Unfallversicherung im Reichstage.

höricht ist die Rede, deren sich wohlmeinende Oberflächlichkeit gerne
bedient, daß ein Mann seiner Zeit vorauseile. Nicht vorauszu-
eilen in eine Zeit, die, ehe sie ist, gnr nichts ist, vermag die
Geisteskraft; seine Zeit vollkommen verstehen, ans ihren leben¬
digen Bedingungen und Möglichkeiten durch schöpferisches Wirken
die Gegenwart auf eine vollkommnere und gesicherte Stufe des Daseins er¬
heben, das allein ist Weisheit und geschichtliche Größe. Die künftige Zeit ist
die Tochter der Gegenwart. Es wäre ein leeres Thun, sich mit einem Wesen
zu beschäftigen, das noch nicht erzeugt ist, von dem niemand weiß, ob es als
schwache, mißlungene Bildung oder mit kräftigen Lebenskeimen in die Reihe der
Erscheinungen versetzt werden wird. Daß aber ein überlegener Mensch mit seinem
Verständniß der Gegenwart allein bleibt und, weil er seinem Verständniß keine
Bahn brechen kann, die Saaten der Zukunft verderben sieht, das ist ein tragisches
Geschick, dessen Beispiele der Geschichte nicht fremd sind.

Ein Schatten von solchen Geschick fällt jetzt auf unsern Kanzler. Man
hält ihn für einen Reactionär, weil er der Pflicht der Gegenwart entsprechen
will, die kurzsichtige Zeitgenossen nicht sehen. Als das Ausnahmegesetz gegen
die Socialdemokratie im Herbst 1878 erlassen wurde, da wurde die Ankündigung,
daß der repressiven Maßregel heilende Mittel zur Abhilfe der Arbeiternoth folgen
würden, mit allgemeinem Beifall, freilich auch mit skeptischen Mienen verschieden¬
gearteter Ungläubigen aufgenommen. Nicht nur die Ungläubigen, denen jede
Heilung der socialen Disharmonie ein Utopien scheint, auch die andern, die keinen
Weg anzugeben wissen und deshalb meinen, daß sobald keiner zu finden sei, sie
alle freuten sich im Stillen, daß die Reichsregierung zu dem Bekenntniß, ihr


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[0473] Politische Briefe. deutung und ist in ähnlicher Weise auch bei andern Völkern in frühern Zeiten vielleicht im Gebrauche gewesen; aber im Kampfe des amerikanischen Lebens der Gegenwart wird sie praktisch keinen Werth und keinen Erfolg haben. Bussy Herd würde seinem Volksstamme eine große Wohlthat erweisen, wenn er sich selbst und die seinigen recht bald davon überzeugen könnte und wollte, daß nur in der Aeevmmvdirung an das Leben der weißen Bevölkerung der Vereinigten Staaten das Heil der Indianer liegt, und daß die Aufrechterhaltung eines patriarchalischen Sonderstaates im Innern der Union auf die Dauer ganz unmöglich ist. politische Briefe. 3. Die zweite Berathung der Unfallversicherung im Reichstage. höricht ist die Rede, deren sich wohlmeinende Oberflächlichkeit gerne bedient, daß ein Mann seiner Zeit vorauseile. Nicht vorauszu- eilen in eine Zeit, die, ehe sie ist, gnr nichts ist, vermag die Geisteskraft; seine Zeit vollkommen verstehen, ans ihren leben¬ digen Bedingungen und Möglichkeiten durch schöpferisches Wirken die Gegenwart auf eine vollkommnere und gesicherte Stufe des Daseins er¬ heben, das allein ist Weisheit und geschichtliche Größe. Die künftige Zeit ist die Tochter der Gegenwart. Es wäre ein leeres Thun, sich mit einem Wesen zu beschäftigen, das noch nicht erzeugt ist, von dem niemand weiß, ob es als schwache, mißlungene Bildung oder mit kräftigen Lebenskeimen in die Reihe der Erscheinungen versetzt werden wird. Daß aber ein überlegener Mensch mit seinem Verständniß der Gegenwart allein bleibt und, weil er seinem Verständniß keine Bahn brechen kann, die Saaten der Zukunft verderben sieht, das ist ein tragisches Geschick, dessen Beispiele der Geschichte nicht fremd sind. Ein Schatten von solchen Geschick fällt jetzt auf unsern Kanzler. Man hält ihn für einen Reactionär, weil er der Pflicht der Gegenwart entsprechen will, die kurzsichtige Zeitgenossen nicht sehen. Als das Ausnahmegesetz gegen die Socialdemokratie im Herbst 1878 erlassen wurde, da wurde die Ankündigung, daß der repressiven Maßregel heilende Mittel zur Abhilfe der Arbeiternoth folgen würden, mit allgemeinem Beifall, freilich auch mit skeptischen Mienen verschieden¬ gearteter Ungläubigen aufgenommen. Nicht nur die Ungläubigen, denen jede Heilung der socialen Disharmonie ein Utopien scheint, auch die andern, die keinen Weg anzugeben wissen und deshalb meinen, daß sobald keiner zu finden sei, sie alle freuten sich im Stillen, daß die Reichsregierung zu dem Bekenntniß, ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/473>, abgerufen am 29.06.2024.