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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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dieser Bilder genaue Nachrichten. Goethefreunde werden wir auf die beiden Hefte
nicht besonders hinzuweisen brauchen; andern mögen sie, namentlich um der zum
Theil entzückenden Bilder willen, angelegentlich empfohlen sein. Zu dem erwähn¬
ten Briefe von Goethes Mutter eine kurze Bemerkung. Gegen das Eude hin
schreibt sie: "Das war kein Mondschein im Kasten, sondern wahres Herzensge¬
fühl." Der "Mondschein im Kasten" ist, was Volger entgangen zu sein scheint,
eine Anspielung auf den zweiten Act der "Geflickten Braut" (später "Triumph der
Empfindsamkeit" betitelt), die 1777 in Weimar entstanden war. Dort sagt Mer-
kulo: "In diesem Kasten sind sprudelnde Quellen. Hier in diesem ist der Gesang,
der lieblichste Gesang der Vogel verborgen. Und hier in diesem größern ist Mond¬
schein eingepackt." Frau Rath hatte also sicher Kenntniß des Stückes, obwohl es
erst 1787 gedruckt wurde.

Die Veröffentlichungen des Freien deutschen Hochstiftes würden um vieles ge¬
nießbarer werden, wenn sie zwei Schrullen fallen lassen wollten: einmal den ge¬
spreizten Byzantinismus, der selbst vor Personen, die vor hundert Jahren gelebt
haben, in Unterwürfigkeit beinahe erstirbt und selbst in der Orthographie durch
zahllose respcctvolle große Anfangsbuchstaben (Er, Sich, Selber, Derselbe) zum
Ausdruck kommt, sodann den komischen Purismus, der selbst unsere geläufigen
Monatsnamen durch die gezierten Bezeichnungen: Wonnemonat, Schneemouat u. f. w.
verdrängen möchte. Auch wir siud Verfechter eiues verständig geübten Purismus
und bekennen, daß von den Verdeutschungen des Hochstiftes (Vorbild-----Originalge-
mälde, Svnderabdruck-----Separatabdruck, Ausfertigung-----Exemplar, Täuschname----
Pseudonym u. ühnl.) einzelne unsern vollen Beifall haben. Die Sache darf aber nicht
übertrieben werden. Ganz kommen wir um das Laster der Fremdwörterei nicht herum,
und wenn wir die Wahl haben, ob wir lieber lasterhaft erscheinen^ wollen oder
lächerlich, so würden wir uns nach Goethes Grundsatz, den das Freie deutsche Hoch¬
stift -gewiß respectiereu wird, für das erstere zu entscheiden haben.


Der Passion. Reiseerinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau. Von
Alexander von Oettingen. Leipzig, Duncker Homblot, 1880.

Auch für die Weinachtszeit kommt noch Nachlese von Oberammergauer Passions-
spielliteratur. Frisch und lebendig stellen sich die vorliegenden "Reiseerinnerungen
eines Pilgers nach Oberammergau" vou dem bekannten Dorpater Theologen und
Moralstatistiker A. von Oettingen, welcher sich durch seine Erläuterungen zu "Goethes
Faust" und die Herausgabe von Hippcls "Lebensläufeu in aufsteigender Linie" auch
auf ästhetischem Gebiete verdient gemacht hat, in die Reihe der kleineren Schriften
über die vielbesprochene "Sensation" des diesjährigen Sommers. Daß Oettingen
sich nicht ausschließlich panegyrisch verhält, braucht kaum hervorgehoben zu werden.
"Im Großen und Ganzen, sagt er, glaube ich, das Ammergauer Spiel wird
dauernd seine fesselnde Macht beweisen und bewähren, wenn neben bedeutender
Kürzung der verunglückte Text und ein großer Theil der Musik eine wesentliche
Regeneration erfährt. Bild und Handlung gehören zu dem Größten und Ergrei¬
fendsten, was ich gesehen." Möchten wir auch die Verurtheilung des "Textes" in
dieser Allgemeinheit nicht zugeben (es ist ja vielfach der biblische) und finden wir
auch, daß unser Beurtheiler der dialectischer Färbung des Vortrags auf der Passions¬
bühne zu großes Gewicht beilegt, so empfehlen wir doch im allgemeinen die Schrift
dem Nachdenken aller derer, welche im Sommer 1880 Oberammergau besucht und
wirklich dort ernstern Antheil genommen haben. Um die Weihnachtszeit ist es ganz
räthlich, die eigenen Erinnerungen still an sich vorübergehen zu lassen und mit
denen eines so geistvollen Beobachters, wie Oettingen ist, prüfend zu vergleichen.




Mr die Redaction verantwortlich: Johannes Grunowt" Leipzig.
Lerlag von F. L. Herbin in Leipzig. -- Druck von Emil Herrmann senioi'in Leipzig.

dieser Bilder genaue Nachrichten. Goethefreunde werden wir auf die beiden Hefte
nicht besonders hinzuweisen brauchen; andern mögen sie, namentlich um der zum
Theil entzückenden Bilder willen, angelegentlich empfohlen sein. Zu dem erwähn¬
ten Briefe von Goethes Mutter eine kurze Bemerkung. Gegen das Eude hin
schreibt sie: „Das war kein Mondschein im Kasten, sondern wahres Herzensge¬
fühl." Der „Mondschein im Kasten" ist, was Volger entgangen zu sein scheint,
eine Anspielung auf den zweiten Act der „Geflickten Braut" (später „Triumph der
Empfindsamkeit" betitelt), die 1777 in Weimar entstanden war. Dort sagt Mer-
kulo: „In diesem Kasten sind sprudelnde Quellen. Hier in diesem ist der Gesang,
der lieblichste Gesang der Vogel verborgen. Und hier in diesem größern ist Mond¬
schein eingepackt." Frau Rath hatte also sicher Kenntniß des Stückes, obwohl es
erst 1787 gedruckt wurde.

Die Veröffentlichungen des Freien deutschen Hochstiftes würden um vieles ge¬
nießbarer werden, wenn sie zwei Schrullen fallen lassen wollten: einmal den ge¬
spreizten Byzantinismus, der selbst vor Personen, die vor hundert Jahren gelebt
haben, in Unterwürfigkeit beinahe erstirbt und selbst in der Orthographie durch
zahllose respcctvolle große Anfangsbuchstaben (Er, Sich, Selber, Derselbe) zum
Ausdruck kommt, sodann den komischen Purismus, der selbst unsere geläufigen
Monatsnamen durch die gezierten Bezeichnungen: Wonnemonat, Schneemouat u. f. w.
verdrängen möchte. Auch wir siud Verfechter eiues verständig geübten Purismus
und bekennen, daß von den Verdeutschungen des Hochstiftes (Vorbild-----Originalge-
mälde, Svnderabdruck-----Separatabdruck, Ausfertigung-----Exemplar, Täuschname----
Pseudonym u. ühnl.) einzelne unsern vollen Beifall haben. Die Sache darf aber nicht
übertrieben werden. Ganz kommen wir um das Laster der Fremdwörterei nicht herum,
und wenn wir die Wahl haben, ob wir lieber lasterhaft erscheinen^ wollen oder
lächerlich, so würden wir uns nach Goethes Grundsatz, den das Freie deutsche Hoch¬
stift -gewiß respectiereu wird, für das erstere zu entscheiden haben.


Der Passion. Reiseerinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau. Von
Alexander von Oettingen. Leipzig, Duncker Homblot, 1880.

Auch für die Weinachtszeit kommt noch Nachlese von Oberammergauer Passions-
spielliteratur. Frisch und lebendig stellen sich die vorliegenden „Reiseerinnerungen
eines Pilgers nach Oberammergau" vou dem bekannten Dorpater Theologen und
Moralstatistiker A. von Oettingen, welcher sich durch seine Erläuterungen zu „Goethes
Faust" und die Herausgabe von Hippcls „Lebensläufeu in aufsteigender Linie" auch
auf ästhetischem Gebiete verdient gemacht hat, in die Reihe der kleineren Schriften
über die vielbesprochene „Sensation" des diesjährigen Sommers. Daß Oettingen
sich nicht ausschließlich panegyrisch verhält, braucht kaum hervorgehoben zu werden.
„Im Großen und Ganzen, sagt er, glaube ich, das Ammergauer Spiel wird
dauernd seine fesselnde Macht beweisen und bewähren, wenn neben bedeutender
Kürzung der verunglückte Text und ein großer Theil der Musik eine wesentliche
Regeneration erfährt. Bild und Handlung gehören zu dem Größten und Ergrei¬
fendsten, was ich gesehen." Möchten wir auch die Verurtheilung des „Textes" in
dieser Allgemeinheit nicht zugeben (es ist ja vielfach der biblische) und finden wir
auch, daß unser Beurtheiler der dialectischer Färbung des Vortrags auf der Passions¬
bühne zu großes Gewicht beilegt, so empfehlen wir doch im allgemeinen die Schrift
dem Nachdenken aller derer, welche im Sommer 1880 Oberammergau besucht und
wirklich dort ernstern Antheil genommen haben. Um die Weihnachtszeit ist es ganz
räthlich, die eigenen Erinnerungen still an sich vorübergehen zu lassen und mit
denen eines so geistvollen Beobachters, wie Oettingen ist, prüfend zu vergleichen.




Mr die Redaction verantwortlich: Johannes Grunowt« Leipzig.
Lerlag von F. L. Herbin in Leipzig. — Druck von Emil Herrmann senioi'in Leipzig.
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[0568] dieser Bilder genaue Nachrichten. Goethefreunde werden wir auf die beiden Hefte nicht besonders hinzuweisen brauchen; andern mögen sie, namentlich um der zum Theil entzückenden Bilder willen, angelegentlich empfohlen sein. Zu dem erwähn¬ ten Briefe von Goethes Mutter eine kurze Bemerkung. Gegen das Eude hin schreibt sie: „Das war kein Mondschein im Kasten, sondern wahres Herzensge¬ fühl." Der „Mondschein im Kasten" ist, was Volger entgangen zu sein scheint, eine Anspielung auf den zweiten Act der „Geflickten Braut" (später „Triumph der Empfindsamkeit" betitelt), die 1777 in Weimar entstanden war. Dort sagt Mer- kulo: „In diesem Kasten sind sprudelnde Quellen. Hier in diesem ist der Gesang, der lieblichste Gesang der Vogel verborgen. Und hier in diesem größern ist Mond¬ schein eingepackt." Frau Rath hatte also sicher Kenntniß des Stückes, obwohl es erst 1787 gedruckt wurde. Die Veröffentlichungen des Freien deutschen Hochstiftes würden um vieles ge¬ nießbarer werden, wenn sie zwei Schrullen fallen lassen wollten: einmal den ge¬ spreizten Byzantinismus, der selbst vor Personen, die vor hundert Jahren gelebt haben, in Unterwürfigkeit beinahe erstirbt und selbst in der Orthographie durch zahllose respcctvolle große Anfangsbuchstaben (Er, Sich, Selber, Derselbe) zum Ausdruck kommt, sodann den komischen Purismus, der selbst unsere geläufigen Monatsnamen durch die gezierten Bezeichnungen: Wonnemonat, Schneemouat u. f. w. verdrängen möchte. Auch wir siud Verfechter eiues verständig geübten Purismus und bekennen, daß von den Verdeutschungen des Hochstiftes (Vorbild-----Originalge- mälde, Svnderabdruck-----Separatabdruck, Ausfertigung-----Exemplar, Täuschname---- Pseudonym u. ühnl.) einzelne unsern vollen Beifall haben. Die Sache darf aber nicht übertrieben werden. Ganz kommen wir um das Laster der Fremdwörterei nicht herum, und wenn wir die Wahl haben, ob wir lieber lasterhaft erscheinen^ wollen oder lächerlich, so würden wir uns nach Goethes Grundsatz, den das Freie deutsche Hoch¬ stift -gewiß respectiereu wird, für das erstere zu entscheiden haben. Der Passion. Reiseerinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau. Von Alexander von Oettingen. Leipzig, Duncker Homblot, 1880. Auch für die Weinachtszeit kommt noch Nachlese von Oberammergauer Passions- spielliteratur. Frisch und lebendig stellen sich die vorliegenden „Reiseerinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau" vou dem bekannten Dorpater Theologen und Moralstatistiker A. von Oettingen, welcher sich durch seine Erläuterungen zu „Goethes Faust" und die Herausgabe von Hippcls „Lebensläufeu in aufsteigender Linie" auch auf ästhetischem Gebiete verdient gemacht hat, in die Reihe der kleineren Schriften über die vielbesprochene „Sensation" des diesjährigen Sommers. Daß Oettingen sich nicht ausschließlich panegyrisch verhält, braucht kaum hervorgehoben zu werden. „Im Großen und Ganzen, sagt er, glaube ich, das Ammergauer Spiel wird dauernd seine fesselnde Macht beweisen und bewähren, wenn neben bedeutender Kürzung der verunglückte Text und ein großer Theil der Musik eine wesentliche Regeneration erfährt. Bild und Handlung gehören zu dem Größten und Ergrei¬ fendsten, was ich gesehen." Möchten wir auch die Verurtheilung des „Textes" in dieser Allgemeinheit nicht zugeben (es ist ja vielfach der biblische) und finden wir auch, daß unser Beurtheiler der dialectischer Färbung des Vortrags auf der Passions¬ bühne zu großes Gewicht beilegt, so empfehlen wir doch im allgemeinen die Schrift dem Nachdenken aller derer, welche im Sommer 1880 Oberammergau besucht und wirklich dort ernstern Antheil genommen haben. Um die Weihnachtszeit ist es ganz räthlich, die eigenen Erinnerungen still an sich vorübergehen zu lassen und mit denen eines so geistvollen Beobachters, wie Oettingen ist, prüfend zu vergleichen. Mr die Redaction verantwortlich: Johannes Grunowt« Leipzig. Lerlag von F. L. Herbin in Leipzig. — Druck von Emil Herrmann senioi'in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/568>, abgerufen am 27.12.2024.