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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Me Katastrophe in Kairo.

Vorigen Donnerstag, den 26. Juni, brachte der Telegraph aus der Haupt¬
stadt Aegypten's eine Botschaft, die zwar schon seit der Mitte des Monats
erwartet werden konnte, immerhin aber noch bedeutungsvoll war -- bedeu¬
tungsvoll auch für uns Deutsche, insofern unser Reichskanzler das betreffende
Ereignis; herbeigeführt, oder wenigstens dessen Eintritt beschleunigt hat. Wieder
einmal hatte sich das Sprichwort bewährt: der Krug geht so lauge zu Wasser,
bis er bricht. Am Vormittag des Sechsundzwanzigster war der Chediw Ismail
auf Befehl des Sultans für abgesetzt erklärt und sein Sohn Tewfik zum Fürsten
von Aegypten ausgerufen worden.

Wir haben, wie gesagt, guten Grund, anzunehmen, daß der Gang der
Ereignisse, welche zu diesem Ende der Herrschaft Ismail Pascha's führten,
durch einen wohlüberdachten Schritt des Fürsten Bismarck veranlaßt worden
ist. Bevor wir aber näher hierauf eingehen, werfen wir einen Rückblick auf die
Regierung des endlich beseitigten. Diese Regierung war ein im letzten Grunde
lediglich auf Aufsaugung des Landes und Ausbeutung der Leichtgläubigkeit des
europäischen Geldmarktes berechnetes, lange Zeit von England und Frankreich,
von beiden in deren besonderem Interesse, geduldetes Gaukelspiel der frivolsten
Art. Ismail, der Enkel Mehemed Ali's, der Sohn Ibrahim Pascha's, wurde
1830 zu Kairo geboren. Zu Paris in der Schule des französischen General¬
stabs erzogen, kehrte er 1849, nachdem er sich hier europäischen Schliff ange¬
eignet, in die Heimat zurück, wo damals sein Vetter Abbas, ein tyrannischer,
aller fränkischen Kultur tief abgeneigter muhammedanischer Fanatiker, herrschte.
Als uach dessen im Juli 1853 erfolgter Ermordung Said Pascha, der vierte
Sohn Mehemed Ali's, ein wohlmeinender Mann, Regent Aegypten's wurde,
gelang es dem Prinzen Ismail, sich das Vertrauen dieses seines Oheims in
dem Maße zu erwerben, daß ihm nach und nach verschiedene wichtige Posten
zugewiesen wurden. Im Jahre 1855 wurde er an die Spitze einer Gesandt¬
schaft gestellt, die mit vertraulichen Aufträgen nach Paris und dann zum Papste


Grenzboten III. 1S79. 1
Me Katastrophe in Kairo.

Vorigen Donnerstag, den 26. Juni, brachte der Telegraph aus der Haupt¬
stadt Aegypten's eine Botschaft, die zwar schon seit der Mitte des Monats
erwartet werden konnte, immerhin aber noch bedeutungsvoll war — bedeu¬
tungsvoll auch für uns Deutsche, insofern unser Reichskanzler das betreffende
Ereignis; herbeigeführt, oder wenigstens dessen Eintritt beschleunigt hat. Wieder
einmal hatte sich das Sprichwort bewährt: der Krug geht so lauge zu Wasser,
bis er bricht. Am Vormittag des Sechsundzwanzigster war der Chediw Ismail
auf Befehl des Sultans für abgesetzt erklärt und sein Sohn Tewfik zum Fürsten
von Aegypten ausgerufen worden.

Wir haben, wie gesagt, guten Grund, anzunehmen, daß der Gang der
Ereignisse, welche zu diesem Ende der Herrschaft Ismail Pascha's führten,
durch einen wohlüberdachten Schritt des Fürsten Bismarck veranlaßt worden
ist. Bevor wir aber näher hierauf eingehen, werfen wir einen Rückblick auf die
Regierung des endlich beseitigten. Diese Regierung war ein im letzten Grunde
lediglich auf Aufsaugung des Landes und Ausbeutung der Leichtgläubigkeit des
europäischen Geldmarktes berechnetes, lange Zeit von England und Frankreich,
von beiden in deren besonderem Interesse, geduldetes Gaukelspiel der frivolsten
Art. Ismail, der Enkel Mehemed Ali's, der Sohn Ibrahim Pascha's, wurde
1830 zu Kairo geboren. Zu Paris in der Schule des französischen General¬
stabs erzogen, kehrte er 1849, nachdem er sich hier europäischen Schliff ange¬
eignet, in die Heimat zurück, wo damals sein Vetter Abbas, ein tyrannischer,
aller fränkischen Kultur tief abgeneigter muhammedanischer Fanatiker, herrschte.
Als uach dessen im Juli 1853 erfolgter Ermordung Said Pascha, der vierte
Sohn Mehemed Ali's, ein wohlmeinender Mann, Regent Aegypten's wurde,
gelang es dem Prinzen Ismail, sich das Vertrauen dieses seines Oheims in
dem Maße zu erwerben, daß ihm nach und nach verschiedene wichtige Posten
zugewiesen wurden. Im Jahre 1855 wurde er an die Spitze einer Gesandt¬
schaft gestellt, die mit vertraulichen Aufträgen nach Paris und dann zum Papste


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[0007] Me Katastrophe in Kairo. Vorigen Donnerstag, den 26. Juni, brachte der Telegraph aus der Haupt¬ stadt Aegypten's eine Botschaft, die zwar schon seit der Mitte des Monats erwartet werden konnte, immerhin aber noch bedeutungsvoll war — bedeu¬ tungsvoll auch für uns Deutsche, insofern unser Reichskanzler das betreffende Ereignis; herbeigeführt, oder wenigstens dessen Eintritt beschleunigt hat. Wieder einmal hatte sich das Sprichwort bewährt: der Krug geht so lauge zu Wasser, bis er bricht. Am Vormittag des Sechsundzwanzigster war der Chediw Ismail auf Befehl des Sultans für abgesetzt erklärt und sein Sohn Tewfik zum Fürsten von Aegypten ausgerufen worden. Wir haben, wie gesagt, guten Grund, anzunehmen, daß der Gang der Ereignisse, welche zu diesem Ende der Herrschaft Ismail Pascha's führten, durch einen wohlüberdachten Schritt des Fürsten Bismarck veranlaßt worden ist. Bevor wir aber näher hierauf eingehen, werfen wir einen Rückblick auf die Regierung des endlich beseitigten. Diese Regierung war ein im letzten Grunde lediglich auf Aufsaugung des Landes und Ausbeutung der Leichtgläubigkeit des europäischen Geldmarktes berechnetes, lange Zeit von England und Frankreich, von beiden in deren besonderem Interesse, geduldetes Gaukelspiel der frivolsten Art. Ismail, der Enkel Mehemed Ali's, der Sohn Ibrahim Pascha's, wurde 1830 zu Kairo geboren. Zu Paris in der Schule des französischen General¬ stabs erzogen, kehrte er 1849, nachdem er sich hier europäischen Schliff ange¬ eignet, in die Heimat zurück, wo damals sein Vetter Abbas, ein tyrannischer, aller fränkischen Kultur tief abgeneigter muhammedanischer Fanatiker, herrschte. Als uach dessen im Juli 1853 erfolgter Ermordung Said Pascha, der vierte Sohn Mehemed Ali's, ein wohlmeinender Mann, Regent Aegypten's wurde, gelang es dem Prinzen Ismail, sich das Vertrauen dieses seines Oheims in dem Maße zu erwerben, daß ihm nach und nach verschiedene wichtige Posten zugewiesen wurden. Im Jahre 1855 wurde er an die Spitze einer Gesandt¬ schaft gestellt, die mit vertraulichen Aufträgen nach Paris und dann zum Papste Grenzboten III. 1S79. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/7>, abgerufen am 23.11.2024.