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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ändern, das System wird bleiben wie das Ziel, und so muß anch die Mauer
bleiben, die wir zum Schutze gegen Überschreitung des staatlichen Gebietes
durch das Streben nach diesem Ziele aufzuführen genöthigt waren.




Die unsichtbare Welt.
i.

Von den verschiedensten Standpunkten aus wird das Dasein einer unsicht¬
baren Welt anerkannt. Selbst der Materialismus kann sie nicht leugnen. Daß
es Vorgänge giebt, deren Ursprung und Gestaltung auch das geschärfteste Auge
nicht wahrzunehmen vermag, daß die Thätigkeiten des geistigen Lebens eine
unsichtbare Welt bilden, ist auch ihm nicht verborgen. Sieht er auch in sinn¬
lichen Erscheinungen, Veränderungen und Zuständen die ausreichenden Factoren,
um Entstehen und Bestehen des Seelenlebens zu begreifen, er kann doch un¬
möglich bestreiten, daß dieses, mag es auch aus dem Sinnlichen stammen, völlig
andere Eigenschaften besitzt und andere Functionen ausübt als jenes. Das ist
ja eben der wissenschaftliche Grundfehler des Materialismus, daß er schlechter¬
dings nicht zu erklären vermag, wie ein Sein, das wir sonst nur als Träger
körperlicher Bewegungen kennen, im Stande ist, Thätigkeiten hervorzubringen,
die einen entgegengesetzten Charakter tragen. Rein wissenschaftlich betrachtet,
bringt es der Materialismus in der Lösung des vorliegenden Problems um
nichts weiter als die entgegengesetzte Anschauung. Oder hat derjenige einen
größeren Weg durchschritten und steht dem Ziele näher, welcher einem Wesen
zwei wesentlich geschiedene Wirkungsweisen zutheilt, ohne begreiflich machen zu
können, wie die eine aus der anderen hervorgeht, als derjenige, welcher von
vornherein das Dasein zweier verschiedener Wesen voraussetzt, deren Wirkungs¬
weisen zur Einheit eines Gesammtergebnisses führen? Ist es wissenschaftlicher,
von einer Einheit auszugehen, die -- man weiß nicht, wie -- in eine Zweiheit
sich verwandelt, als mit einer Zweiheit zu beginnen, die -- auch hier bleibt
uns das "wie" verborgen -- zur Einheit sich zusammenschließt?

Doch, was wir eben gesagt, bedarf noch einer Einschränkung; der Mate¬
rialismus könnte darnach in einer Beleuchtung erscheinen, die seine völlige Blöße
verbirgt. Es könnte die Meinung entstehen, daß der Materialismus in den
Urbestcmdtheilen des Seins eine zwiefache Richtung erkenne, die eine aus die
körperlichen Bewegungen, die andere auf die geistigen Thätigkeiten bezogen, aber


ändern, das System wird bleiben wie das Ziel, und so muß anch die Mauer
bleiben, die wir zum Schutze gegen Überschreitung des staatlichen Gebietes
durch das Streben nach diesem Ziele aufzuführen genöthigt waren.




Die unsichtbare Welt.
i.

Von den verschiedensten Standpunkten aus wird das Dasein einer unsicht¬
baren Welt anerkannt. Selbst der Materialismus kann sie nicht leugnen. Daß
es Vorgänge giebt, deren Ursprung und Gestaltung auch das geschärfteste Auge
nicht wahrzunehmen vermag, daß die Thätigkeiten des geistigen Lebens eine
unsichtbare Welt bilden, ist auch ihm nicht verborgen. Sieht er auch in sinn¬
lichen Erscheinungen, Veränderungen und Zuständen die ausreichenden Factoren,
um Entstehen und Bestehen des Seelenlebens zu begreifen, er kann doch un¬
möglich bestreiten, daß dieses, mag es auch aus dem Sinnlichen stammen, völlig
andere Eigenschaften besitzt und andere Functionen ausübt als jenes. Das ist
ja eben der wissenschaftliche Grundfehler des Materialismus, daß er schlechter¬
dings nicht zu erklären vermag, wie ein Sein, das wir sonst nur als Träger
körperlicher Bewegungen kennen, im Stande ist, Thätigkeiten hervorzubringen,
die einen entgegengesetzten Charakter tragen. Rein wissenschaftlich betrachtet,
bringt es der Materialismus in der Lösung des vorliegenden Problems um
nichts weiter als die entgegengesetzte Anschauung. Oder hat derjenige einen
größeren Weg durchschritten und steht dem Ziele näher, welcher einem Wesen
zwei wesentlich geschiedene Wirkungsweisen zutheilt, ohne begreiflich machen zu
können, wie die eine aus der anderen hervorgeht, als derjenige, welcher von
vornherein das Dasein zweier verschiedener Wesen voraussetzt, deren Wirkungs¬
weisen zur Einheit eines Gesammtergebnisses führen? Ist es wissenschaftlicher,
von einer Einheit auszugehen, die — man weiß nicht, wie — in eine Zweiheit
sich verwandelt, als mit einer Zweiheit zu beginnen, die — auch hier bleibt
uns das „wie" verborgen — zur Einheit sich zusammenschließt?

Doch, was wir eben gesagt, bedarf noch einer Einschränkung; der Mate¬
rialismus könnte darnach in einer Beleuchtung erscheinen, die seine völlige Blöße
verbirgt. Es könnte die Meinung entstehen, daß der Materialismus in den
Urbestcmdtheilen des Seins eine zwiefache Richtung erkenne, die eine aus die
körperlichen Bewegungen, die andere auf die geistigen Thätigkeiten bezogen, aber


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[0539] ändern, das System wird bleiben wie das Ziel, und so muß anch die Mauer bleiben, die wir zum Schutze gegen Überschreitung des staatlichen Gebietes durch das Streben nach diesem Ziele aufzuführen genöthigt waren. Die unsichtbare Welt. i. Von den verschiedensten Standpunkten aus wird das Dasein einer unsicht¬ baren Welt anerkannt. Selbst der Materialismus kann sie nicht leugnen. Daß es Vorgänge giebt, deren Ursprung und Gestaltung auch das geschärfteste Auge nicht wahrzunehmen vermag, daß die Thätigkeiten des geistigen Lebens eine unsichtbare Welt bilden, ist auch ihm nicht verborgen. Sieht er auch in sinn¬ lichen Erscheinungen, Veränderungen und Zuständen die ausreichenden Factoren, um Entstehen und Bestehen des Seelenlebens zu begreifen, er kann doch un¬ möglich bestreiten, daß dieses, mag es auch aus dem Sinnlichen stammen, völlig andere Eigenschaften besitzt und andere Functionen ausübt als jenes. Das ist ja eben der wissenschaftliche Grundfehler des Materialismus, daß er schlechter¬ dings nicht zu erklären vermag, wie ein Sein, das wir sonst nur als Träger körperlicher Bewegungen kennen, im Stande ist, Thätigkeiten hervorzubringen, die einen entgegengesetzten Charakter tragen. Rein wissenschaftlich betrachtet, bringt es der Materialismus in der Lösung des vorliegenden Problems um nichts weiter als die entgegengesetzte Anschauung. Oder hat derjenige einen größeren Weg durchschritten und steht dem Ziele näher, welcher einem Wesen zwei wesentlich geschiedene Wirkungsweisen zutheilt, ohne begreiflich machen zu können, wie die eine aus der anderen hervorgeht, als derjenige, welcher von vornherein das Dasein zweier verschiedener Wesen voraussetzt, deren Wirkungs¬ weisen zur Einheit eines Gesammtergebnisses führen? Ist es wissenschaftlicher, von einer Einheit auszugehen, die — man weiß nicht, wie — in eine Zweiheit sich verwandelt, als mit einer Zweiheit zu beginnen, die — auch hier bleibt uns das „wie" verborgen — zur Einheit sich zusammenschließt? Doch, was wir eben gesagt, bedarf noch einer Einschränkung; der Mate¬ rialismus könnte darnach in einer Beleuchtung erscheinen, die seine völlige Blöße verbirgt. Es könnte die Meinung entstehen, daß der Materialismus in den Urbestcmdtheilen des Seins eine zwiefache Richtung erkenne, die eine aus die körperlichen Bewegungen, die andere auf die geistigen Thätigkeiten bezogen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/539>, abgerufen am 22.07.2024.