Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

die Scheidung ihrer Ehe vollzogen. Sie siedelte im Frühjahr 1772 nach der
hannover'schen Stadt Celle über, aber allein; von ihren Kindern mußte sie
sich für immer trennen. Sie hat noch drei Jahre still und in sich gekehrt gelebt
und ist gern gestorben, dem nachgestorben, der sie durch seinen Verrath bitter
gekränkt, dem sie aber mit ihrem liebevollen Herzen verzieh, und auf den von
ihrer reizumflossenen Erscheinung stets ein verklärender Schimmer fallen wird.


E. Dohmke.


Der Moses des Mebel Angelo.

In der 18. Sure des Koran werden von Mohammed, theilweise in dunklen,
nur andeutenden Ausdrücken, die Thaten eines "Dsulkarnein", d. i. eines "Zwei-
hornigen", besprochen, unter welchem die bedeutendsten Interpreten des mosle-
minischen Religivnsbuches mit Recht Alexander den Großen verstehen. Der
sonderbare Name wurde dem makedonischer Könige offenbar deshalb von den
Orientalen beigelegt, weil Alexander, nachdem ihn der Oberpriester des Ammo¬
niums als den Sohn Juppiter Ammon's begrüßt und auch das dortige Orakel
ihn dafür erklärt hatte, sich mit den Attributen dieses Gottes abbilden ließ.
Hierfür zeugen anch die Alexandermünzen, auf denen der mächtige Eroberer,
weil im Profil, natürlich nur mit einem Widderhorne hinter dem Ohre dar¬
gestellt ist. Und Clemens Alexandrinus schreibt geradezu, Alexander habe der
Sohn Ammon's zu sein scheinen wollen, "weshalb er sich von den Bildhauern
als Hörnerträger darstellen ließ und auf diese Weise bestrebt war, die schöne
Menschengestalt durch Hörner zu schänden".

Einer gleichen Klage kann man sich nicht erwehren, wenn man Michel
Angelo's berühmte Kolossalstatue, den sitzenden Moses, "diese Krone der modernen
Skulptur", betrachtet. Auch sie stellt Moses als einen "Dsulkaruein" dar,
und wenn ihn der Künstler auch nicht gleich dem Makedonier wie einen
Ammon mit zwei mächtigen Widderhörnern hinter den Ohren ausgerüstet hat,
so hat er ihn doch, wie etwa einen Satyr oder Faun, mit ein paar zarten
Bockshörnern über der Stirn versehen.

Was mag den großen Meister bewogen haben, diese Gestalt voll Hoheit
und Selbstbewußtsein, voll Kraft und Energie, mit den garstigen Hörnern zu
krönen? was ihn veranlaßt haben, das stolz aus den mächtigen Schultern
in die Höhe ragende Menschenhaupt durch solche Thierauswüchse "zu schänden"?

Als Symbole der Kraft wären sie zu klein und unbedeutend und ständen


die Scheidung ihrer Ehe vollzogen. Sie siedelte im Frühjahr 1772 nach der
hannover'schen Stadt Celle über, aber allein; von ihren Kindern mußte sie
sich für immer trennen. Sie hat noch drei Jahre still und in sich gekehrt gelebt
und ist gern gestorben, dem nachgestorben, der sie durch seinen Verrath bitter
gekränkt, dem sie aber mit ihrem liebevollen Herzen verzieh, und auf den von
ihrer reizumflossenen Erscheinung stets ein verklärender Schimmer fallen wird.


E. Dohmke.


Der Moses des Mebel Angelo.

In der 18. Sure des Koran werden von Mohammed, theilweise in dunklen,
nur andeutenden Ausdrücken, die Thaten eines „Dsulkarnein", d. i. eines „Zwei-
hornigen", besprochen, unter welchem die bedeutendsten Interpreten des mosle-
minischen Religivnsbuches mit Recht Alexander den Großen verstehen. Der
sonderbare Name wurde dem makedonischer Könige offenbar deshalb von den
Orientalen beigelegt, weil Alexander, nachdem ihn der Oberpriester des Ammo¬
niums als den Sohn Juppiter Ammon's begrüßt und auch das dortige Orakel
ihn dafür erklärt hatte, sich mit den Attributen dieses Gottes abbilden ließ.
Hierfür zeugen anch die Alexandermünzen, auf denen der mächtige Eroberer,
weil im Profil, natürlich nur mit einem Widderhorne hinter dem Ohre dar¬
gestellt ist. Und Clemens Alexandrinus schreibt geradezu, Alexander habe der
Sohn Ammon's zu sein scheinen wollen, „weshalb er sich von den Bildhauern
als Hörnerträger darstellen ließ und auf diese Weise bestrebt war, die schöne
Menschengestalt durch Hörner zu schänden".

Einer gleichen Klage kann man sich nicht erwehren, wenn man Michel
Angelo's berühmte Kolossalstatue, den sitzenden Moses, „diese Krone der modernen
Skulptur", betrachtet. Auch sie stellt Moses als einen „Dsulkaruein" dar,
und wenn ihn der Künstler auch nicht gleich dem Makedonier wie einen
Ammon mit zwei mächtigen Widderhörnern hinter den Ohren ausgerüstet hat,
so hat er ihn doch, wie etwa einen Satyr oder Faun, mit ein paar zarten
Bockshörnern über der Stirn versehen.

Was mag den großen Meister bewogen haben, diese Gestalt voll Hoheit
und Selbstbewußtsein, voll Kraft und Energie, mit den garstigen Hörnern zu
krönen? was ihn veranlaßt haben, das stolz aus den mächtigen Schultern
in die Höhe ragende Menschenhaupt durch solche Thierauswüchse „zu schänden"?

Als Symbole der Kraft wären sie zu klein und unbedeutend und ständen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142574"/>
          <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211"> die Scheidung ihrer Ehe vollzogen. Sie siedelte im Frühjahr 1772 nach der<lb/>
hannover'schen Stadt Celle über, aber allein; von ihren Kindern mußte sie<lb/>
sich für immer trennen. Sie hat noch drei Jahre still und in sich gekehrt gelebt<lb/>
und ist gern gestorben, dem nachgestorben, der sie durch seinen Verrath bitter<lb/>
gekränkt, dem sie aber mit ihrem liebevollen Herzen verzieh, und auf den von<lb/>
ihrer reizumflossenen Erscheinung stets ein verklärender Schimmer fallen wird.</p><lb/>
          <note type="byline"> E. Dohmke.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Moses des Mebel Angelo.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_213"> In der 18. Sure des Koran werden von Mohammed, theilweise in dunklen,<lb/>
nur andeutenden Ausdrücken, die Thaten eines &#x201E;Dsulkarnein", d. i. eines &#x201E;Zwei-<lb/>
hornigen", besprochen, unter welchem die bedeutendsten Interpreten des mosle-<lb/>
minischen Religivnsbuches mit Recht Alexander den Großen verstehen. Der<lb/>
sonderbare Name wurde dem makedonischer Könige offenbar deshalb von den<lb/>
Orientalen beigelegt, weil Alexander, nachdem ihn der Oberpriester des Ammo¬<lb/>
niums als den Sohn Juppiter Ammon's begrüßt und auch das dortige Orakel<lb/>
ihn dafür erklärt hatte, sich mit den Attributen dieses Gottes abbilden ließ.<lb/>
Hierfür zeugen anch die Alexandermünzen, auf denen der mächtige Eroberer,<lb/>
weil im Profil, natürlich nur mit einem Widderhorne hinter dem Ohre dar¬<lb/>
gestellt ist. Und Clemens Alexandrinus schreibt geradezu, Alexander habe der<lb/>
Sohn Ammon's zu sein scheinen wollen, &#x201E;weshalb er sich von den Bildhauern<lb/>
als Hörnerträger darstellen ließ und auf diese Weise bestrebt war, die schöne<lb/>
Menschengestalt durch Hörner zu schänden".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_214"> Einer gleichen Klage kann man sich nicht erwehren, wenn man Michel<lb/>
Angelo's berühmte Kolossalstatue, den sitzenden Moses, &#x201E;diese Krone der modernen<lb/>
Skulptur", betrachtet. Auch sie stellt Moses als einen &#x201E;Dsulkaruein" dar,<lb/>
und wenn ihn der Künstler auch nicht gleich dem Makedonier wie einen<lb/>
Ammon mit zwei mächtigen Widderhörnern hinter den Ohren ausgerüstet hat,<lb/>
so hat er ihn doch, wie etwa einen Satyr oder Faun, mit ein paar zarten<lb/>
Bockshörnern über der Stirn versehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215"> Was mag den großen Meister bewogen haben, diese Gestalt voll Hoheit<lb/>
und Selbstbewußtsein, voll Kraft und Energie, mit den garstigen Hörnern zu<lb/>
krönen? was ihn veranlaßt haben, das stolz aus den mächtigen Schultern<lb/>
in die Höhe ragende Menschenhaupt durch solche Thierauswüchse &#x201E;zu schänden"?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_216" next="#ID_217"> Als Symbole der Kraft wären sie zu klein und unbedeutend und ständen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] die Scheidung ihrer Ehe vollzogen. Sie siedelte im Frühjahr 1772 nach der hannover'schen Stadt Celle über, aber allein; von ihren Kindern mußte sie sich für immer trennen. Sie hat noch drei Jahre still und in sich gekehrt gelebt und ist gern gestorben, dem nachgestorben, der sie durch seinen Verrath bitter gekränkt, dem sie aber mit ihrem liebevollen Herzen verzieh, und auf den von ihrer reizumflossenen Erscheinung stets ein verklärender Schimmer fallen wird. E. Dohmke. Der Moses des Mebel Angelo. In der 18. Sure des Koran werden von Mohammed, theilweise in dunklen, nur andeutenden Ausdrücken, die Thaten eines „Dsulkarnein", d. i. eines „Zwei- hornigen", besprochen, unter welchem die bedeutendsten Interpreten des mosle- minischen Religivnsbuches mit Recht Alexander den Großen verstehen. Der sonderbare Name wurde dem makedonischer Könige offenbar deshalb von den Orientalen beigelegt, weil Alexander, nachdem ihn der Oberpriester des Ammo¬ niums als den Sohn Juppiter Ammon's begrüßt und auch das dortige Orakel ihn dafür erklärt hatte, sich mit den Attributen dieses Gottes abbilden ließ. Hierfür zeugen anch die Alexandermünzen, auf denen der mächtige Eroberer, weil im Profil, natürlich nur mit einem Widderhorne hinter dem Ohre dar¬ gestellt ist. Und Clemens Alexandrinus schreibt geradezu, Alexander habe der Sohn Ammon's zu sein scheinen wollen, „weshalb er sich von den Bildhauern als Hörnerträger darstellen ließ und auf diese Weise bestrebt war, die schöne Menschengestalt durch Hörner zu schänden". Einer gleichen Klage kann man sich nicht erwehren, wenn man Michel Angelo's berühmte Kolossalstatue, den sitzenden Moses, „diese Krone der modernen Skulptur", betrachtet. Auch sie stellt Moses als einen „Dsulkaruein" dar, und wenn ihn der Künstler auch nicht gleich dem Makedonier wie einen Ammon mit zwei mächtigen Widderhörnern hinter den Ohren ausgerüstet hat, so hat er ihn doch, wie etwa einen Satyr oder Faun, mit ein paar zarten Bockshörnern über der Stirn versehen. Was mag den großen Meister bewogen haben, diese Gestalt voll Hoheit und Selbstbewußtsein, voll Kraft und Energie, mit den garstigen Hörnern zu krönen? was ihn veranlaßt haben, das stolz aus den mächtigen Schultern in die Höhe ragende Menschenhaupt durch solche Thierauswüchse „zu schänden"? Als Symbole der Kraft wären sie zu klein und unbedeutend und ständen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/77>, abgerufen am 27.07.2024.