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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Der Streit der Nationalitäten in Oesterreich.

Eine Bewegung so tief und umfassend, wie seit Jahrzehnten nicht, geht seit
Monaten durch die deutschen Stämme Oesterreichs und hat soeben im deutschen
Parteitage zu Wien einen mächtigen Beweis dafür abgelegt, daß sie nicht, wie
ihre Gegner behaupten, das Werk einiger weniger nationaler Hetzer ist, sondern
in den Gesinnungen eines sehr großen Theiles der Deutsch-Oesterreicher selber
wurzelt. Das österreichische Deutschthum fühlt sich in seiner Stellung bedroht
zugleich mit der Verfassung und Einheit des Reiches, So in der That steht
der Fall. Die nichtdeutschen Nationalitäten haben allerorten lediglich ihr Sonder¬
interesse im Auge, sie sind nur insoweit österreichisch, als der österreichische
Staat dies befriedigt und schützt; das Ideal der Tschechen bleibt eine Gestaltung
der böhmischen Kronlande analog der Ungarns seit dem Ausgleiche von 1867,
die Slovenen, Serben und Kroaten träumen von einem südslavischen König¬
reiche, und daß die galizischen Polen die verlorene Selbständigkeit ihrer Nation
noch nicht verloren geben, bedarf nicht des Beweises. Was bliebe übrig von
Oesterreich, wenn diese Träume sich erfüllten? Die Deutschen dagegen haben
den Staat mit ihrer Arbeit und ihrem Blute gegründet, sie bilden nicht nur
den gebildetsten Stamm der Monarchie, sondern auch den zahlreichsten -- denn
die Slaven der verschiedenen Stämme können nicht den Anspruch erheben, eine
einheitliche Nation zu sein --, sie sitzen auf der einen Seite in compacter Masse
zusammen, auf der andern sind sie über das ganze Reich verbreitet, ihre Sprache
wird überall verstanden, und sie haben obendrein einen gewaltigen nationalen
Rückhalt an Deutschland. Sie also sind im Stande, in allererster Linie den
Staat zu tragen, und sie können im eigensten Interesse nur den Bestand Oester¬
reichs wollen, denn seine Auflösung in "nationale, historisch-politische Indivi¬
dualitäten" würde in den gemischten Ländern, in Böhmen, Mührer und Kram
die deutsche Minderheit derselben rohen Vergewaltigung überliefern, welcher der
Ausgleich von 1867 die ungarischen Deutschen bereits preisgegeben hat. Also
kann keine österreichische Regierung sich auf andere Elemente so fest stützen als


Grenzboten IV. 1830. Lg
Der Streit der Nationalitäten in Oesterreich.

Eine Bewegung so tief und umfassend, wie seit Jahrzehnten nicht, geht seit
Monaten durch die deutschen Stämme Oesterreichs und hat soeben im deutschen
Parteitage zu Wien einen mächtigen Beweis dafür abgelegt, daß sie nicht, wie
ihre Gegner behaupten, das Werk einiger weniger nationaler Hetzer ist, sondern
in den Gesinnungen eines sehr großen Theiles der Deutsch-Oesterreicher selber
wurzelt. Das österreichische Deutschthum fühlt sich in seiner Stellung bedroht
zugleich mit der Verfassung und Einheit des Reiches, So in der That steht
der Fall. Die nichtdeutschen Nationalitäten haben allerorten lediglich ihr Sonder¬
interesse im Auge, sie sind nur insoweit österreichisch, als der österreichische
Staat dies befriedigt und schützt; das Ideal der Tschechen bleibt eine Gestaltung
der böhmischen Kronlande analog der Ungarns seit dem Ausgleiche von 1867,
die Slovenen, Serben und Kroaten träumen von einem südslavischen König¬
reiche, und daß die galizischen Polen die verlorene Selbständigkeit ihrer Nation
noch nicht verloren geben, bedarf nicht des Beweises. Was bliebe übrig von
Oesterreich, wenn diese Träume sich erfüllten? Die Deutschen dagegen haben
den Staat mit ihrer Arbeit und ihrem Blute gegründet, sie bilden nicht nur
den gebildetsten Stamm der Monarchie, sondern auch den zahlreichsten — denn
die Slaven der verschiedenen Stämme können nicht den Anspruch erheben, eine
einheitliche Nation zu sein —, sie sitzen auf der einen Seite in compacter Masse
zusammen, auf der andern sind sie über das ganze Reich verbreitet, ihre Sprache
wird überall verstanden, und sie haben obendrein einen gewaltigen nationalen
Rückhalt an Deutschland. Sie also sind im Stande, in allererster Linie den
Staat zu tragen, und sie können im eigensten Interesse nur den Bestand Oester¬
reichs wollen, denn seine Auflösung in „nationale, historisch-politische Indivi¬
dualitäten" würde in den gemischten Ländern, in Böhmen, Mührer und Kram
die deutsche Minderheit derselben rohen Vergewaltigung überliefern, welcher der
Ausgleich von 1867 die ungarischen Deutschen bereits preisgegeben hat. Also
kann keine österreichische Regierung sich auf andere Elemente so fest stützen als


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[0433] Der Streit der Nationalitäten in Oesterreich. Eine Bewegung so tief und umfassend, wie seit Jahrzehnten nicht, geht seit Monaten durch die deutschen Stämme Oesterreichs und hat soeben im deutschen Parteitage zu Wien einen mächtigen Beweis dafür abgelegt, daß sie nicht, wie ihre Gegner behaupten, das Werk einiger weniger nationaler Hetzer ist, sondern in den Gesinnungen eines sehr großen Theiles der Deutsch-Oesterreicher selber wurzelt. Das österreichische Deutschthum fühlt sich in seiner Stellung bedroht zugleich mit der Verfassung und Einheit des Reiches, So in der That steht der Fall. Die nichtdeutschen Nationalitäten haben allerorten lediglich ihr Sonder¬ interesse im Auge, sie sind nur insoweit österreichisch, als der österreichische Staat dies befriedigt und schützt; das Ideal der Tschechen bleibt eine Gestaltung der böhmischen Kronlande analog der Ungarns seit dem Ausgleiche von 1867, die Slovenen, Serben und Kroaten träumen von einem südslavischen König¬ reiche, und daß die galizischen Polen die verlorene Selbständigkeit ihrer Nation noch nicht verloren geben, bedarf nicht des Beweises. Was bliebe übrig von Oesterreich, wenn diese Träume sich erfüllten? Die Deutschen dagegen haben den Staat mit ihrer Arbeit und ihrem Blute gegründet, sie bilden nicht nur den gebildetsten Stamm der Monarchie, sondern auch den zahlreichsten — denn die Slaven der verschiedenen Stämme können nicht den Anspruch erheben, eine einheitliche Nation zu sein —, sie sitzen auf der einen Seite in compacter Masse zusammen, auf der andern sind sie über das ganze Reich verbreitet, ihre Sprache wird überall verstanden, und sie haben obendrein einen gewaltigen nationalen Rückhalt an Deutschland. Sie also sind im Stande, in allererster Linie den Staat zu tragen, und sie können im eigensten Interesse nur den Bestand Oester¬ reichs wollen, denn seine Auflösung in „nationale, historisch-politische Indivi¬ dualitäten" würde in den gemischten Ländern, in Böhmen, Mührer und Kram die deutsche Minderheit derselben rohen Vergewaltigung überliefern, welcher der Ausgleich von 1867 die ungarischen Deutschen bereits preisgegeben hat. Also kann keine österreichische Regierung sich auf andere Elemente so fest stützen als Grenzboten IV. 1830. Lg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/433>, abgerufen am 27.12.2024.