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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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zu seinem auswärtigen Mitgliede, die Pariser Zeitungen begrüßten ihn mit
ausgesuchten Schmeicheleien. Nur eins mochte seine Befriedigung trüben. Seine
persönlichen Bemühungen um ein Konkordat blieben auch bei Pius VII. frucht¬
los; ja eben während seines Aufenthaltes in Paris lehnte das Kardinalskolle¬
gium seine Vorschläge zu einem solchen ab, weil sie die Reichsgesetze als
Grundlage für die deutschen Kirchenvcrhältnisse festhielten (30. Dezember 1804),
und nur das konnte er für einen Erfolg seiner Bemühungen rechnen, daß der
Papst die kirchlichen Verfügungen des Deputationshauptschlnsses, namentlich
auch die über die Stellung Regensburgs formell bestätigte (1. Februar 1805).
Das Alles konnte aber den Eindruck des Empfanges in Paris nicht verwischen
Erst im Februar 1805 kehrte Dcilberg nach Deutschland zurück, wenige Monate
vor dem Ausbruche des Krieges, der das alte Reich vollends in Trümmer
schlagen sollte. Auch er war bereits in dem Netze gefangen, das die französi¬
sche Politik über den Süden und Westen Deutschlands zu werfen eben im
Begriffe stand.




Aas Überhandnehmen des musikalischen
Wrtuosenthums.

Für jede Kunst ist es ein schlimmes Zeichen der Zeit, wenn das Virtuosen-
thum überwuchernd sich breit macht. Eine Periode gedeihlicher Entwickelung
und gesunden Fortschritts wird in dem Virtuosen nur den guten Interpreten
schätzen; dagegen sind wir heute längst dabei angekommen, den Virtuosen um
seiner Virtuosität willen anzustaunen, gleichviel auf welche Weise er dieselbe
bethätigt, sodaß das inhaltloseste Phrasenwerk, der jämmerlichste Firlefanz und
musikalische Hokuspokus das Concertpublikum zu "frenetischem Applaus" hinzu¬
reißen vermag. Wenn nur dem Violinspieler das etwas gewagte Experiment
andauernden Flageoletspiels in schneller Bewegung glückt, ohne daß die Saite
einmal versagt, oder der Pianist eine Reihe kühner Sprünge nacheinander aus¬
führt, ohne fehlzugreifen, oder der Sänger in der glücklichen Lage ist, seinen nur
zu Zeiten disponiblen höchsten Ton zu spenden und vom schmelzenden Pianissimo
zum donnernden Fortissimo anzuschwellen, oder die Sängerin in Rouladen und
Tiraden und der Natur der menschlichen Stimme hohnsprechenden Harpeggicn
mit den Akrobaten des Orchesters (den Flöten) konkurrirt: so mögen sie diese
Künste an einem Werke höchsten Genies oder an der erbärmlichsten Dutzend¬
waare zeigen, der Erfolg wird kaum erheblich modifizirt werden. Wenn auch
der bessere Theil unserer Tageskritik längst Einspruch erhoben hat gegen den


zu seinem auswärtigen Mitgliede, die Pariser Zeitungen begrüßten ihn mit
ausgesuchten Schmeicheleien. Nur eins mochte seine Befriedigung trüben. Seine
persönlichen Bemühungen um ein Konkordat blieben auch bei Pius VII. frucht¬
los; ja eben während seines Aufenthaltes in Paris lehnte das Kardinalskolle¬
gium seine Vorschläge zu einem solchen ab, weil sie die Reichsgesetze als
Grundlage für die deutschen Kirchenvcrhältnisse festhielten (30. Dezember 1804),
und nur das konnte er für einen Erfolg seiner Bemühungen rechnen, daß der
Papst die kirchlichen Verfügungen des Deputationshauptschlnsses, namentlich
auch die über die Stellung Regensburgs formell bestätigte (1. Februar 1805).
Das Alles konnte aber den Eindruck des Empfanges in Paris nicht verwischen
Erst im Februar 1805 kehrte Dcilberg nach Deutschland zurück, wenige Monate
vor dem Ausbruche des Krieges, der das alte Reich vollends in Trümmer
schlagen sollte. Auch er war bereits in dem Netze gefangen, das die französi¬
sche Politik über den Süden und Westen Deutschlands zu werfen eben im
Begriffe stand.




Aas Überhandnehmen des musikalischen
Wrtuosenthums.

Für jede Kunst ist es ein schlimmes Zeichen der Zeit, wenn das Virtuosen-
thum überwuchernd sich breit macht. Eine Periode gedeihlicher Entwickelung
und gesunden Fortschritts wird in dem Virtuosen nur den guten Interpreten
schätzen; dagegen sind wir heute längst dabei angekommen, den Virtuosen um
seiner Virtuosität willen anzustaunen, gleichviel auf welche Weise er dieselbe
bethätigt, sodaß das inhaltloseste Phrasenwerk, der jämmerlichste Firlefanz und
musikalische Hokuspokus das Concertpublikum zu „frenetischem Applaus" hinzu¬
reißen vermag. Wenn nur dem Violinspieler das etwas gewagte Experiment
andauernden Flageoletspiels in schneller Bewegung glückt, ohne daß die Saite
einmal versagt, oder der Pianist eine Reihe kühner Sprünge nacheinander aus¬
führt, ohne fehlzugreifen, oder der Sänger in der glücklichen Lage ist, seinen nur
zu Zeiten disponiblen höchsten Ton zu spenden und vom schmelzenden Pianissimo
zum donnernden Fortissimo anzuschwellen, oder die Sängerin in Rouladen und
Tiraden und der Natur der menschlichen Stimme hohnsprechenden Harpeggicn
mit den Akrobaten des Orchesters (den Flöten) konkurrirt: so mögen sie diese
Künste an einem Werke höchsten Genies oder an der erbärmlichsten Dutzend¬
waare zeigen, der Erfolg wird kaum erheblich modifizirt werden. Wenn auch
der bessere Theil unserer Tageskritik längst Einspruch erhoben hat gegen den


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[0368] zu seinem auswärtigen Mitgliede, die Pariser Zeitungen begrüßten ihn mit ausgesuchten Schmeicheleien. Nur eins mochte seine Befriedigung trüben. Seine persönlichen Bemühungen um ein Konkordat blieben auch bei Pius VII. frucht¬ los; ja eben während seines Aufenthaltes in Paris lehnte das Kardinalskolle¬ gium seine Vorschläge zu einem solchen ab, weil sie die Reichsgesetze als Grundlage für die deutschen Kirchenvcrhältnisse festhielten (30. Dezember 1804), und nur das konnte er für einen Erfolg seiner Bemühungen rechnen, daß der Papst die kirchlichen Verfügungen des Deputationshauptschlnsses, namentlich auch die über die Stellung Regensburgs formell bestätigte (1. Februar 1805). Das Alles konnte aber den Eindruck des Empfanges in Paris nicht verwischen Erst im Februar 1805 kehrte Dcilberg nach Deutschland zurück, wenige Monate vor dem Ausbruche des Krieges, der das alte Reich vollends in Trümmer schlagen sollte. Auch er war bereits in dem Netze gefangen, das die französi¬ sche Politik über den Süden und Westen Deutschlands zu werfen eben im Begriffe stand. Aas Überhandnehmen des musikalischen Wrtuosenthums. Für jede Kunst ist es ein schlimmes Zeichen der Zeit, wenn das Virtuosen- thum überwuchernd sich breit macht. Eine Periode gedeihlicher Entwickelung und gesunden Fortschritts wird in dem Virtuosen nur den guten Interpreten schätzen; dagegen sind wir heute längst dabei angekommen, den Virtuosen um seiner Virtuosität willen anzustaunen, gleichviel auf welche Weise er dieselbe bethätigt, sodaß das inhaltloseste Phrasenwerk, der jämmerlichste Firlefanz und musikalische Hokuspokus das Concertpublikum zu „frenetischem Applaus" hinzu¬ reißen vermag. Wenn nur dem Violinspieler das etwas gewagte Experiment andauernden Flageoletspiels in schneller Bewegung glückt, ohne daß die Saite einmal versagt, oder der Pianist eine Reihe kühner Sprünge nacheinander aus¬ führt, ohne fehlzugreifen, oder der Sänger in der glücklichen Lage ist, seinen nur zu Zeiten disponiblen höchsten Ton zu spenden und vom schmelzenden Pianissimo zum donnernden Fortissimo anzuschwellen, oder die Sängerin in Rouladen und Tiraden und der Natur der menschlichen Stimme hohnsprechenden Harpeggicn mit den Akrobaten des Orchesters (den Flöten) konkurrirt: so mögen sie diese Künste an einem Werke höchsten Genies oder an der erbärmlichsten Dutzend¬ waare zeigen, der Erfolg wird kaum erheblich modifizirt werden. Wenn auch der bessere Theil unserer Tageskritik längst Einspruch erhoben hat gegen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/368>, abgerufen am 03.07.2024.