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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Der letzte LrzKanzler des alten deutschen Kelchs.*)
Von Otto Kaemmel. 2.

Von dem Beginne des Krieges war Dalberg völlig überrascht. Auch sein
Gebiet wurde zum Theil von der französischen Invasion betroffen, doch verstand
er, gemäß dein Deputationshauptschluß, die Neutralität von Regensburg und
Wetzlar durchzusetzen, während er auf der anderen Seite keinen Anstand nahm,
im Fürstenthum Aschaffenburg auf jede Befreiung der landesfürstlichen Gebäude
von den Lasten der Einquartierung zu verzichten, und zugleich alle sonst etwa
geltenden Exemtionen in dieser Beziehung aufhob (4. November). Zugleich
brachte er fast in demselben Momente zum letzten Male seine Erzkanzlerwürde
zur Geltung. Nach der Ulmer Katastrophe (17. Oktober), nach dem Uebertritt
Baierns, Würtembergs und Badens zu Frankreich, in dem Augenblicke, als
Napoleons Heersäulen widerstandslos auf Wien vorgingen, der Kaiser selbst sein
Hauptquartier bereits in Linz aufgeschlagen hatte, ließ er am 8. November dem
Reichstage durch Albini eine sogenannte Diktatur zugehen, welche zunächst -- in
lauter Fragesätzen -- die jammervolle Lage Deutschlands der hohen Versamm¬
lung zu Gemüthe führte, dann die Frage aufwarf: "Sollte der Name Deutsch¬
land, der Name deutscher Nation, der Name eines Volksstammes erlöschen, der
ehemals den römischen Koloß besiegte? der dnrch Treue, Muth, Arbeitsamkeit
und nützliche Erfindungen sich um das Wohl der Menschheit verdient machte?"
und zum Schlüsse Vorschläge machte, wie ein solches Unglück vermieden werde
"1.) durch allgemeines Bestreben, die Einheit der deutschen Reichsverfassung zu
erhalten, 2.) durch Vereinigung der Gemüther, in Befolgung der Reichsgesetze,
3.) durch einstimmige Verwendung aller und jeder Deutschen, um einen guten,
ehrenvollen, dauerhaften Frieden zu erwirken." Gewiß waren das die richtigen
Mittel, nur hätte Dalberg auch angeben sollen, wie sie unter den obwaltenden
Umständen in Wirksamkeit zu setzen seien, doch er hatte immer Neigung gehabt,
uach dem Motto clixi se Lslvavi animiun zu handeln, und unzweifelhaft hat
er auch damals dies Aktenstück als eine kühne Mannesthat betrachtet. Die Ge¬
nugthuung wenigstens hatte er, den Zorn des Imperators zu reizen. Von
Schönbrunn aus schrieb dieser am 24. Dezember an den Erzkanzler: ^'al vu,
""so xsüis Iss clöiniMkos pu's, tÄirss Vorrs ^Itssss xour rövsillsr l'ssxrit
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*) Karl v, Dalberg und seine Zeit, Zur Biographie und Charakteristik des
Fürsten-Primas. Bon Kar l Freiherrn v. Bcauliu-Marconnay, Weimar, Bostan
1879. Zwei Bände.
Der letzte LrzKanzler des alten deutschen Kelchs.*)
Von Otto Kaemmel. 2.

Von dem Beginne des Krieges war Dalberg völlig überrascht. Auch sein
Gebiet wurde zum Theil von der französischen Invasion betroffen, doch verstand
er, gemäß dein Deputationshauptschluß, die Neutralität von Regensburg und
Wetzlar durchzusetzen, während er auf der anderen Seite keinen Anstand nahm,
im Fürstenthum Aschaffenburg auf jede Befreiung der landesfürstlichen Gebäude
von den Lasten der Einquartierung zu verzichten, und zugleich alle sonst etwa
geltenden Exemtionen in dieser Beziehung aufhob (4. November). Zugleich
brachte er fast in demselben Momente zum letzten Male seine Erzkanzlerwürde
zur Geltung. Nach der Ulmer Katastrophe (17. Oktober), nach dem Uebertritt
Baierns, Würtembergs und Badens zu Frankreich, in dem Augenblicke, als
Napoleons Heersäulen widerstandslos auf Wien vorgingen, der Kaiser selbst sein
Hauptquartier bereits in Linz aufgeschlagen hatte, ließ er am 8. November dem
Reichstage durch Albini eine sogenannte Diktatur zugehen, welche zunächst — in
lauter Fragesätzen — die jammervolle Lage Deutschlands der hohen Versamm¬
lung zu Gemüthe führte, dann die Frage aufwarf: „Sollte der Name Deutsch¬
land, der Name deutscher Nation, der Name eines Volksstammes erlöschen, der
ehemals den römischen Koloß besiegte? der dnrch Treue, Muth, Arbeitsamkeit
und nützliche Erfindungen sich um das Wohl der Menschheit verdient machte?"
und zum Schlüsse Vorschläge machte, wie ein solches Unglück vermieden werde
»1.) durch allgemeines Bestreben, die Einheit der deutschen Reichsverfassung zu
erhalten, 2.) durch Vereinigung der Gemüther, in Befolgung der Reichsgesetze,
3.) durch einstimmige Verwendung aller und jeder Deutschen, um einen guten,
ehrenvollen, dauerhaften Frieden zu erwirken." Gewiß waren das die richtigen
Mittel, nur hätte Dalberg auch angeben sollen, wie sie unter den obwaltenden
Umständen in Wirksamkeit zu setzen seien, doch er hatte immer Neigung gehabt,
uach dem Motto clixi se Lslvavi animiun zu handeln, und unzweifelhaft hat
er auch damals dies Aktenstück als eine kühne Mannesthat betrachtet. Die Ge¬
nugthuung wenigstens hatte er, den Zorn des Imperators zu reizen. Von
Schönbrunn aus schrieb dieser am 24. Dezember an den Erzkanzler: ^'al vu,
»"so xsüis Iss clöiniMkos pu's, tÄirss Vorrs ^Itssss xour rövsillsr l'ssxrit
ssörmMi^no, surtorit 1ol'sciri.'IAIs u'avait xoint juAv Z, xroxos Ä'su 5?g,irs
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*) Karl v, Dalberg und seine Zeit, Zur Biographie und Charakteristik des
Fürsten-Primas. Bon Kar l Freiherrn v. Bcauliu-Marconnay, Weimar, Bostan
1879. Zwei Bände.
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[0449] Der letzte LrzKanzler des alten deutschen Kelchs.*) Von Otto Kaemmel. 2. Von dem Beginne des Krieges war Dalberg völlig überrascht. Auch sein Gebiet wurde zum Theil von der französischen Invasion betroffen, doch verstand er, gemäß dein Deputationshauptschluß, die Neutralität von Regensburg und Wetzlar durchzusetzen, während er auf der anderen Seite keinen Anstand nahm, im Fürstenthum Aschaffenburg auf jede Befreiung der landesfürstlichen Gebäude von den Lasten der Einquartierung zu verzichten, und zugleich alle sonst etwa geltenden Exemtionen in dieser Beziehung aufhob (4. November). Zugleich brachte er fast in demselben Momente zum letzten Male seine Erzkanzlerwürde zur Geltung. Nach der Ulmer Katastrophe (17. Oktober), nach dem Uebertritt Baierns, Würtembergs und Badens zu Frankreich, in dem Augenblicke, als Napoleons Heersäulen widerstandslos auf Wien vorgingen, der Kaiser selbst sein Hauptquartier bereits in Linz aufgeschlagen hatte, ließ er am 8. November dem Reichstage durch Albini eine sogenannte Diktatur zugehen, welche zunächst — in lauter Fragesätzen — die jammervolle Lage Deutschlands der hohen Versamm¬ lung zu Gemüthe führte, dann die Frage aufwarf: „Sollte der Name Deutsch¬ land, der Name deutscher Nation, der Name eines Volksstammes erlöschen, der ehemals den römischen Koloß besiegte? der dnrch Treue, Muth, Arbeitsamkeit und nützliche Erfindungen sich um das Wohl der Menschheit verdient machte?" und zum Schlüsse Vorschläge machte, wie ein solches Unglück vermieden werde »1.) durch allgemeines Bestreben, die Einheit der deutschen Reichsverfassung zu erhalten, 2.) durch Vereinigung der Gemüther, in Befolgung der Reichsgesetze, 3.) durch einstimmige Verwendung aller und jeder Deutschen, um einen guten, ehrenvollen, dauerhaften Frieden zu erwirken." Gewiß waren das die richtigen Mittel, nur hätte Dalberg auch angeben sollen, wie sie unter den obwaltenden Umständen in Wirksamkeit zu setzen seien, doch er hatte immer Neigung gehabt, uach dem Motto clixi se Lslvavi animiun zu handeln, und unzweifelhaft hat er auch damals dies Aktenstück als eine kühne Mannesthat betrachtet. Die Ge¬ nugthuung wenigstens hatte er, den Zorn des Imperators zu reizen. Von Schönbrunn aus schrieb dieser am 24. Dezember an den Erzkanzler: ^'al vu, »"so xsüis Iss clöiniMkos pu's, tÄirss Vorrs ^Itssss xour rövsillsr l'ssxrit ssörmMi^no, surtorit 1ol'sciri.'IAIs u'avait xoint juAv Z, xroxos Ä'su 5?g,irs inorasut on 1a 1Za.vivrs avait srs ooeuxss xar I'^utricus se 1s tsrritoirs *) Karl v, Dalberg und seine Zeit, Zur Biographie und Charakteristik des Fürsten-Primas. Bon Kar l Freiherrn v. Bcauliu-Marconnay, Weimar, Bostan 1879. Zwei Bände.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/449>, abgerufen am 25.08.2024.