Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.rollende Sätze auszugleichen wissen. Andere nennen ein deutsches Dorf oder Manche von diesen fahrenden Medikastern verkauften neben ihren angeb¬ Aus dem Keichslande. Sie wollen nach langer Zeit wieder einmal etwas aus dem Reichslande Grenzboten II, 1379. 36
rollende Sätze auszugleichen wissen. Andere nennen ein deutsches Dorf oder Manche von diesen fahrenden Medikastern verkauften neben ihren angeb¬ Aus dem Keichslande. Sie wollen nach langer Zeit wieder einmal etwas aus dem Reichslande Grenzboten II, 1379. 36
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142236"/> <p xml:id="ID_806" prev="#ID_805"> rollende Sätze auszugleichen wissen. Andere nennen ein deutsches Dorf oder<lb/> Städtchen ihre Heimat und waren vordem Schweineschneider oder Barbiere.<lb/> Ein solcher Marktschreier war ein gewisser Fuchs, der 1742 während des<lb/> Hamburger Herbstmarktes als „Augen-, Bruch-, Stein-, Wurm- und Wundarzt<lb/> mit Kopf-, Brust- und Magnetrisineth und spanischem Laxirbrod" erschien und<lb/> mit seinem Hanswurst und drei Haiducken allerlei Possen und Schwänke<lb/> aufführte.</p><lb/> <p xml:id="ID_807"> Manche von diesen fahrenden Medikastern verkauften neben ihren angeb¬<lb/> lichen Arzeneien — unter denen der Theriak, ein Gemisch aus Opium, spanischem<lb/> Wein, Honig, Baldrian, Angelikawnrzel, Meerzwiebel, Zittwer, Zimmt, Karda¬<lb/> mom, Myrrhe und Eisenvitriol, lange Zeit die erste Stelle einnahm — auch<lb/> Liebestränke, Schönheitsmittel, Brillen und Amulete. Der eine hatte Wurm¬<lb/> samen, der andere Bilsensamen gegen Zahnweh feil, ein dritter „Philosophen-Oel"<lb/> oder „die Quintessenz, womit man bald reich werden kann". Wieder ein anderer<lb/> Schwindler pries eine Salbe zur Stärkung des Gedächtnisses oder Mückenfett<lb/> gegen die Schwindsucht an, alle aber fanden mehr oder weniger Liebhaber für<lb/> ihre Raritäten. Die meisten trieben dabei die Kunst des Aufziehens schadhafter<lb/> Zähne, die mittelst Kneipzange oder Schlüssel delikat entfernt wurden, was<lb/> natürlich unter freiem Himmel auf der Schaubühne vorgenommen wurde. Nur<lb/> ernstere Arbeiten der Chirurgie, z. B. Steinoperationen, wurden im Hinter¬<lb/> grunde des Gerüstes in einem Verschlage vollzogen, und der Possenreißer, der<lb/> den Doktor als Famulus begleitete, mußte dann durch Bockssprünge und grobe<lb/> Späße das Publikum bei schallendem Gelächter erhalten, so daß es das Angst¬<lb/> gestöhn und Schmerzgeheul des gepeinigten Patienten nicht zu hören bekam.<lb/> Anatomische Kenntnisse hatten diese Bruch- und Steinschneider nur in seltenen<lb/> Fällen. Die Regierungen aber störten sie in ihrem Gewerbe nicht. Und so<lb/> blieb es bis nahe an unser Jahrhundert heran, namentlich in den Zwergstaaten<lb/> Franken's und Schwaben's, und groß war das Unheil, welches diese Ninxirioi<lb/> mit ihrer dreisten Unwissenheit, die unbefangen sich an die schwierigsten Opera¬<lb/><note type="byline"> L></note> tionen wagte, unter Vornehmen und Geringen anrichteten. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aus dem Keichslande.</head><lb/> <p xml:id="ID_808" next="#ID_809"> Sie wollen nach langer Zeit wieder einmal etwas aus dem Reichslande<lb/> hören? Gern, das heißt eigentlich nicht gern, denn der Kern der Frage wird<lb/> von so zahlreichen Staubwirbeln umgeben, daß es nicht immer angenehm ist,<lb/> sich mit derselben zu befassen. Immerhin sollen Sie etwas aus dem schönen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II, 1379. 36</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0281]
rollende Sätze auszugleichen wissen. Andere nennen ein deutsches Dorf oder
Städtchen ihre Heimat und waren vordem Schweineschneider oder Barbiere.
Ein solcher Marktschreier war ein gewisser Fuchs, der 1742 während des
Hamburger Herbstmarktes als „Augen-, Bruch-, Stein-, Wurm- und Wundarzt
mit Kopf-, Brust- und Magnetrisineth und spanischem Laxirbrod" erschien und
mit seinem Hanswurst und drei Haiducken allerlei Possen und Schwänke
aufführte.
Manche von diesen fahrenden Medikastern verkauften neben ihren angeb¬
lichen Arzeneien — unter denen der Theriak, ein Gemisch aus Opium, spanischem
Wein, Honig, Baldrian, Angelikawnrzel, Meerzwiebel, Zittwer, Zimmt, Karda¬
mom, Myrrhe und Eisenvitriol, lange Zeit die erste Stelle einnahm — auch
Liebestränke, Schönheitsmittel, Brillen und Amulete. Der eine hatte Wurm¬
samen, der andere Bilsensamen gegen Zahnweh feil, ein dritter „Philosophen-Oel"
oder „die Quintessenz, womit man bald reich werden kann". Wieder ein anderer
Schwindler pries eine Salbe zur Stärkung des Gedächtnisses oder Mückenfett
gegen die Schwindsucht an, alle aber fanden mehr oder weniger Liebhaber für
ihre Raritäten. Die meisten trieben dabei die Kunst des Aufziehens schadhafter
Zähne, die mittelst Kneipzange oder Schlüssel delikat entfernt wurden, was
natürlich unter freiem Himmel auf der Schaubühne vorgenommen wurde. Nur
ernstere Arbeiten der Chirurgie, z. B. Steinoperationen, wurden im Hinter¬
grunde des Gerüstes in einem Verschlage vollzogen, und der Possenreißer, der
den Doktor als Famulus begleitete, mußte dann durch Bockssprünge und grobe
Späße das Publikum bei schallendem Gelächter erhalten, so daß es das Angst¬
gestöhn und Schmerzgeheul des gepeinigten Patienten nicht zu hören bekam.
Anatomische Kenntnisse hatten diese Bruch- und Steinschneider nur in seltenen
Fällen. Die Regierungen aber störten sie in ihrem Gewerbe nicht. Und so
blieb es bis nahe an unser Jahrhundert heran, namentlich in den Zwergstaaten
Franken's und Schwaben's, und groß war das Unheil, welches diese Ninxirioi
mit ihrer dreisten Unwissenheit, die unbefangen sich an die schwierigsten Opera¬
L> tionen wagte, unter Vornehmen und Geringen anrichteten.
Aus dem Keichslande.
Sie wollen nach langer Zeit wieder einmal etwas aus dem Reichslande
hören? Gern, das heißt eigentlich nicht gern, denn der Kern der Frage wird
von so zahlreichen Staubwirbeln umgeben, daß es nicht immer angenehm ist,
sich mit derselben zu befassen. Immerhin sollen Sie etwas aus dem schönen
Grenzboten II, 1379. 36
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |