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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sophieen von Leuten in Umlauf gebracht worden sind, die von wirklichem Natur¬
wissen keine Ahnung hatten. Die Stärke der Vogt'schen Bemühungen liegt
unseres Trachtens dort, wo die landläufigen naturwissenschaftlichen Theorieen
auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft werden. Diese Kritiken -- die keineswegs
durchweg Neues bieten und auch nicht bieten wollen -- würden noch mehr
wirken, wenn die ganze Darstellung weniger lang ausgefallen wäre. Uebrigens
sind auch die scharfen, freilich nicht immer vor Mißverständniß geschützten
Wendungen gegen die Anmaßungen der Empiriker nur zu sehr am Platze zu
einer Zeit, in welcher jeder Spezialist sich gedrungen fühlt, aus der Enge
seiner Behandlung heraus seinen Flug in die weltumspannenden Ideen zu
wagen, ohne mit den Mitteln vertraut zu sein, die einen solchen Flug ermög¬
lichen. Eingehender den Inhalt des Buches vorzuführen, ist hier nicht am
Platze. Nur ein Punkt, der die Hauptschwierigkeit aller derartigen Theorieen
bildet, darf nicht unerwähnt bleiben, nämlich die Ableitung der Verschieden¬
artigkeit der Qualitäten ans der einen, überall gleichartigen Kraftsubstanz. Was
der vorliegende Band darüber enthält, hat uns logisch nicht befriedigen können.


Geschichte der französischen Nntional-Literatur von Fr. Kreyßig.
5. Aufl. verbessert und vermehrt unter Mitwirkung von F. Lamprecht. Berlin,
Nicolai, 1879.

Seit die moderne Gesellschaft besteht, ist die französische Sprache Gemein¬
gut der Völker Europa's, und seit zwei Jahrhunderten nimmt die französische
Literatur einen hervorragenden Rang unter den Gewalten ein, welche die Welt
bewegen. Der deutsche Geist ist tiefer und reicher als der französische, aber
jener weiß den in ihm vorhandenen Vorrath von Ideen klarer, sicherer und
gewandter auszudrücken. Die Literatur der Franzosen prägt in höherem Grade
als die irgend eines neueren Volkes die Gesellschaft aus, der sie entsprossen
ist. Die Vorzüge und Schwächen der Bücherwelt in Frankreich entsprechen in
merkwürdigster Weise denen des praktischen Lebens, und eine gute Geschichte
der ersteren darf daher die des letzteren nicht aus den Augen verlieren. Dadurch
war Plan und Aufgabe des obigen Werkes, das für die oberen Klassen höherer
Lehranstalten und für den Selbstunterricht bestimmt ist, vorgeschrieben. Das¬
selbe konnte kein vollständiges Verzeichniß von Schriftstellern und Büchern
geben, und es durfte sich nicht mit biographischen Nachrichten über die berühm¬
testen Dichter und Denker und mit allgemeinen Bemerkungen über das Ver¬
dienst ihrer Werke begnügen. Der Verfasser mußte sich vielmehr bemühen,
eine Geschichte des nationalen Denkens. und Empfindens zu schaffen, wie es
sich in den Schriften der französischen Dichter, Philosophen, Historiker und
Redner erkennen läßt. Die berechtigte Vorliebe für das Klassische durfte ihn


sophieen von Leuten in Umlauf gebracht worden sind, die von wirklichem Natur¬
wissen keine Ahnung hatten. Die Stärke der Vogt'schen Bemühungen liegt
unseres Trachtens dort, wo die landläufigen naturwissenschaftlichen Theorieen
auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft werden. Diese Kritiken — die keineswegs
durchweg Neues bieten und auch nicht bieten wollen — würden noch mehr
wirken, wenn die ganze Darstellung weniger lang ausgefallen wäre. Uebrigens
sind auch die scharfen, freilich nicht immer vor Mißverständniß geschützten
Wendungen gegen die Anmaßungen der Empiriker nur zu sehr am Platze zu
einer Zeit, in welcher jeder Spezialist sich gedrungen fühlt, aus der Enge
seiner Behandlung heraus seinen Flug in die weltumspannenden Ideen zu
wagen, ohne mit den Mitteln vertraut zu sein, die einen solchen Flug ermög¬
lichen. Eingehender den Inhalt des Buches vorzuführen, ist hier nicht am
Platze. Nur ein Punkt, der die Hauptschwierigkeit aller derartigen Theorieen
bildet, darf nicht unerwähnt bleiben, nämlich die Ableitung der Verschieden¬
artigkeit der Qualitäten ans der einen, überall gleichartigen Kraftsubstanz. Was
der vorliegende Band darüber enthält, hat uns logisch nicht befriedigen können.


Geschichte der französischen Nntional-Literatur von Fr. Kreyßig.
5. Aufl. verbessert und vermehrt unter Mitwirkung von F. Lamprecht. Berlin,
Nicolai, 1879.

Seit die moderne Gesellschaft besteht, ist die französische Sprache Gemein¬
gut der Völker Europa's, und seit zwei Jahrhunderten nimmt die französische
Literatur einen hervorragenden Rang unter den Gewalten ein, welche die Welt
bewegen. Der deutsche Geist ist tiefer und reicher als der französische, aber
jener weiß den in ihm vorhandenen Vorrath von Ideen klarer, sicherer und
gewandter auszudrücken. Die Literatur der Franzosen prägt in höherem Grade
als die irgend eines neueren Volkes die Gesellschaft aus, der sie entsprossen
ist. Die Vorzüge und Schwächen der Bücherwelt in Frankreich entsprechen in
merkwürdigster Weise denen des praktischen Lebens, und eine gute Geschichte
der ersteren darf daher die des letzteren nicht aus den Augen verlieren. Dadurch
war Plan und Aufgabe des obigen Werkes, das für die oberen Klassen höherer
Lehranstalten und für den Selbstunterricht bestimmt ist, vorgeschrieben. Das¬
selbe konnte kein vollständiges Verzeichniß von Schriftstellern und Büchern
geben, und es durfte sich nicht mit biographischen Nachrichten über die berühm¬
testen Dichter und Denker und mit allgemeinen Bemerkungen über das Ver¬
dienst ihrer Werke begnügen. Der Verfasser mußte sich vielmehr bemühen,
eine Geschichte des nationalen Denkens. und Empfindens zu schaffen, wie es
sich in den Schriften der französischen Dichter, Philosophen, Historiker und
Redner erkennen läßt. Die berechtigte Vorliebe für das Klassische durfte ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/170>, abgerufen am 27.07.2024.