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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Industrien nicht noch weit mehr befähigt sein, Zollreduetionen zu ertragen
als jetzt?

Vor mehreren Jahren schon hat der Verfasser dieser Zeilen in der Schrift:
"Die deutsche Industrie vor dem Reichstage" (Leipzig, Frohberg) bei Besprechung
der Eisenzölle darauf hingewiesen, daß die deutsche Industrie, trotz der durch
das Zusammentreffen vieler Umstände höchst mißlichen Lage, doch zur Noth
das Fallen der Eisenzölle vertragen könne, nämlich was ihre innere Entwicklung
und Widerstandsfähigkeit betreffe, doch sei es rathsam, einen andern Zeitpunkt
als gerade den ungünstigsten zu wählen, um die Empfindlichkeit des Rückschlags
zu mildern.

3.

Ein Mittel, Gegenseitigkeit zu erziele" ist die Retorsivn. Es ist davon
gesprochen worden, sich der Retorsionszölle zu bedienen, um auch gleichzeitig
die vergrößerte" Reichsausgaben zu decken, und bezüglich der letztern find ihrer
Zeit die Tabakssteuer und das Tabaksmonopol in den Vordergrund der Erwä¬
gung getreten. Das war gewiß mit Freuden zu begrüßen als der endliche
Durchbruch zu einer practischen, den thatsächlichen Verhältnissen entsprechenden
und damit rechnenden Handelspolitik^ Die Politiker mögen sich beruhigen. Die
"Masse Geld", welche dadurch die Regierung erhält, wird das "Budgetrecht"
uicht "illusorisch" machen. Als ob ein verfassungsmäßiger Staat, regiert von
einem allgeliebten Herrscher und von Staatsmännern, welche durchdrungen
find von der Fülle und Veranwortlichkeit ihrer Aufgabe, jemals zuviel Geld
haben könnte.

Hat das Land nicht die Größe des Militärbudgets als eine eiserne Noth¬
wendigkeit, aber als eine Last gefühlt, als ein unvermeidliches Hinderniß, andere
wichtige Staats- und Culturzwecke zu verfolgen? Wenn man den Begriff der
Volkswirthschaft nicht allzu eng auffaßt, so gehört auch das Unterrichtswesen
dazu, und Adam Smith betont dies ausdrücklich und legt es dem Staate als
eine seiner ersten Pflichten ans Herz. Und gerade darin, wie viele fromme
Wünsche, wie viele Forderungen höherer Erkenntniß und gereifter Sittlichkeit,
wie viele practische und gewaltige Reformen mußten in stiller Resignation zu
deu Acten gelegt werden, weil -- der usrvus rsruin fehlte!

Er war mehr als ein sonderbarer Schwärmer, jener österreichische Abge¬
ordnete, welcher die Abschaffung der stehenden Heere forderte, damit die Staaten
ihren Culturzwecken nachgehen könnten; das bewies seiner Zeit das enorme
Aufsehen, welches seine Rede machte. Nur darin irrte er, daß er von Zweien
Eines forderte, während Beides nöthig war, und wenn nur Eines, die Existenz
überhaupt der schönen Existenz vorangehen mußte.


Industrien nicht noch weit mehr befähigt sein, Zollreduetionen zu ertragen
als jetzt?

Vor mehreren Jahren schon hat der Verfasser dieser Zeilen in der Schrift:
„Die deutsche Industrie vor dem Reichstage" (Leipzig, Frohberg) bei Besprechung
der Eisenzölle darauf hingewiesen, daß die deutsche Industrie, trotz der durch
das Zusammentreffen vieler Umstände höchst mißlichen Lage, doch zur Noth
das Fallen der Eisenzölle vertragen könne, nämlich was ihre innere Entwicklung
und Widerstandsfähigkeit betreffe, doch sei es rathsam, einen andern Zeitpunkt
als gerade den ungünstigsten zu wählen, um die Empfindlichkeit des Rückschlags
zu mildern.

3.

Ein Mittel, Gegenseitigkeit zu erziele» ist die Retorsivn. Es ist davon
gesprochen worden, sich der Retorsionszölle zu bedienen, um auch gleichzeitig
die vergrößerte» Reichsausgaben zu decken, und bezüglich der letztern find ihrer
Zeit die Tabakssteuer und das Tabaksmonopol in den Vordergrund der Erwä¬
gung getreten. Das war gewiß mit Freuden zu begrüßen als der endliche
Durchbruch zu einer practischen, den thatsächlichen Verhältnissen entsprechenden
und damit rechnenden Handelspolitik^ Die Politiker mögen sich beruhigen. Die
„Masse Geld", welche dadurch die Regierung erhält, wird das „Budgetrecht"
uicht „illusorisch" machen. Als ob ein verfassungsmäßiger Staat, regiert von
einem allgeliebten Herrscher und von Staatsmännern, welche durchdrungen
find von der Fülle und Veranwortlichkeit ihrer Aufgabe, jemals zuviel Geld
haben könnte.

Hat das Land nicht die Größe des Militärbudgets als eine eiserne Noth¬
wendigkeit, aber als eine Last gefühlt, als ein unvermeidliches Hinderniß, andere
wichtige Staats- und Culturzwecke zu verfolgen? Wenn man den Begriff der
Volkswirthschaft nicht allzu eng auffaßt, so gehört auch das Unterrichtswesen
dazu, und Adam Smith betont dies ausdrücklich und legt es dem Staate als
eine seiner ersten Pflichten ans Herz. Und gerade darin, wie viele fromme
Wünsche, wie viele Forderungen höherer Erkenntniß und gereifter Sittlichkeit,
wie viele practische und gewaltige Reformen mußten in stiller Resignation zu
deu Acten gelegt werden, weil — der usrvus rsruin fehlte!

Er war mehr als ein sonderbarer Schwärmer, jener österreichische Abge¬
ordnete, welcher die Abschaffung der stehenden Heere forderte, damit die Staaten
ihren Culturzwecken nachgehen könnten; das bewies seiner Zeit das enorme
Aufsehen, welches seine Rede machte. Nur darin irrte er, daß er von Zweien
Eines forderte, während Beides nöthig war, und wenn nur Eines, die Existenz
überhaupt der schönen Existenz vorangehen mußte.


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[0104] Industrien nicht noch weit mehr befähigt sein, Zollreduetionen zu ertragen als jetzt? Vor mehreren Jahren schon hat der Verfasser dieser Zeilen in der Schrift: „Die deutsche Industrie vor dem Reichstage" (Leipzig, Frohberg) bei Besprechung der Eisenzölle darauf hingewiesen, daß die deutsche Industrie, trotz der durch das Zusammentreffen vieler Umstände höchst mißlichen Lage, doch zur Noth das Fallen der Eisenzölle vertragen könne, nämlich was ihre innere Entwicklung und Widerstandsfähigkeit betreffe, doch sei es rathsam, einen andern Zeitpunkt als gerade den ungünstigsten zu wählen, um die Empfindlichkeit des Rückschlags zu mildern. 3. Ein Mittel, Gegenseitigkeit zu erziele» ist die Retorsivn. Es ist davon gesprochen worden, sich der Retorsionszölle zu bedienen, um auch gleichzeitig die vergrößerte» Reichsausgaben zu decken, und bezüglich der letztern find ihrer Zeit die Tabakssteuer und das Tabaksmonopol in den Vordergrund der Erwä¬ gung getreten. Das war gewiß mit Freuden zu begrüßen als der endliche Durchbruch zu einer practischen, den thatsächlichen Verhältnissen entsprechenden und damit rechnenden Handelspolitik^ Die Politiker mögen sich beruhigen. Die „Masse Geld", welche dadurch die Regierung erhält, wird das „Budgetrecht" uicht „illusorisch" machen. Als ob ein verfassungsmäßiger Staat, regiert von einem allgeliebten Herrscher und von Staatsmännern, welche durchdrungen find von der Fülle und Veranwortlichkeit ihrer Aufgabe, jemals zuviel Geld haben könnte. Hat das Land nicht die Größe des Militärbudgets als eine eiserne Noth¬ wendigkeit, aber als eine Last gefühlt, als ein unvermeidliches Hinderniß, andere wichtige Staats- und Culturzwecke zu verfolgen? Wenn man den Begriff der Volkswirthschaft nicht allzu eng auffaßt, so gehört auch das Unterrichtswesen dazu, und Adam Smith betont dies ausdrücklich und legt es dem Staate als eine seiner ersten Pflichten ans Herz. Und gerade darin, wie viele fromme Wünsche, wie viele Forderungen höherer Erkenntniß und gereifter Sittlichkeit, wie viele practische und gewaltige Reformen mußten in stiller Resignation zu deu Acten gelegt werden, weil — der usrvus rsruin fehlte! Er war mehr als ein sonderbarer Schwärmer, jener österreichische Abge¬ ordnete, welcher die Abschaffung der stehenden Heere forderte, damit die Staaten ihren Culturzwecken nachgehen könnten; das bewies seiner Zeit das enorme Aufsehen, welches seine Rede machte. Nur darin irrte er, daß er von Zweien Eines forderte, während Beides nöthig war, und wenn nur Eines, die Existenz überhaupt der schönen Existenz vorangehen mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/104>, abgerufen am 03.07.2024.