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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Klassizismus die blindesten Lißt- und Wagneranbeter, neben Männern einer
ehrlichen Ueberzeugung halbschürige Gesellen", die es mit Niemand verderben
möchten und deshalb alles schreiben, was von ihnen verlangt wird. Und als
ob die Verlagshandlung -- denn an diese müssen wir uns doch halten, da
Graf Waldersee, der als "Herausgeber" genannt ist, für uns bis jetzt eine
völlig obskure Persönlichkeit war -- gleich in den ersten Heften die Extreme
ihres neuen Unternehmens potenzirt hätte vorführen wollen, hat sie auf die
reife, schöne und gediegene Arbeit Spitta's, drei Vorträge über Bach, die der
Verfasser seiner Zeit im Saale des Leipziger Gewandhauses gehalten, den
schwülstigen, 'gedunsenen Halbunsinn folgen lassen, womit einer der unan¬
genehmsten Schleppenträger Wagner's den armen "Unverstehenden" das Ver¬
ständniß für die Kulturmission des großen "Meisters" auftropfen zu müssen
meint. Diesem zweiten Hefte gegenüber möchte man ernstlich fragen: Wo sind
die Traditionen des Hauses Breitkopf & Härtel geblieben? Ist das dieselbe
Verlagshandlung, die einst Otto Jahn's klassische Aufsätze über den "Lohengrin"
druckte? Das scheinbar harmlose Wort, das neuerdings bis zum Ueberdruß
zur Entschuldigung derartiger neutraler und richtungsloser Unternehmungen
angeführt worden ist: "Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen" ist
in Wahrheit ein recht frivoles Wort. Goethe legt es seinem leichtfertigen "Theater¬
direktor" in den Mund; wie Goethe aber selber darüber dachte, das läßt er den
"Dichter" in seiner Antwort darauf sagen, und der Leser schlage sich diese Antwort
auf, wenn er sie nicht mehr im Kopfe hat. Jedenfalls werden auch die dicht dabei¬
stehenden Worte des "Theaterdirektors" auf das vorliegende Unternehmen An¬
wendung finden: "Ein Jeder sucht sich endlich selbst was aus". Es wird beim
Aussuchen bleiben. Der eine wird sich dies, der andere jenes Heftchen kaufen,
aber ein komischer Musiker müßte es sein, der auf eine Serie solcher Hefte
subskribiren wollte.


Jllustrirte Literaturgeschichte. Herausgegeben von Otto v. Leixner.
Erste Lieferung. Leipzig, Spamer, 1879.

Dieses Buch kommt aus dem Spamer'schen Verlage -- saxisnii 8g,r.
Von dem Leiter einer Volksbibliothek wurde uns einmal erzählt, daß, wenn er
seinen Entleihern ein Spamer'sches Buch anbiete, sie es ihm in der Regel nach
flüchtigem Blättern zurückgeben mit den Worten: "Das habe ich schon einmal
gelesen". Wenn er sie dann ernstlich ermahne, sich doch zuvörderst einmal
ordentlich das Titelblatt anzusehen, so stelle sich gewöhnlich heraus, daß sie
dieses Buch allerdings noch nicht gelesen haben. Und doch hatten die guten
Leute recht: sie hatten es wirklich schon gelesen. Das Geschichtchen ist wahr
und sehr charakteristisch. Text und Bilder der Spamer'schen Volks- und
Jugendliteratur sind wie ein Zusammensetzspiel. Die Phantasie des Verlegers ist


Klassizismus die blindesten Lißt- und Wagneranbeter, neben Männern einer
ehrlichen Ueberzeugung halbschürige Gesellen", die es mit Niemand verderben
möchten und deshalb alles schreiben, was von ihnen verlangt wird. Und als
ob die Verlagshandlung — denn an diese müssen wir uns doch halten, da
Graf Waldersee, der als „Herausgeber" genannt ist, für uns bis jetzt eine
völlig obskure Persönlichkeit war — gleich in den ersten Heften die Extreme
ihres neuen Unternehmens potenzirt hätte vorführen wollen, hat sie auf die
reife, schöne und gediegene Arbeit Spitta's, drei Vorträge über Bach, die der
Verfasser seiner Zeit im Saale des Leipziger Gewandhauses gehalten, den
schwülstigen, 'gedunsenen Halbunsinn folgen lassen, womit einer der unan¬
genehmsten Schleppenträger Wagner's den armen „Unverstehenden" das Ver¬
ständniß für die Kulturmission des großen „Meisters" auftropfen zu müssen
meint. Diesem zweiten Hefte gegenüber möchte man ernstlich fragen: Wo sind
die Traditionen des Hauses Breitkopf & Härtel geblieben? Ist das dieselbe
Verlagshandlung, die einst Otto Jahn's klassische Aufsätze über den „Lohengrin"
druckte? Das scheinbar harmlose Wort, das neuerdings bis zum Ueberdruß
zur Entschuldigung derartiger neutraler und richtungsloser Unternehmungen
angeführt worden ist: „Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen" ist
in Wahrheit ein recht frivoles Wort. Goethe legt es seinem leichtfertigen „Theater¬
direktor" in den Mund; wie Goethe aber selber darüber dachte, das läßt er den
„Dichter" in seiner Antwort darauf sagen, und der Leser schlage sich diese Antwort
auf, wenn er sie nicht mehr im Kopfe hat. Jedenfalls werden auch die dicht dabei¬
stehenden Worte des „Theaterdirektors" auf das vorliegende Unternehmen An¬
wendung finden: „Ein Jeder sucht sich endlich selbst was aus". Es wird beim
Aussuchen bleiben. Der eine wird sich dies, der andere jenes Heftchen kaufen,
aber ein komischer Musiker müßte es sein, der auf eine Serie solcher Hefte
subskribiren wollte.


Jllustrirte Literaturgeschichte. Herausgegeben von Otto v. Leixner.
Erste Lieferung. Leipzig, Spamer, 1879.

Dieses Buch kommt aus dem Spamer'schen Verlage — saxisnii 8g,r.
Von dem Leiter einer Volksbibliothek wurde uns einmal erzählt, daß, wenn er
seinen Entleihern ein Spamer'sches Buch anbiete, sie es ihm in der Regel nach
flüchtigem Blättern zurückgeben mit den Worten: „Das habe ich schon einmal
gelesen". Wenn er sie dann ernstlich ermahne, sich doch zuvörderst einmal
ordentlich das Titelblatt anzusehen, so stelle sich gewöhnlich heraus, daß sie
dieses Buch allerdings noch nicht gelesen haben. Und doch hatten die guten
Leute recht: sie hatten es wirklich schon gelesen. Das Geschichtchen ist wahr
und sehr charakteristisch. Text und Bilder der Spamer'schen Volks- und
Jugendliteratur sind wie ein Zusammensetzspiel. Die Phantasie des Verlegers ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/503>, abgerufen am 28.09.2024.