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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Diesmal indeß ist die Besorgniß der Liberalen wenig begründet. Eine
nähere Betrachtung des Centrums klärt sofort darüber auf.

Nur etwa ein Viertel dieser Fraction würde durch Nachgiebigkeit in Sachen
der kirchenpolitischen Gesetze gewonnen werden und die Reihen der Konservativen
oder Gouvernementalen verstärken. Das wären hauptsächlich die baierischen
Adelichen, die süddeutschen Adelichen überhaupt und die schlesischen, die sich dem
Centrum angeschlossen haben. Schon auf die westfälischen ist nicht zu rechnen.
Die waren mit der preußischen Herrschaft bereits lange vor der Existenz des
Reiches und seines Parlaments nichts weniger als zufrieden und deshalb immer
gegen die Regierung, auch als der Papst sich mit dieser sehr zufrieden erklärte
-- wir meinen Pius IX., welcher sich einst äußerte, in Preußen befände sich
die katholische Kirche besser wie irgend anderswo -- denn dieser westfälische
Adel grollt aus Particularismus wie die Welsen und Zubehör. Die Herren
können eben die alten bischöflichen Zeiten und die ihnen mit denselben verloren
gegangenen Vortheile und Annehmlichkeiten nicht verschmerzen und werden aller
Wahrscheinlichkeit zufolge, geschehe, was wolle, noch lange unversöhnlich bleiben.
Anders wieder verhält es sich mit der dritten Gruppe des Centrums, die vor¬
züglich aus Rheinländern besteht. Diese sind in erster Linie liberale oder
demokratische und erst in zweiter ultramontane Katholiken, sie sind katholische
Fortschrittler, die Partei Reichensperger. Auf ihr liberales oder demokratisches
Credo hin wären die meisten derselben schwerlich gewählt worden. Man gab
ihnen ein Mandat für den Reichstag oder das Abgeordnetenhaus, weil sie dem
Klerus die Vertretung der Ansprüche des Papstes und der Bischöfe versprachen.
Sie wären gleich den particularistischen Centrumsgenossen auch bei den größten
Zugeständnissen in dieser Richtung nicht zu gewinnen; denn sie gehören von
Rechtswegen ins Lager des Fortschritts oder dicht daneben.




Literatur.

Geschichte der Deutschen bis zur höchsten Machtentfaltung des römisch-deutschen
Kaisertums unter Heinrich III. Von Dr. P. Besse, 1. und 2. Lieferung. Leipzig,
I. H. Wedel, 1880.

Der dem ersten Hefte dieser deutschen Geschichte beiliegende Prospect meint,
daß nach der Wiedergewinnung der Reichslande sich das Bedürfniß herausgestellt
habe, eine neue Darstellung der deutschen Geschichte zu geben, deren Eigenthümlich¬
keiten darin bestehen müßten, daß die ehemalige Verbindung dieser Landschaften


Diesmal indeß ist die Besorgniß der Liberalen wenig begründet. Eine
nähere Betrachtung des Centrums klärt sofort darüber auf.

Nur etwa ein Viertel dieser Fraction würde durch Nachgiebigkeit in Sachen
der kirchenpolitischen Gesetze gewonnen werden und die Reihen der Konservativen
oder Gouvernementalen verstärken. Das wären hauptsächlich die baierischen
Adelichen, die süddeutschen Adelichen überhaupt und die schlesischen, die sich dem
Centrum angeschlossen haben. Schon auf die westfälischen ist nicht zu rechnen.
Die waren mit der preußischen Herrschaft bereits lange vor der Existenz des
Reiches und seines Parlaments nichts weniger als zufrieden und deshalb immer
gegen die Regierung, auch als der Papst sich mit dieser sehr zufrieden erklärte
— wir meinen Pius IX., welcher sich einst äußerte, in Preußen befände sich
die katholische Kirche besser wie irgend anderswo — denn dieser westfälische
Adel grollt aus Particularismus wie die Welsen und Zubehör. Die Herren
können eben die alten bischöflichen Zeiten und die ihnen mit denselben verloren
gegangenen Vortheile und Annehmlichkeiten nicht verschmerzen und werden aller
Wahrscheinlichkeit zufolge, geschehe, was wolle, noch lange unversöhnlich bleiben.
Anders wieder verhält es sich mit der dritten Gruppe des Centrums, die vor¬
züglich aus Rheinländern besteht. Diese sind in erster Linie liberale oder
demokratische und erst in zweiter ultramontane Katholiken, sie sind katholische
Fortschrittler, die Partei Reichensperger. Auf ihr liberales oder demokratisches
Credo hin wären die meisten derselben schwerlich gewählt worden. Man gab
ihnen ein Mandat für den Reichstag oder das Abgeordnetenhaus, weil sie dem
Klerus die Vertretung der Ansprüche des Papstes und der Bischöfe versprachen.
Sie wären gleich den particularistischen Centrumsgenossen auch bei den größten
Zugeständnissen in dieser Richtung nicht zu gewinnen; denn sie gehören von
Rechtswegen ins Lager des Fortschritts oder dicht daneben.




Literatur.

Geschichte der Deutschen bis zur höchsten Machtentfaltung des römisch-deutschen
Kaisertums unter Heinrich III. Von Dr. P. Besse, 1. und 2. Lieferung. Leipzig,
I. H. Wedel, 1880.

Der dem ersten Hefte dieser deutschen Geschichte beiliegende Prospect meint,
daß nach der Wiedergewinnung der Reichslande sich das Bedürfniß herausgestellt
habe, eine neue Darstellung der deutschen Geschichte zu geben, deren Eigenthümlich¬
keiten darin bestehen müßten, daß die ehemalige Verbindung dieser Landschaften


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[0531] Diesmal indeß ist die Besorgniß der Liberalen wenig begründet. Eine nähere Betrachtung des Centrums klärt sofort darüber auf. Nur etwa ein Viertel dieser Fraction würde durch Nachgiebigkeit in Sachen der kirchenpolitischen Gesetze gewonnen werden und die Reihen der Konservativen oder Gouvernementalen verstärken. Das wären hauptsächlich die baierischen Adelichen, die süddeutschen Adelichen überhaupt und die schlesischen, die sich dem Centrum angeschlossen haben. Schon auf die westfälischen ist nicht zu rechnen. Die waren mit der preußischen Herrschaft bereits lange vor der Existenz des Reiches und seines Parlaments nichts weniger als zufrieden und deshalb immer gegen die Regierung, auch als der Papst sich mit dieser sehr zufrieden erklärte — wir meinen Pius IX., welcher sich einst äußerte, in Preußen befände sich die katholische Kirche besser wie irgend anderswo — denn dieser westfälische Adel grollt aus Particularismus wie die Welsen und Zubehör. Die Herren können eben die alten bischöflichen Zeiten und die ihnen mit denselben verloren gegangenen Vortheile und Annehmlichkeiten nicht verschmerzen und werden aller Wahrscheinlichkeit zufolge, geschehe, was wolle, noch lange unversöhnlich bleiben. Anders wieder verhält es sich mit der dritten Gruppe des Centrums, die vor¬ züglich aus Rheinländern besteht. Diese sind in erster Linie liberale oder demokratische und erst in zweiter ultramontane Katholiken, sie sind katholische Fortschrittler, die Partei Reichensperger. Auf ihr liberales oder demokratisches Credo hin wären die meisten derselben schwerlich gewählt worden. Man gab ihnen ein Mandat für den Reichstag oder das Abgeordnetenhaus, weil sie dem Klerus die Vertretung der Ansprüche des Papstes und der Bischöfe versprachen. Sie wären gleich den particularistischen Centrumsgenossen auch bei den größten Zugeständnissen in dieser Richtung nicht zu gewinnen; denn sie gehören von Rechtswegen ins Lager des Fortschritts oder dicht daneben. Literatur. Geschichte der Deutschen bis zur höchsten Machtentfaltung des römisch-deutschen Kaisertums unter Heinrich III. Von Dr. P. Besse, 1. und 2. Lieferung. Leipzig, I. H. Wedel, 1880. Der dem ersten Hefte dieser deutschen Geschichte beiliegende Prospect meint, daß nach der Wiedergewinnung der Reichslande sich das Bedürfniß herausgestellt habe, eine neue Darstellung der deutschen Geschichte zu geben, deren Eigenthümlich¬ keiten darin bestehen müßten, daß die ehemalige Verbindung dieser Landschaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/531>, abgerufen am 22.07.2024.