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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Breite beigelegt, der sich 6 Meter über den Wasserspiegel erhob, und so gut
innerlich und äußerlich zugerüstet, daß ihr weder die Herbststürme noch die
Winterkälte einen wirklichen Schaden zufügten. Zum Glück war sie auf zwei
volle Jahre verproviantirt, mit allen Mitteln für den Fall des Festfrierens und
vor allen mit ausreichenden Antiscorbutien so gut versehen, daß man der Zu¬
kunft mit Ruhe entgegensehen konnte. Wenn aber auch trotz der wahrhaft sibi¬
rischen Kälte die wissenschaftlichen Arbeiten nach den verschiedenen Richtungen
mit Eifer weiter verfolgt und ein lebhafter Verkehr mit den Küstenstämmen
unterhalten wurde, eine gewisse Ungeduld stellte sich doch bei allen Mitgliedern
ein, als das Thermometer gar nicht steigen wollte, sondern am 3. Mai --26,8°
zeigte. Endlich Anfang Juli 1879 trat eine Wendung zum Bessern ein: der
Schnee schwand, das Meereis erhielt Locher, das Jahreseis löste sich vom
Lande ab, am 18. Juli Nachmittags 1^ Uhr gerieth das Eis in der Nähe
der "Vega" in Bewegung, und zwei Stunden später dampfte das Schiff in die
offene See hinaus und verließ völlig unbeschädigt und mit voller Mannschaft die
Stelle, wo es 274 Tage festgelegen hatte.

Am 20. Juli um 11 Uhr Vormittags wurde die Ostspitze Asiens und da¬
mit das große Ziel erreicht, wonach man so lange Zeit vergebens gestrebt hatte.
Das Problem der Noxdostdurchfahrt war gelöst. Alle Theilnehmer sind bei
voller Gesundheit und überall, wo sie landeten, mit außerordentlichem Jubel
aufgenommen, kürzlich in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie haben den Ruhm, die
ersten gewesen zu sein, welche den ehrwürdigen Continent Asien-Europa in
seiner ganzen Allsdehnung von circa 1 Million Quadratmeilen umfahren haben.
Mögen sie sich ihres Erfolges freuen!




Georg Büchner.

Indem sich die längere Zeit hindurch herrschende und mit verschiedenen
zum Theil höchst wunderlichen Mitteln aufrecht erhaltene Behauptung zu ver¬
lieren beginnt, daß die deutsche Dichtung seit Goethes Tode nichts Bleibendes
und der Erhaltung Werthes hervorgebracht habe, indem sich eine gerechtere
Würdigung vieler Epigonenschöpfungen aller Orten geltend macht, kann es nicht
ausbleiben, daß nun auch eine gewisse Ueberschätzung einzelner Erscheinungen,
ein Bemühen Platz greift, jedes neuere Talent und jede neuere Leistung in
ihrer Bedeutung emporzuschrauben. Wir haben natürlich in bestimmten Füllen


Breite beigelegt, der sich 6 Meter über den Wasserspiegel erhob, und so gut
innerlich und äußerlich zugerüstet, daß ihr weder die Herbststürme noch die
Winterkälte einen wirklichen Schaden zufügten. Zum Glück war sie auf zwei
volle Jahre verproviantirt, mit allen Mitteln für den Fall des Festfrierens und
vor allen mit ausreichenden Antiscorbutien so gut versehen, daß man der Zu¬
kunft mit Ruhe entgegensehen konnte. Wenn aber auch trotz der wahrhaft sibi¬
rischen Kälte die wissenschaftlichen Arbeiten nach den verschiedenen Richtungen
mit Eifer weiter verfolgt und ein lebhafter Verkehr mit den Küstenstämmen
unterhalten wurde, eine gewisse Ungeduld stellte sich doch bei allen Mitgliedern
ein, als das Thermometer gar nicht steigen wollte, sondern am 3. Mai —26,8°
zeigte. Endlich Anfang Juli 1879 trat eine Wendung zum Bessern ein: der
Schnee schwand, das Meereis erhielt Locher, das Jahreseis löste sich vom
Lande ab, am 18. Juli Nachmittags 1^ Uhr gerieth das Eis in der Nähe
der „Vega" in Bewegung, und zwei Stunden später dampfte das Schiff in die
offene See hinaus und verließ völlig unbeschädigt und mit voller Mannschaft die
Stelle, wo es 274 Tage festgelegen hatte.

Am 20. Juli um 11 Uhr Vormittags wurde die Ostspitze Asiens und da¬
mit das große Ziel erreicht, wonach man so lange Zeit vergebens gestrebt hatte.
Das Problem der Noxdostdurchfahrt war gelöst. Alle Theilnehmer sind bei
voller Gesundheit und überall, wo sie landeten, mit außerordentlichem Jubel
aufgenommen, kürzlich in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie haben den Ruhm, die
ersten gewesen zu sein, welche den ehrwürdigen Continent Asien-Europa in
seiner ganzen Allsdehnung von circa 1 Million Quadratmeilen umfahren haben.
Mögen sie sich ihres Erfolges freuen!




Georg Büchner.

Indem sich die längere Zeit hindurch herrschende und mit verschiedenen
zum Theil höchst wunderlichen Mitteln aufrecht erhaltene Behauptung zu ver¬
lieren beginnt, daß die deutsche Dichtung seit Goethes Tode nichts Bleibendes
und der Erhaltung Werthes hervorgebracht habe, indem sich eine gerechtere
Würdigung vieler Epigonenschöpfungen aller Orten geltend macht, kann es nicht
ausbleiben, daß nun auch eine gewisse Ueberschätzung einzelner Erscheinungen,
ein Bemühen Platz greift, jedes neuere Talent und jede neuere Leistung in
ihrer Bedeutung emporzuschrauben. Wir haben natürlich in bestimmten Füllen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/504>, abgerufen am 22.07.2024.