Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.-- 279 --
— 279 —
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146788"/> </div> <div n="1"> <head> — 279 —</head><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_20" type="poem"> <head> Die Nadel im Baume.</head> <l> Vor Zeiten, ich war schon groß genug,<lb/> Halt' die Kinderschuhe vertreten,<lb/> Nicht alt war ich, doch aber im Zug,<lb/> Zu Sankt Andreas zu beten,<lb/> Da bin ich gewandelt Tag für Tag<lb/> Das Feld entlang mit der Kathi;<lb/> Ob etwas Liebes im Wege lag?<lb/> ^Klllxi xs,S8kli — xkLSÄti! Und in dem Haideland stand ein Baum,<lb/> Eine schlanke, mächtige Erle,<lb/> Da saßen wir oft in wachenden Traum<lb/> Und horchten dem Schlage der Merle;<lb/> Die hatte ihr struppiges Nest gebaut<lb/> Grad in der schwankenden Krone,<lb/> Und hat so keck hernieder geschaut<lb/> Wie ein Gräflein vom winzigen Throne. Wir kosten so viel und gingen so lang,<lb/> Daß drüber der Sommer verflossen;<lb/> Dann hieß es: „Scheiden, o weh, wie bang!"<lb/> Viel Thränen wurden vergossen;<lb/> Die Hände hielten wir stumm gepreßt,<lb/> Da zog ich aus flatternder Binde<lb/> Eine blanke Nadel und drückte fest,<lb/> Sie fest in die saftige Rinde. Und drunter merkte ich Tag und Stund,<lb/> Dann sind wir fürder gezogen,<lb/> So kläglich schluchzend aus Herzensgrund,<lb/> Daß schreiend die Merle entflogen;<lb/> O, junge Seelen sind Königen gleich,<lb/> Sie können ein Peru vergeuden,<lb/> Im braunen Haid, unterm grünen Zweig,<lb/> Ein Peru an Lieben und Leiden. Die Jahre vergulten mit schleichenden Gang,<lb/> Verrammelt gleich duftiger Wolke,<lb/> Und wieder zog ich das Feld entlang<lb/> Mit jungem lustigem Volke;<lb/> Die schleuderten Stäbe und schrieen „Halloh!"<lb/> Die sprudelten Wide wie schloßen,<lb/> Mir wards im Herzen gar keck und froh,<lb/> Muthwillig wie unter Genossen. Da plötzlich rauscht es im dichten Gezweig,<lb/> „Eine Merle," rief's, „eine Merle/'<lb/> Ich fuhr empor, — ward ich etwa bleich?<lb/> Ich stand an der alternden Erle; </l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
— 279 —
Die Nadel im Baume. Vor Zeiten, ich war schon groß genug,
Halt' die Kinderschuhe vertreten,
Nicht alt war ich, doch aber im Zug,
Zu Sankt Andreas zu beten,
Da bin ich gewandelt Tag für Tag
Das Feld entlang mit der Kathi;
Ob etwas Liebes im Wege lag?
^Klllxi xs,S8kli — xkLSÄti! Und in dem Haideland stand ein Baum,
Eine schlanke, mächtige Erle,
Da saßen wir oft in wachenden Traum
Und horchten dem Schlage der Merle;
Die hatte ihr struppiges Nest gebaut
Grad in der schwankenden Krone,
Und hat so keck hernieder geschaut
Wie ein Gräflein vom winzigen Throne. Wir kosten so viel und gingen so lang,
Daß drüber der Sommer verflossen;
Dann hieß es: „Scheiden, o weh, wie bang!"
Viel Thränen wurden vergossen;
Die Hände hielten wir stumm gepreßt,
Da zog ich aus flatternder Binde
Eine blanke Nadel und drückte fest,
Sie fest in die saftige Rinde. Und drunter merkte ich Tag und Stund,
Dann sind wir fürder gezogen,
So kläglich schluchzend aus Herzensgrund,
Daß schreiend die Merle entflogen;
O, junge Seelen sind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Haid, unterm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden. Die Jahre vergulten mit schleichenden Gang,
Verrammelt gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem lustigem Volke;
Die schleuderten Stäbe und schrieen „Halloh!"
Die sprudelten Wide wie schloßen,
Mir wards im Herzen gar keck und froh,
Muthwillig wie unter Genossen. Da plötzlich rauscht es im dichten Gezweig,
„Eine Merle," rief's, „eine Merle/'
Ich fuhr empor, — ward ich etwa bleich?
Ich stand an der alternden Erle;
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |