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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Die
deutsche Reformation in ultramontaner Beleuchtung.

Der Culturkampf hat seine Schatten auch auf die deutsche Geschichtschrei¬
bung geworfen, vor allem auf die katholische. Bei dem Conflict, der zwischen
dem Ultramontanismus und einer protestantischen Regierung zum Ausbruch ge¬
kommen, ist es begreiflich, daß bittere Empfindungen in jenen Kreisen nicht nur
gegen die Staatsgewalt, welche die "diocletianische Verfolgung" verhängte, sondern
auch gegen die Kirche hervorgerufen wurden, die nun einmal den Charakter
dieses Staates wesentlich bestimmt. Ebenso begreiflich, wenn gleich sehr bedauer¬
lich finden wir es, daß diese Verstimmung auch auf die geschichtliche Auffassung
vor allem der Zeit einwirkt, die den großen Abfall der Deutschen von der
römischen Kirche erlebte. Es beschränkt sich dies auch keineswegs auf einzelne
Personen oder auf einzelne Kreise. Denn sonst wäre der ungewöhnliche, ja
erstaunliche Erfolg nicht denkbar, den ein fo streng wissenschaftliches, so um¬
fangreich angelegtes und dabei doch keineswegs etwa durch besonders glänzende
Darstellung fesselndes Werk wie die Geschichte des deutschen Volkes
seit dem Ausgange des Mittelalters von Johannes Janssen
davongetragen hat (Freiburg, Herder). Der erste starke Band desselben, zu¬
erst 1878 erschienen, hat schon die sechste, der zweite, 1879 herausgekommen,
bereits die zweite Auflage erlebt, und eine neue steht bevor -- ein Beweis dafür,
daß das Buch weit über die gelehrten Kreise hinaus Leser und -- Käufer ge¬
funden, daß es als eine große Rüstkammer im Kampfe gegen den Protestan¬
tismus angesehen und benutzt wird. Wer übrigens nicht in der Lage ist, das
umfangreiche Werk selber zu lesen, den setzen die Auszüge in den "Historisch¬
politischen Blättern" in den Stand, das Wesentliche desselben in sich aufzuneh¬
men und von den darin aufgehäuften Waffen Gebrauch zu machen. Sicher
wird die ungewöhnliche Bedeutung, die Janssens Darstellung im katholischen
Deutschland gewonnen hat, ein genaueres Eingehen auf dieselbe an dieser Stelle
rechtfertigen, umsomehr als das Werk in der protestantischen Journalistik bisher
auffällig wenig beachtet worden ist.

Wir sagen nicht, daß Janssens Buch von Anfang an im Hinblick auf deu
Culturkampf geschrieben worden. Der Verfasser arbeitet seit mehr als zwanzig
Jahren an der Sammlung und Gruppirung des colossalen Stoffes. Als Histo¬
riker ist er ein Schüler Böhmers, mit dem er seit seiner Uebersiedlung nach
Frankfurt a. M. (1854) -- geboren ist er zu Xanten -- in persönlicher Ver-


Die
deutsche Reformation in ultramontaner Beleuchtung.

Der Culturkampf hat seine Schatten auch auf die deutsche Geschichtschrei¬
bung geworfen, vor allem auf die katholische. Bei dem Conflict, der zwischen
dem Ultramontanismus und einer protestantischen Regierung zum Ausbruch ge¬
kommen, ist es begreiflich, daß bittere Empfindungen in jenen Kreisen nicht nur
gegen die Staatsgewalt, welche die „diocletianische Verfolgung" verhängte, sondern
auch gegen die Kirche hervorgerufen wurden, die nun einmal den Charakter
dieses Staates wesentlich bestimmt. Ebenso begreiflich, wenn gleich sehr bedauer¬
lich finden wir es, daß diese Verstimmung auch auf die geschichtliche Auffassung
vor allem der Zeit einwirkt, die den großen Abfall der Deutschen von der
römischen Kirche erlebte. Es beschränkt sich dies auch keineswegs auf einzelne
Personen oder auf einzelne Kreise. Denn sonst wäre der ungewöhnliche, ja
erstaunliche Erfolg nicht denkbar, den ein fo streng wissenschaftliches, so um¬
fangreich angelegtes und dabei doch keineswegs etwa durch besonders glänzende
Darstellung fesselndes Werk wie die Geschichte des deutschen Volkes
seit dem Ausgange des Mittelalters von Johannes Janssen
davongetragen hat (Freiburg, Herder). Der erste starke Band desselben, zu¬
erst 1878 erschienen, hat schon die sechste, der zweite, 1879 herausgekommen,
bereits die zweite Auflage erlebt, und eine neue steht bevor — ein Beweis dafür,
daß das Buch weit über die gelehrten Kreise hinaus Leser und — Käufer ge¬
funden, daß es als eine große Rüstkammer im Kampfe gegen den Protestan¬
tismus angesehen und benutzt wird. Wer übrigens nicht in der Lage ist, das
umfangreiche Werk selber zu lesen, den setzen die Auszüge in den „Historisch¬
politischen Blättern" in den Stand, das Wesentliche desselben in sich aufzuneh¬
men und von den darin aufgehäuften Waffen Gebrauch zu machen. Sicher
wird die ungewöhnliche Bedeutung, die Janssens Darstellung im katholischen
Deutschland gewonnen hat, ein genaueres Eingehen auf dieselbe an dieser Stelle
rechtfertigen, umsomehr als das Werk in der protestantischen Journalistik bisher
auffällig wenig beachtet worden ist.

Wir sagen nicht, daß Janssens Buch von Anfang an im Hinblick auf deu
Culturkampf geschrieben worden. Der Verfasser arbeitet seit mehr als zwanzig
Jahren an der Sammlung und Gruppirung des colossalen Stoffes. Als Histo¬
riker ist er ein Schüler Böhmers, mit dem er seit seiner Uebersiedlung nach
Frankfurt a. M. (1854) — geboren ist er zu Xanten — in persönlicher Ver-


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[0338] Die deutsche Reformation in ultramontaner Beleuchtung. Der Culturkampf hat seine Schatten auch auf die deutsche Geschichtschrei¬ bung geworfen, vor allem auf die katholische. Bei dem Conflict, der zwischen dem Ultramontanismus und einer protestantischen Regierung zum Ausbruch ge¬ kommen, ist es begreiflich, daß bittere Empfindungen in jenen Kreisen nicht nur gegen die Staatsgewalt, welche die „diocletianische Verfolgung" verhängte, sondern auch gegen die Kirche hervorgerufen wurden, die nun einmal den Charakter dieses Staates wesentlich bestimmt. Ebenso begreiflich, wenn gleich sehr bedauer¬ lich finden wir es, daß diese Verstimmung auch auf die geschichtliche Auffassung vor allem der Zeit einwirkt, die den großen Abfall der Deutschen von der römischen Kirche erlebte. Es beschränkt sich dies auch keineswegs auf einzelne Personen oder auf einzelne Kreise. Denn sonst wäre der ungewöhnliche, ja erstaunliche Erfolg nicht denkbar, den ein fo streng wissenschaftliches, so um¬ fangreich angelegtes und dabei doch keineswegs etwa durch besonders glänzende Darstellung fesselndes Werk wie die Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgange des Mittelalters von Johannes Janssen davongetragen hat (Freiburg, Herder). Der erste starke Band desselben, zu¬ erst 1878 erschienen, hat schon die sechste, der zweite, 1879 herausgekommen, bereits die zweite Auflage erlebt, und eine neue steht bevor — ein Beweis dafür, daß das Buch weit über die gelehrten Kreise hinaus Leser und — Käufer ge¬ funden, daß es als eine große Rüstkammer im Kampfe gegen den Protestan¬ tismus angesehen und benutzt wird. Wer übrigens nicht in der Lage ist, das umfangreiche Werk selber zu lesen, den setzen die Auszüge in den „Historisch¬ politischen Blättern" in den Stand, das Wesentliche desselben in sich aufzuneh¬ men und von den darin aufgehäuften Waffen Gebrauch zu machen. Sicher wird die ungewöhnliche Bedeutung, die Janssens Darstellung im katholischen Deutschland gewonnen hat, ein genaueres Eingehen auf dieselbe an dieser Stelle rechtfertigen, umsomehr als das Werk in der protestantischen Journalistik bisher auffällig wenig beachtet worden ist. Wir sagen nicht, daß Janssens Buch von Anfang an im Hinblick auf deu Culturkampf geschrieben worden. Der Verfasser arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren an der Sammlung und Gruppirung des colossalen Stoffes. Als Histo¬ riker ist er ein Schüler Böhmers, mit dem er seit seiner Uebersiedlung nach Frankfurt a. M. (1854) — geboren ist er zu Xanten — in persönlicher Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/338>, abgerufen am 03.07.2024.