Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.Musikalische Schattenbilder. ^. Unsere Musikzeituugen. Wir tadeln wahrlich nicht, um zu tadeln, aber es giebt eben leider so wenig Musikalische Schattenbilder. ^. Unsere Musikzeituugen. Wir tadeln wahrlich nicht, um zu tadeln, aber es giebt eben leider so wenig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146315"/> </div> <div n="1"> <head> Musikalische Schattenbilder.<lb/> ^. Unsere Musikzeituugen. </head><lb/> <p xml:id="ID_1107" next="#ID_1108"> Wir tadeln wahrlich nicht, um zu tadeln, aber es giebt eben leider so wenig<lb/> zu loben in unseren musikalischen Zuständen, daß scharfer Tadel die einzige<lb/> Form ist, welche eine wahrheitsgetreue Schilderung derselben annehmen kann.<lb/> Das liebenswürdige Völkchen der musikalischen Künstler erscheint bei näherer<lb/> Betrachtung als ein zusammenhangsloses Gewirr genialischer Individualitäten,<lb/> die einander nur von ferne ungestört existiren lassen, und selbst das noch selten<lb/> genug; Verträglichkeit zwischen Musikern, die am selben Orte leben, ist ein so<lb/> seltenes Ding, daß es als ein wahrhaftiges Wunder verzeichnet wird, wenn<lb/> zwei Dirigenten derselben Stadt eine gemeinsame Aufführung zuwege bringen.<lb/> Daß sich Clubbs von Musikern nirgend recht entwickeln können (es müßten<lb/> denn in Ehrfurcht hinsterbende Jünger, geschart um ihren Meister, sein), daß<lb/> vielmehr nur allzubald Intrigue, Neid, Concurrenz das gute Einvernehmen stören,<lb/> ist ja bekannt genug. Eine Solidarität von geistigen Interessen ist unter Musi¬<lb/> kern ein unbekanntes Ding, ein schöner Traum einzelner überschwänglicher<lb/> Jünglinge, und was man auch zum Beweise des Gegentheils vorzubringen ver¬<lb/> suchen mag, es wird schwer halten, Glauben zu finden. Wir haben allerdings<lb/> einen nach vielen Hunderten von Mitgliedern zählenden Verein mit der pro¬<lb/> grammmäßig ausgesprochenen Tendenz, dem Fortschritte der musikalischen Kunst<lb/> zu dienen. Derselbe erhebt eine stattliche Summe an Mitgliederbeiträgen und<lb/> veranstaltet bald hier bald da, je nachdem es das Entgegenkommen einer Stadt<lb/> oder die Munificenz eines Fürsten gestattet, Musikfeste, an denen Novitäten zur<lb/> Aufführung gelangen. Allein damit hat es anch so ziemlich sein Bewenden.<lb/> Die Auswahl der Novitäten ist nicht immer eine glückliche, und — wie wäre<lb/> es auch anders zu erwarten? — nur zu leicht werden Werke angesetzt, deren<lb/> Autoren sich um den Verein als regelmäßige Besucher, Redner u. f. w. ver¬<lb/> dient gemacht haben. Jedenfalls steht fest, daß die Schoßkinder dieser Auffüh¬<lb/> rungen schon manches wohlverdiente Fiasco erlebt haben. Im übrigen haben<lb/> solche Musikfeste für eine große Anzahl von nicht zu fest an die Scholle gebun¬<lb/> denen Musikern eine ähnliche Bedeutung wie die Leipziger Messe für die Ge¬<lb/> schäftsleute vieler Branchen: sie sehen einander einmal wieder, tafeln und zechen<lb/> wacker zusammen und fahren wieder nach Hause. Die Komponisten treffen ihre<lb/> Verleger (oder die, von denen sie möchten, daß sie es würden), die Virtuosen<lb/> reeommandircn sich den Dirigenten, d. h. also, es sind überwiegend materielle</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
Musikalische Schattenbilder.
^. Unsere Musikzeituugen.
Wir tadeln wahrlich nicht, um zu tadeln, aber es giebt eben leider so wenig
zu loben in unseren musikalischen Zuständen, daß scharfer Tadel die einzige
Form ist, welche eine wahrheitsgetreue Schilderung derselben annehmen kann.
Das liebenswürdige Völkchen der musikalischen Künstler erscheint bei näherer
Betrachtung als ein zusammenhangsloses Gewirr genialischer Individualitäten,
die einander nur von ferne ungestört existiren lassen, und selbst das noch selten
genug; Verträglichkeit zwischen Musikern, die am selben Orte leben, ist ein so
seltenes Ding, daß es als ein wahrhaftiges Wunder verzeichnet wird, wenn
zwei Dirigenten derselben Stadt eine gemeinsame Aufführung zuwege bringen.
Daß sich Clubbs von Musikern nirgend recht entwickeln können (es müßten
denn in Ehrfurcht hinsterbende Jünger, geschart um ihren Meister, sein), daß
vielmehr nur allzubald Intrigue, Neid, Concurrenz das gute Einvernehmen stören,
ist ja bekannt genug. Eine Solidarität von geistigen Interessen ist unter Musi¬
kern ein unbekanntes Ding, ein schöner Traum einzelner überschwänglicher
Jünglinge, und was man auch zum Beweise des Gegentheils vorzubringen ver¬
suchen mag, es wird schwer halten, Glauben zu finden. Wir haben allerdings
einen nach vielen Hunderten von Mitgliedern zählenden Verein mit der pro¬
grammmäßig ausgesprochenen Tendenz, dem Fortschritte der musikalischen Kunst
zu dienen. Derselbe erhebt eine stattliche Summe an Mitgliederbeiträgen und
veranstaltet bald hier bald da, je nachdem es das Entgegenkommen einer Stadt
oder die Munificenz eines Fürsten gestattet, Musikfeste, an denen Novitäten zur
Aufführung gelangen. Allein damit hat es anch so ziemlich sein Bewenden.
Die Auswahl der Novitäten ist nicht immer eine glückliche, und — wie wäre
es auch anders zu erwarten? — nur zu leicht werden Werke angesetzt, deren
Autoren sich um den Verein als regelmäßige Besucher, Redner u. f. w. ver¬
dient gemacht haben. Jedenfalls steht fest, daß die Schoßkinder dieser Auffüh¬
rungen schon manches wohlverdiente Fiasco erlebt haben. Im übrigen haben
solche Musikfeste für eine große Anzahl von nicht zu fest an die Scholle gebun¬
denen Musikern eine ähnliche Bedeutung wie die Leipziger Messe für die Ge¬
schäftsleute vieler Branchen: sie sehen einander einmal wieder, tafeln und zechen
wacker zusammen und fahren wieder nach Hause. Die Komponisten treffen ihre
Verleger (oder die, von denen sie möchten, daß sie es würden), die Virtuosen
reeommandircn sich den Dirigenten, d. h. also, es sind überwiegend materielle
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