Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der zweite Band von Hetlier's Memoiren.

Die Mittheilungen oder Denkwürdigkeiten angesehener Politiker, öffentlicher
Charaktere, über die Zeiten, in denen sie im öffentlichen Leben gewirkt, bilden
nicht selten werthvolle Beiträge zur Geschichte. Wie manches erscheint erst
hierdurch im rechten Lichte, was bis dahin im Allgemeinen anders aufgefaßt
worden war und doch vielleicht als abgeschlossen gegolten hatte.

Wir haben vor etwa Jahresfrist des damals erschienenen ersten Bandes
der "Lebenserinnerungen" von Dr. Fr. Oetker, des bekannten knrhessischeu Poli¬
tikers, gedacht. Soeben ist der zweite Band dieses Werkes (bei Auerbach in
Stuttgart) erschienen. Der erste Band beschäftigte sich mit der Jugendzeit des
Verfassers und mit seinem ersten öffentlichen Wirken in den vierziger Jahren.
Der zweite umfaßt die Zeit von 1849 bis 1859 und damit den ersten Theil
der Ereignisse, bei denen Oetker in hervorragender Weise ein Rolle in Kurhessen
gespielt hat.

Die Darstellungen im ersten Bande haben, abgesehen von ihrer kulturge¬
schichtlichen Bedeutung, vorwiegend für Hessen Bedeutung gehabt; sie.haben
Oetker, welcher der jüngeren Generation Hessen's zunächst nur als Politiker
bekannt geworden war, als ganze Persönlichkeit mehr hervortreten lassen; er
hatte die Zeiten der vormärzlichen Misere in so unterhaltender, launiger Weise
erzählt, daß das Buch in ganz Hessen großen Beifall gefunden zu habe" scheint.

Die jetzt vorliegenden Erzählungen ans den Bewegnngsjahren werden
auch für weitere Kreise von Interesse sein. Sie bilden eine Quelle für
die Geschichtsschreibung und gewähren eine sehr anziehende Lektüre. Das
letztere ist als ein besonderer Vorzug zu rühmen; denn an sich sind. die öffent¬
lichen Vorgänge Hessen's ans jener Zeit zur Genüge in Schriften aller Art ge¬
schildert, und bei der Gegenwart ist eine Neigung zur Vertiefung in die Ein¬
zelheiten der noch nicht weit zurückliegenden traurigen Perioden jenes einst so
unglücklichen Landes schwerlich vorauszusetzen. Wir haben so außerordentlich
viel mit der Gegenwart zu schaffen und sind so froh, die Kleinstaaterei hinter
uns zu haben, daß ein neues eigentliches Geschichtswerk über die fünfziger
Jahre in weiteren Kreisen gerade noch kein Bedürfniß sein wird. Dergleichen
liegt dem Oetker'schen Werke denn anch sehr fern, wenngleich seine Auffassungen
für ein späteres Gesammtbild jener Zeit von großem Werthe sein werden.
Die öffentlichen Vorgänge werden von Oetker nur im Anschluß an eigene Er¬
lebnisse berührt.

Der Verfasser bezeichnet die Zeit von 1849--59 als seine "Kampf- und
Flüchtlingsjahre" und behandelt in besonderen Abschnitten die Zeit seiner Land-


Der zweite Band von Hetlier's Memoiren.

Die Mittheilungen oder Denkwürdigkeiten angesehener Politiker, öffentlicher
Charaktere, über die Zeiten, in denen sie im öffentlichen Leben gewirkt, bilden
nicht selten werthvolle Beiträge zur Geschichte. Wie manches erscheint erst
hierdurch im rechten Lichte, was bis dahin im Allgemeinen anders aufgefaßt
worden war und doch vielleicht als abgeschlossen gegolten hatte.

Wir haben vor etwa Jahresfrist des damals erschienenen ersten Bandes
der „Lebenserinnerungen" von Dr. Fr. Oetker, des bekannten knrhessischeu Poli¬
tikers, gedacht. Soeben ist der zweite Band dieses Werkes (bei Auerbach in
Stuttgart) erschienen. Der erste Band beschäftigte sich mit der Jugendzeit des
Verfassers und mit seinem ersten öffentlichen Wirken in den vierziger Jahren.
Der zweite umfaßt die Zeit von 1849 bis 1859 und damit den ersten Theil
der Ereignisse, bei denen Oetker in hervorragender Weise ein Rolle in Kurhessen
gespielt hat.

Die Darstellungen im ersten Bande haben, abgesehen von ihrer kulturge¬
schichtlichen Bedeutung, vorwiegend für Hessen Bedeutung gehabt; sie.haben
Oetker, welcher der jüngeren Generation Hessen's zunächst nur als Politiker
bekannt geworden war, als ganze Persönlichkeit mehr hervortreten lassen; er
hatte die Zeiten der vormärzlichen Misere in so unterhaltender, launiger Weise
erzählt, daß das Buch in ganz Hessen großen Beifall gefunden zu habe» scheint.

Die jetzt vorliegenden Erzählungen ans den Bewegnngsjahren werden
auch für weitere Kreise von Interesse sein. Sie bilden eine Quelle für
die Geschichtsschreibung und gewähren eine sehr anziehende Lektüre. Das
letztere ist als ein besonderer Vorzug zu rühmen; denn an sich sind. die öffent¬
lichen Vorgänge Hessen's ans jener Zeit zur Genüge in Schriften aller Art ge¬
schildert, und bei der Gegenwart ist eine Neigung zur Vertiefung in die Ein¬
zelheiten der noch nicht weit zurückliegenden traurigen Perioden jenes einst so
unglücklichen Landes schwerlich vorauszusetzen. Wir haben so außerordentlich
viel mit der Gegenwart zu schaffen und sind so froh, die Kleinstaaterei hinter
uns zu haben, daß ein neues eigentliches Geschichtswerk über die fünfziger
Jahre in weiteren Kreisen gerade noch kein Bedürfniß sein wird. Dergleichen
liegt dem Oetker'schen Werke denn anch sehr fern, wenngleich seine Auffassungen
für ein späteres Gesammtbild jener Zeit von großem Werthe sein werden.
Die öffentlichen Vorgänge werden von Oetker nur im Anschluß an eigene Er¬
lebnisse berührt.

Der Verfasser bezeichnet die Zeit von 1849—59 als seine „Kampf- und
Flüchtlingsjahre" und behandelt in besonderen Abschnitten die Zeit seiner Land-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140781"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der zweite Band von Hetlier's Memoiren.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1340"> Die Mittheilungen oder Denkwürdigkeiten angesehener Politiker, öffentlicher<lb/>
Charaktere, über die Zeiten, in denen sie im öffentlichen Leben gewirkt, bilden<lb/>
nicht selten werthvolle Beiträge zur Geschichte. Wie manches erscheint erst<lb/>
hierdurch im rechten Lichte, was bis dahin im Allgemeinen anders aufgefaßt<lb/>
worden war und doch vielleicht als abgeschlossen gegolten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1341"> Wir haben vor etwa Jahresfrist des damals erschienenen ersten Bandes<lb/>
der &#x201E;Lebenserinnerungen" von Dr. Fr. Oetker, des bekannten knrhessischeu Poli¬<lb/>
tikers, gedacht. Soeben ist der zweite Band dieses Werkes (bei Auerbach in<lb/>
Stuttgart) erschienen. Der erste Band beschäftigte sich mit der Jugendzeit des<lb/>
Verfassers und mit seinem ersten öffentlichen Wirken in den vierziger Jahren.<lb/>
Der zweite umfaßt die Zeit von 1849 bis 1859 und damit den ersten Theil<lb/>
der Ereignisse, bei denen Oetker in hervorragender Weise ein Rolle in Kurhessen<lb/>
gespielt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1342"> Die Darstellungen im ersten Bande haben, abgesehen von ihrer kulturge¬<lb/>
schichtlichen Bedeutung, vorwiegend für Hessen Bedeutung gehabt; sie.haben<lb/>
Oetker, welcher der jüngeren Generation Hessen's zunächst nur als Politiker<lb/>
bekannt geworden war, als ganze Persönlichkeit mehr hervortreten lassen; er<lb/>
hatte die Zeiten der vormärzlichen Misere in so unterhaltender, launiger Weise<lb/>
erzählt, daß das Buch in ganz Hessen großen Beifall gefunden zu habe» scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1343"> Die jetzt vorliegenden Erzählungen ans den Bewegnngsjahren werden<lb/>
auch für weitere Kreise von Interesse sein. Sie bilden eine Quelle für<lb/>
die Geschichtsschreibung und gewähren eine sehr anziehende Lektüre. Das<lb/>
letztere ist als ein besonderer Vorzug zu rühmen; denn an sich sind. die öffent¬<lb/>
lichen Vorgänge Hessen's ans jener Zeit zur Genüge in Schriften aller Art ge¬<lb/>
schildert, und bei der Gegenwart ist eine Neigung zur Vertiefung in die Ein¬<lb/>
zelheiten der noch nicht weit zurückliegenden traurigen Perioden jenes einst so<lb/>
unglücklichen Landes schwerlich vorauszusetzen. Wir haben so außerordentlich<lb/>
viel mit der Gegenwart zu schaffen und sind so froh, die Kleinstaaterei hinter<lb/>
uns zu haben, daß ein neues eigentliches Geschichtswerk über die fünfziger<lb/>
Jahre in weiteren Kreisen gerade noch kein Bedürfniß sein wird. Dergleichen<lb/>
liegt dem Oetker'schen Werke denn anch sehr fern, wenngleich seine Auffassungen<lb/>
für ein späteres Gesammtbild jener Zeit von großem Werthe sein werden.<lb/>
Die öffentlichen Vorgänge werden von Oetker nur im Anschluß an eigene Er¬<lb/>
lebnisse berührt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1344" next="#ID_1345"> Der Verfasser bezeichnet die Zeit von 1849&#x2014;59 als seine &#x201E;Kampf- und<lb/>
Flüchtlingsjahre" und behandelt in besonderen Abschnitten die Zeit seiner Land-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] Der zweite Band von Hetlier's Memoiren. Die Mittheilungen oder Denkwürdigkeiten angesehener Politiker, öffentlicher Charaktere, über die Zeiten, in denen sie im öffentlichen Leben gewirkt, bilden nicht selten werthvolle Beiträge zur Geschichte. Wie manches erscheint erst hierdurch im rechten Lichte, was bis dahin im Allgemeinen anders aufgefaßt worden war und doch vielleicht als abgeschlossen gegolten hatte. Wir haben vor etwa Jahresfrist des damals erschienenen ersten Bandes der „Lebenserinnerungen" von Dr. Fr. Oetker, des bekannten knrhessischeu Poli¬ tikers, gedacht. Soeben ist der zweite Band dieses Werkes (bei Auerbach in Stuttgart) erschienen. Der erste Band beschäftigte sich mit der Jugendzeit des Verfassers und mit seinem ersten öffentlichen Wirken in den vierziger Jahren. Der zweite umfaßt die Zeit von 1849 bis 1859 und damit den ersten Theil der Ereignisse, bei denen Oetker in hervorragender Weise ein Rolle in Kurhessen gespielt hat. Die Darstellungen im ersten Bande haben, abgesehen von ihrer kulturge¬ schichtlichen Bedeutung, vorwiegend für Hessen Bedeutung gehabt; sie.haben Oetker, welcher der jüngeren Generation Hessen's zunächst nur als Politiker bekannt geworden war, als ganze Persönlichkeit mehr hervortreten lassen; er hatte die Zeiten der vormärzlichen Misere in so unterhaltender, launiger Weise erzählt, daß das Buch in ganz Hessen großen Beifall gefunden zu habe» scheint. Die jetzt vorliegenden Erzählungen ans den Bewegnngsjahren werden auch für weitere Kreise von Interesse sein. Sie bilden eine Quelle für die Geschichtsschreibung und gewähren eine sehr anziehende Lektüre. Das letztere ist als ein besonderer Vorzug zu rühmen; denn an sich sind. die öffent¬ lichen Vorgänge Hessen's ans jener Zeit zur Genüge in Schriften aller Art ge¬ schildert, und bei der Gegenwart ist eine Neigung zur Vertiefung in die Ein¬ zelheiten der noch nicht weit zurückliegenden traurigen Perioden jenes einst so unglücklichen Landes schwerlich vorauszusetzen. Wir haben so außerordentlich viel mit der Gegenwart zu schaffen und sind so froh, die Kleinstaaterei hinter uns zu haben, daß ein neues eigentliches Geschichtswerk über die fünfziger Jahre in weiteren Kreisen gerade noch kein Bedürfniß sein wird. Dergleichen liegt dem Oetker'schen Werke denn anch sehr fern, wenngleich seine Auffassungen für ein späteres Gesammtbild jener Zeit von großem Werthe sein werden. Die öffentlichen Vorgänge werden von Oetker nur im Anschluß an eigene Er¬ lebnisse berührt. Der Verfasser bezeichnet die Zeit von 1849—59 als seine „Kampf- und Flüchtlingsjahre" und behandelt in besonderen Abschnitten die Zeit seiner Land-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/430>, abgerufen am 22.07.2024.