Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

zu oft bildungshungrige kleine Leute, denen es bei der Befriedigung ihrer lite-
rarischen Bedürfnisse an einem ehrlichen Und sachkundigen Wegweiser fehlt, und
die sich dadurch, daß die betreffenden Werke lieferungsweise erscheinen, verlocken
lassen, ihr gutes Geld, für das ihnen wahrlich eine bessere Verwendung zu wünschen
wäre, hinzugeben für -- glänzende Maculatur. Es muß nicht immer das Folio¬
format sein, in welchem diese Sorte von "Prachtwerken" auftritt; es giebt deren
auch in Octav.

Schließlich wollen wir nicht verschweigen, daß die Verlagshandlung in der
Wahl ihrer Druckerei nicht glücklich gewesen ist. Wir haben alle Hochachtung
vor der Piererschen Hofbuchdruckerei in Altenburg, aber auf Prachtwerkdruck
scheint sie nicht eingerichtet zu sein. Weder sind die Holzschnitte zu voller Gel¬
tung gekommen, noch ist der Textdruck bis an die äußerste Grenze scharf und
sauber. Die Stuttgarter und Leipziger verstehen das besser.




Die Ursachen der Kanzlerkrisis.*)

Die Ursache der Krisis, die von Wilhelmsstraße 77 oder richtiger aus ge¬
wissen Vorkommnissen im Bundesrathe ausging, ist nicht allein im Verhalten
der Vertreter nichtpreußischer Regierungen bei der Frage der Besteuerung von
Quittungen bei PostVorschüssen und Postanweisungen, sondern auch, und zwar
weit mehr noch, in dem Benehmen von Beamten des eignen Landes bei jener
Gelegenheit zu suchen. Wir haben den Kanzler wiederholt öffentlich über preu¬
ßischen Particularismus gegenüber den Einrichtungen und Bedürfnissen des
Reiches klagen hören. Andrerseits ist bei seiner häufigen langen Entferntheit
von den Geschäften eine Art von Republik im polnischen Sinne entstanden, wo
jeder Chef der Regierung seine eigene Meinung nicht nur haben, sondern geltend
machen will. Vortragende Räthe, deren Ansichten der Vorstand ihres Departe¬
ments nicht approbirt und adoptirt hat, oder auch Minister, die von den An¬
schauungen und Plänen des Kanzlers abweichen, versuchen, als ob das selbst¬
verständlich, ihre Gedanken durchzusetzen, und daß dies der oberste Leiter der
Regierung des Kaisers und Königs nicht gestatten kann, liegt auf der Hand.
"König Stephan gegen König Wilhelm geht uicht."

Soviel wir wissen -- und wir glauben, gut unterrichtet zu sein -- hat
die Kanzlerkrisis ferner durchaus nicht die Tendenz, eine Verfassungsänderung
herbeizuführen. Nichts liegt dem Fürsten ferner. Er hält die Verfassung des



5) Der "Politische Brief" an der Spitze dieser Nummer war schon gedruckt als uns
,
D. Red. noch der ovcnstehende wichtige Artikel zuging.

zu oft bildungshungrige kleine Leute, denen es bei der Befriedigung ihrer lite-
rarischen Bedürfnisse an einem ehrlichen Und sachkundigen Wegweiser fehlt, und
die sich dadurch, daß die betreffenden Werke lieferungsweise erscheinen, verlocken
lassen, ihr gutes Geld, für das ihnen wahrlich eine bessere Verwendung zu wünschen
wäre, hinzugeben für — glänzende Maculatur. Es muß nicht immer das Folio¬
format sein, in welchem diese Sorte von „Prachtwerken" auftritt; es giebt deren
auch in Octav.

Schließlich wollen wir nicht verschweigen, daß die Verlagshandlung in der
Wahl ihrer Druckerei nicht glücklich gewesen ist. Wir haben alle Hochachtung
vor der Piererschen Hofbuchdruckerei in Altenburg, aber auf Prachtwerkdruck
scheint sie nicht eingerichtet zu sein. Weder sind die Holzschnitte zu voller Gel¬
tung gekommen, noch ist der Textdruck bis an die äußerste Grenze scharf und
sauber. Die Stuttgarter und Leipziger verstehen das besser.




Die Ursachen der Kanzlerkrisis.*)

Die Ursache der Krisis, die von Wilhelmsstraße 77 oder richtiger aus ge¬
wissen Vorkommnissen im Bundesrathe ausging, ist nicht allein im Verhalten
der Vertreter nichtpreußischer Regierungen bei der Frage der Besteuerung von
Quittungen bei PostVorschüssen und Postanweisungen, sondern auch, und zwar
weit mehr noch, in dem Benehmen von Beamten des eignen Landes bei jener
Gelegenheit zu suchen. Wir haben den Kanzler wiederholt öffentlich über preu¬
ßischen Particularismus gegenüber den Einrichtungen und Bedürfnissen des
Reiches klagen hören. Andrerseits ist bei seiner häufigen langen Entferntheit
von den Geschäften eine Art von Republik im polnischen Sinne entstanden, wo
jeder Chef der Regierung seine eigene Meinung nicht nur haben, sondern geltend
machen will. Vortragende Räthe, deren Ansichten der Vorstand ihres Departe¬
ments nicht approbirt und adoptirt hat, oder auch Minister, die von den An¬
schauungen und Plänen des Kanzlers abweichen, versuchen, als ob das selbst¬
verständlich, ihre Gedanken durchzusetzen, und daß dies der oberste Leiter der
Regierung des Kaisers und Königs nicht gestatten kann, liegt auf der Hand.
„König Stephan gegen König Wilhelm geht uicht."

Soviel wir wissen — und wir glauben, gut unterrichtet zu sein — hat
die Kanzlerkrisis ferner durchaus nicht die Tendenz, eine Verfassungsänderung
herbeizuführen. Nichts liegt dem Fürsten ferner. Er hält die Verfassung des



5) Der „Politische Brief" an der Spitze dieser Nummer war schon gedruckt als uns
,
D. Red. noch der ovcnstehende wichtige Artikel zuging.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146633"/>
          <p xml:id="ID_374" prev="#ID_373"> zu oft bildungshungrige kleine Leute, denen es bei der Befriedigung ihrer lite-<lb/>
rarischen Bedürfnisse an einem ehrlichen Und sachkundigen Wegweiser fehlt, und<lb/>
die sich dadurch, daß die betreffenden Werke lieferungsweise erscheinen, verlocken<lb/>
lassen, ihr gutes Geld, für das ihnen wahrlich eine bessere Verwendung zu wünschen<lb/>
wäre, hinzugeben für &#x2014; glänzende Maculatur. Es muß nicht immer das Folio¬<lb/>
format sein, in welchem diese Sorte von &#x201E;Prachtwerken" auftritt; es giebt deren<lb/>
auch in Octav.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_375"> Schließlich wollen wir nicht verschweigen, daß die Verlagshandlung in der<lb/>
Wahl ihrer Druckerei nicht glücklich gewesen ist. Wir haben alle Hochachtung<lb/>
vor der Piererschen Hofbuchdruckerei in Altenburg, aber auf Prachtwerkdruck<lb/>
scheint sie nicht eingerichtet zu sein. Weder sind die Holzschnitte zu voller Gel¬<lb/>
tung gekommen, noch ist der Textdruck bis an die äußerste Grenze scharf und<lb/>
sauber. Die Stuttgarter und Leipziger verstehen das besser.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ursachen der Kanzlerkrisis.*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_376"> Die Ursache der Krisis, die von Wilhelmsstraße 77 oder richtiger aus ge¬<lb/>
wissen Vorkommnissen im Bundesrathe ausging, ist nicht allein im Verhalten<lb/>
der Vertreter nichtpreußischer Regierungen bei der Frage der Besteuerung von<lb/>
Quittungen bei PostVorschüssen und Postanweisungen, sondern auch, und zwar<lb/>
weit mehr noch, in dem Benehmen von Beamten des eignen Landes bei jener<lb/>
Gelegenheit zu suchen. Wir haben den Kanzler wiederholt öffentlich über preu¬<lb/>
ßischen Particularismus gegenüber den Einrichtungen und Bedürfnissen des<lb/>
Reiches klagen hören. Andrerseits ist bei seiner häufigen langen Entferntheit<lb/>
von den Geschäften eine Art von Republik im polnischen Sinne entstanden, wo<lb/>
jeder Chef der Regierung seine eigene Meinung nicht nur haben, sondern geltend<lb/>
machen will. Vortragende Räthe, deren Ansichten der Vorstand ihres Departe¬<lb/>
ments nicht approbirt und adoptirt hat, oder auch Minister, die von den An¬<lb/>
schauungen und Plänen des Kanzlers abweichen, versuchen, als ob das selbst¬<lb/>
verständlich, ihre Gedanken durchzusetzen, und daß dies der oberste Leiter der<lb/>
Regierung des Kaisers und Königs nicht gestatten kann, liegt auf der Hand.<lb/>
&#x201E;König Stephan gegen König Wilhelm geht uicht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> Soviel wir wissen &#x2014; und wir glauben, gut unterrichtet zu sein &#x2014; hat<lb/>
die Kanzlerkrisis ferner durchaus nicht die Tendenz, eine Verfassungsänderung<lb/>
herbeizuführen. Nichts liegt dem Fürsten ferner. Er hält die Verfassung des</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> 5) Der &#x201E;Politische Brief" an der Spitze dieser Nummer war schon gedruckt als uns<lb/><note type="byline"> ,<lb/>
D. Red.</note> noch der ovcnstehende wichtige Artikel zuging. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0128] zu oft bildungshungrige kleine Leute, denen es bei der Befriedigung ihrer lite- rarischen Bedürfnisse an einem ehrlichen Und sachkundigen Wegweiser fehlt, und die sich dadurch, daß die betreffenden Werke lieferungsweise erscheinen, verlocken lassen, ihr gutes Geld, für das ihnen wahrlich eine bessere Verwendung zu wünschen wäre, hinzugeben für — glänzende Maculatur. Es muß nicht immer das Folio¬ format sein, in welchem diese Sorte von „Prachtwerken" auftritt; es giebt deren auch in Octav. Schließlich wollen wir nicht verschweigen, daß die Verlagshandlung in der Wahl ihrer Druckerei nicht glücklich gewesen ist. Wir haben alle Hochachtung vor der Piererschen Hofbuchdruckerei in Altenburg, aber auf Prachtwerkdruck scheint sie nicht eingerichtet zu sein. Weder sind die Holzschnitte zu voller Gel¬ tung gekommen, noch ist der Textdruck bis an die äußerste Grenze scharf und sauber. Die Stuttgarter und Leipziger verstehen das besser. Die Ursachen der Kanzlerkrisis.*) Die Ursache der Krisis, die von Wilhelmsstraße 77 oder richtiger aus ge¬ wissen Vorkommnissen im Bundesrathe ausging, ist nicht allein im Verhalten der Vertreter nichtpreußischer Regierungen bei der Frage der Besteuerung von Quittungen bei PostVorschüssen und Postanweisungen, sondern auch, und zwar weit mehr noch, in dem Benehmen von Beamten des eignen Landes bei jener Gelegenheit zu suchen. Wir haben den Kanzler wiederholt öffentlich über preu¬ ßischen Particularismus gegenüber den Einrichtungen und Bedürfnissen des Reiches klagen hören. Andrerseits ist bei seiner häufigen langen Entferntheit von den Geschäften eine Art von Republik im polnischen Sinne entstanden, wo jeder Chef der Regierung seine eigene Meinung nicht nur haben, sondern geltend machen will. Vortragende Räthe, deren Ansichten der Vorstand ihres Departe¬ ments nicht approbirt und adoptirt hat, oder auch Minister, die von den An¬ schauungen und Plänen des Kanzlers abweichen, versuchen, als ob das selbst¬ verständlich, ihre Gedanken durchzusetzen, und daß dies der oberste Leiter der Regierung des Kaisers und Königs nicht gestatten kann, liegt auf der Hand. „König Stephan gegen König Wilhelm geht uicht." Soviel wir wissen — und wir glauben, gut unterrichtet zu sein — hat die Kanzlerkrisis ferner durchaus nicht die Tendenz, eine Verfassungsänderung herbeizuführen. Nichts liegt dem Fürsten ferner. Er hält die Verfassung des 5) Der „Politische Brief" an der Spitze dieser Nummer war schon gedruckt als uns , D. Red. noch der ovcnstehende wichtige Artikel zuging.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/128
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/128>, abgerufen am 22.07.2024.