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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Kitz Hchaper und sein Goethedenkmal in Berlin.

Zugleich mit der von Schinkel begründeten Richtung der Berliner Architektur
hat die von Schadow und Rauch ins Dasein gerufene Berliner Plastik ihren
Aufschwung, ihre Blüthe und ihren Niedergang erlebt. Auch die Bewegungen
innerhalb der Kunstgeschichte gehorchen bestimmten, unabänderlichen Gesetzen wie
der Kreislauf eines Gestirns, welches gestern am Horizonte auftauchte, heute im
Zenith über uns steht und morgen am entgegengesetzten Ende des Horizonts
wieder verschwindet. Nur daß die Bewegungen in der Kunstgeschichte nicht so
Spur- und folgenlos vorübergehen wie der Auf- und Niedergang eines Gestirns.
Wenn ein künstlerischer Gedanke seine Zeit erfüllt hat und im Erlöschen begriffen
ist, hat er bereits Keime gepflanzt, aus welchen sich eine neue Bewegung ent¬
wickeln wird. Das liegt tief im Wesen der Continuität des Entwicklungsganges
der Kunstideen begründet, und darum ziemt es sich nicht, geblendet durch den
Glanz des Neuen, auf das Alte zu schmälen. Der Falter, der sich zur Sonne
emporschwingt, hat nur seine alte, morschgewordene Hülle abgestreift.

Die Berliner Plastik war mit der Architektur alt und grau geworden.
Während der Geist Schinkels mit dem Abglanz des Griechenthums erfüllt war,
während seine schöpferische Phantasie dem prosaischen, nüchternen Charakter der
Preußischen Hauptstadt durch hellenische Tempel und Säulenhallen einen poetischen
Zug aufzuprägen versuchte, sind Schadow und Rauch in der Kunst die Vertreter
jenes strengen, straffen, regelmäßigen, fast spartanischen Geistes, der seinen prä¬
gnantesten Ausdruck in dem preußischen Militarismus findet. Schadow, der die
plastische Kunst aus den drückenden Fesseln des Zopfstils wieder an das warme
Herz der Nation zurückführte, ist trotzdem der charaktervollste Repräsentant des
Altenfritzenthums, während Rauch den ernsten, tiefsittlichen Ideengehalt der
Zeit der Freiheitskriege in seinen Werken nahezu vollständig erschöpft hat.
Beide haben ihre Mission vollkommen erfüllt: beide sind treue Chronisten ihrer
Zeit gewesen, welche das Ewige, das Bleibende in dem beständigen Wechsel
zwischen Werden und Vergehen, mit einem Worte den Charakter ihrer Zeit durch
die Mittel ihrer Kunst festgehalten haben. Aber beide waren keine eigentlich
Poetisch veranlagte Naturen; ihrem Genius war der Sonnenflug zu jeuer Höhe
versagt, auf welcher die reine, Alles bezwingende, Begeisterung entstammende
Schönheit thront. Schadow theilt sich mit Rauch in das Verdienst, die Gesetze
des Portraitstils für die Plastik festgestellt und zugleich das durch Rococo und
Zopf verloren gegangene Gefühl für monumentale Würde wieder belebt zu haben.


Kitz Hchaper und sein Goethedenkmal in Berlin.

Zugleich mit der von Schinkel begründeten Richtung der Berliner Architektur
hat die von Schadow und Rauch ins Dasein gerufene Berliner Plastik ihren
Aufschwung, ihre Blüthe und ihren Niedergang erlebt. Auch die Bewegungen
innerhalb der Kunstgeschichte gehorchen bestimmten, unabänderlichen Gesetzen wie
der Kreislauf eines Gestirns, welches gestern am Horizonte auftauchte, heute im
Zenith über uns steht und morgen am entgegengesetzten Ende des Horizonts
wieder verschwindet. Nur daß die Bewegungen in der Kunstgeschichte nicht so
Spur- und folgenlos vorübergehen wie der Auf- und Niedergang eines Gestirns.
Wenn ein künstlerischer Gedanke seine Zeit erfüllt hat und im Erlöschen begriffen
ist, hat er bereits Keime gepflanzt, aus welchen sich eine neue Bewegung ent¬
wickeln wird. Das liegt tief im Wesen der Continuität des Entwicklungsganges
der Kunstideen begründet, und darum ziemt es sich nicht, geblendet durch den
Glanz des Neuen, auf das Alte zu schmälen. Der Falter, der sich zur Sonne
emporschwingt, hat nur seine alte, morschgewordene Hülle abgestreift.

Die Berliner Plastik war mit der Architektur alt und grau geworden.
Während der Geist Schinkels mit dem Abglanz des Griechenthums erfüllt war,
während seine schöpferische Phantasie dem prosaischen, nüchternen Charakter der
Preußischen Hauptstadt durch hellenische Tempel und Säulenhallen einen poetischen
Zug aufzuprägen versuchte, sind Schadow und Rauch in der Kunst die Vertreter
jenes strengen, straffen, regelmäßigen, fast spartanischen Geistes, der seinen prä¬
gnantesten Ausdruck in dem preußischen Militarismus findet. Schadow, der die
plastische Kunst aus den drückenden Fesseln des Zopfstils wieder an das warme
Herz der Nation zurückführte, ist trotzdem der charaktervollste Repräsentant des
Altenfritzenthums, während Rauch den ernsten, tiefsittlichen Ideengehalt der
Zeit der Freiheitskriege in seinen Werken nahezu vollständig erschöpft hat.
Beide haben ihre Mission vollkommen erfüllt: beide sind treue Chronisten ihrer
Zeit gewesen, welche das Ewige, das Bleibende in dem beständigen Wechsel
zwischen Werden und Vergehen, mit einem Worte den Charakter ihrer Zeit durch
die Mittel ihrer Kunst festgehalten haben. Aber beide waren keine eigentlich
Poetisch veranlagte Naturen; ihrem Genius war der Sonnenflug zu jeuer Höhe
versagt, auf welcher die reine, Alles bezwingende, Begeisterung entstammende
Schönheit thront. Schadow theilt sich mit Rauch in das Verdienst, die Gesetze
des Portraitstils für die Plastik festgestellt und zugleich das durch Rococo und
Zopf verloren gegangene Gefühl für monumentale Würde wieder belebt zu haben.


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[0377] Kitz Hchaper und sein Goethedenkmal in Berlin. Zugleich mit der von Schinkel begründeten Richtung der Berliner Architektur hat die von Schadow und Rauch ins Dasein gerufene Berliner Plastik ihren Aufschwung, ihre Blüthe und ihren Niedergang erlebt. Auch die Bewegungen innerhalb der Kunstgeschichte gehorchen bestimmten, unabänderlichen Gesetzen wie der Kreislauf eines Gestirns, welches gestern am Horizonte auftauchte, heute im Zenith über uns steht und morgen am entgegengesetzten Ende des Horizonts wieder verschwindet. Nur daß die Bewegungen in der Kunstgeschichte nicht so Spur- und folgenlos vorübergehen wie der Auf- und Niedergang eines Gestirns. Wenn ein künstlerischer Gedanke seine Zeit erfüllt hat und im Erlöschen begriffen ist, hat er bereits Keime gepflanzt, aus welchen sich eine neue Bewegung ent¬ wickeln wird. Das liegt tief im Wesen der Continuität des Entwicklungsganges der Kunstideen begründet, und darum ziemt es sich nicht, geblendet durch den Glanz des Neuen, auf das Alte zu schmälen. Der Falter, der sich zur Sonne emporschwingt, hat nur seine alte, morschgewordene Hülle abgestreift. Die Berliner Plastik war mit der Architektur alt und grau geworden. Während der Geist Schinkels mit dem Abglanz des Griechenthums erfüllt war, während seine schöpferische Phantasie dem prosaischen, nüchternen Charakter der Preußischen Hauptstadt durch hellenische Tempel und Säulenhallen einen poetischen Zug aufzuprägen versuchte, sind Schadow und Rauch in der Kunst die Vertreter jenes strengen, straffen, regelmäßigen, fast spartanischen Geistes, der seinen prä¬ gnantesten Ausdruck in dem preußischen Militarismus findet. Schadow, der die plastische Kunst aus den drückenden Fesseln des Zopfstils wieder an das warme Herz der Nation zurückführte, ist trotzdem der charaktervollste Repräsentant des Altenfritzenthums, während Rauch den ernsten, tiefsittlichen Ideengehalt der Zeit der Freiheitskriege in seinen Werken nahezu vollständig erschöpft hat. Beide haben ihre Mission vollkommen erfüllt: beide sind treue Chronisten ihrer Zeit gewesen, welche das Ewige, das Bleibende in dem beständigen Wechsel zwischen Werden und Vergehen, mit einem Worte den Charakter ihrer Zeit durch die Mittel ihrer Kunst festgehalten haben. Aber beide waren keine eigentlich Poetisch veranlagte Naturen; ihrem Genius war der Sonnenflug zu jeuer Höhe versagt, auf welcher die reine, Alles bezwingende, Begeisterung entstammende Schönheit thront. Schadow theilt sich mit Rauch in das Verdienst, die Gesetze des Portraitstils für die Plastik festgestellt und zugleich das durch Rococo und Zopf verloren gegangene Gefühl für monumentale Würde wieder belebt zu haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/377>, abgerufen am 03.07.2024.