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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Aaden und die Keichstagsaufl'ösmrg.

Unter der Fluth von Mittheilungen, Kundgebungen und Erklärungen,
welche seit der Reichstagsauflvsung in der offiziösen Presse, in der "freiwillig
gouvernementalen" und in den Organen der politischen Parteipresse erschienen
sind, ragt die offiziöse Mittheilung der "Karlsruher Zeitung" über die Stellung
der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösnng weithin leuchtend
hervor. Die Mittheilung, datirt den 12. Juni, lautet: "Der Antrag auf Auf¬
lösung des Reichstags war, wie wir vernehmen, in bundesrüthlichen Kreisen
nicht ohne Bedenken aufgenommen worden. Auch die badische Regierung hätte
gewünscht, daß zunächst der bisherige Reichstag einberufen worden wäre, in
der Annahme, daß es jetzt den verbündeten Regierungen gelungen sein würde,
sich mit einer großen Majorität des Parlaments über die Maßnahmen zu ver¬
ständigen, welche zur energischen Bekämpfung eines in der erschreckendsten Weise
wiederholt zu Tage getretenen, die Grundlagen der staatlichen und gesellschaft¬
lichen Ordnung zerstörenden Uebels unabweislich geboten sind. Nur wen"
wider Erwarten auf diesem Wege nicht zum Ziele zu gelangen wäre, dann
wurde man den Zeitpunkt für gekommen erachten, den jetzigen Reichstag auf¬
zulösen und an die Nation zu appelliren. Wenn gleichwohl auch die badische
Regierung schließlich dem Antrag auf sofortige Auflösung ihre Zustimmung
nicht versagt hat, so ist dies nach der von ihr stets innegehaltenen freisinnigen
und nationalen Richtung nicht in der Absicht, der Einführung einer reaktionären
Wendung in der deutschen Politik zu dienen, sondern nur in der Erwägung
geschehen, daß der deutschen Vormacht und dem leitenden Staatsmanne in einer
hochgespauten Lage die dringend verlangte Anwendung einer verfassungsmäßigen
Maßnahme nicht versagt werden könne. Die der freisinnigen Richtung feindlich
gegenüber stehenden Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevor¬
stehenden Neuwahl des Reichstages bereits das Anbrechen ihrer Aera zu er¬
blicken. Dazu gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundes-
raths-Beschlusses keine Berechtigung, und gerade darum dürfte auch die oberste
Leitung des Reiches erwarten, daß dein von ihr eingebrachten Vorschlage keine
der verbündeten Regierungen sich widersetzen und damit ihren Absichten mit
Mißtrauen begegnen werde."

Die Kundgebung ist hochbedeutsam. Sie dokumentirt aufs Neue sowohl
den festen Entschluß der badischen Regierung, auf dem im Jahre 1860 betretenen
Weg freiheitlicher Staatsentwickelung konsequent weiter zu schreiten, als auch
die Ueberzeugung dieser Regierung des freisinnigsten der deutschen Partikular-


Aaden und die Keichstagsaufl'ösmrg.

Unter der Fluth von Mittheilungen, Kundgebungen und Erklärungen,
welche seit der Reichstagsauflvsung in der offiziösen Presse, in der „freiwillig
gouvernementalen" und in den Organen der politischen Parteipresse erschienen
sind, ragt die offiziöse Mittheilung der „Karlsruher Zeitung" über die Stellung
der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösnng weithin leuchtend
hervor. Die Mittheilung, datirt den 12. Juni, lautet: „Der Antrag auf Auf¬
lösung des Reichstags war, wie wir vernehmen, in bundesrüthlichen Kreisen
nicht ohne Bedenken aufgenommen worden. Auch die badische Regierung hätte
gewünscht, daß zunächst der bisherige Reichstag einberufen worden wäre, in
der Annahme, daß es jetzt den verbündeten Regierungen gelungen sein würde,
sich mit einer großen Majorität des Parlaments über die Maßnahmen zu ver¬
ständigen, welche zur energischen Bekämpfung eines in der erschreckendsten Weise
wiederholt zu Tage getretenen, die Grundlagen der staatlichen und gesellschaft¬
lichen Ordnung zerstörenden Uebels unabweislich geboten sind. Nur wen»
wider Erwarten auf diesem Wege nicht zum Ziele zu gelangen wäre, dann
wurde man den Zeitpunkt für gekommen erachten, den jetzigen Reichstag auf¬
zulösen und an die Nation zu appelliren. Wenn gleichwohl auch die badische
Regierung schließlich dem Antrag auf sofortige Auflösung ihre Zustimmung
nicht versagt hat, so ist dies nach der von ihr stets innegehaltenen freisinnigen
und nationalen Richtung nicht in der Absicht, der Einführung einer reaktionären
Wendung in der deutschen Politik zu dienen, sondern nur in der Erwägung
geschehen, daß der deutschen Vormacht und dem leitenden Staatsmanne in einer
hochgespauten Lage die dringend verlangte Anwendung einer verfassungsmäßigen
Maßnahme nicht versagt werden könne. Die der freisinnigen Richtung feindlich
gegenüber stehenden Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevor¬
stehenden Neuwahl des Reichstages bereits das Anbrechen ihrer Aera zu er¬
blicken. Dazu gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundes-
raths-Beschlusses keine Berechtigung, und gerade darum dürfte auch die oberste
Leitung des Reiches erwarten, daß dein von ihr eingebrachten Vorschlage keine
der verbündeten Regierungen sich widersetzen und damit ihren Absichten mit
Mißtrauen begegnen werde."

Die Kundgebung ist hochbedeutsam. Sie dokumentirt aufs Neue sowohl
den festen Entschluß der badischen Regierung, auf dem im Jahre 1860 betretenen
Weg freiheitlicher Staatsentwickelung konsequent weiter zu schreiten, als auch
die Ueberzeugung dieser Regierung des freisinnigsten der deutschen Partikular-


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[0040] Aaden und die Keichstagsaufl'ösmrg. Unter der Fluth von Mittheilungen, Kundgebungen und Erklärungen, welche seit der Reichstagsauflvsung in der offiziösen Presse, in der „freiwillig gouvernementalen" und in den Organen der politischen Parteipresse erschienen sind, ragt die offiziöse Mittheilung der „Karlsruher Zeitung" über die Stellung der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösnng weithin leuchtend hervor. Die Mittheilung, datirt den 12. Juni, lautet: „Der Antrag auf Auf¬ lösung des Reichstags war, wie wir vernehmen, in bundesrüthlichen Kreisen nicht ohne Bedenken aufgenommen worden. Auch die badische Regierung hätte gewünscht, daß zunächst der bisherige Reichstag einberufen worden wäre, in der Annahme, daß es jetzt den verbündeten Regierungen gelungen sein würde, sich mit einer großen Majorität des Parlaments über die Maßnahmen zu ver¬ ständigen, welche zur energischen Bekämpfung eines in der erschreckendsten Weise wiederholt zu Tage getretenen, die Grundlagen der staatlichen und gesellschaft¬ lichen Ordnung zerstörenden Uebels unabweislich geboten sind. Nur wen» wider Erwarten auf diesem Wege nicht zum Ziele zu gelangen wäre, dann wurde man den Zeitpunkt für gekommen erachten, den jetzigen Reichstag auf¬ zulösen und an die Nation zu appelliren. Wenn gleichwohl auch die badische Regierung schließlich dem Antrag auf sofortige Auflösung ihre Zustimmung nicht versagt hat, so ist dies nach der von ihr stets innegehaltenen freisinnigen und nationalen Richtung nicht in der Absicht, der Einführung einer reaktionären Wendung in der deutschen Politik zu dienen, sondern nur in der Erwägung geschehen, daß der deutschen Vormacht und dem leitenden Staatsmanne in einer hochgespauten Lage die dringend verlangte Anwendung einer verfassungsmäßigen Maßnahme nicht versagt werden könne. Die der freisinnigen Richtung feindlich gegenüber stehenden Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevor¬ stehenden Neuwahl des Reichstages bereits das Anbrechen ihrer Aera zu er¬ blicken. Dazu gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundes- raths-Beschlusses keine Berechtigung, und gerade darum dürfte auch die oberste Leitung des Reiches erwarten, daß dein von ihr eingebrachten Vorschlage keine der verbündeten Regierungen sich widersetzen und damit ihren Absichten mit Mißtrauen begegnen werde." Die Kundgebung ist hochbedeutsam. Sie dokumentirt aufs Neue sowohl den festen Entschluß der badischen Regierung, auf dem im Jahre 1860 betretenen Weg freiheitlicher Staatsentwickelung konsequent weiter zu schreiten, als auch die Ueberzeugung dieser Regierung des freisinnigsten der deutschen Partikular-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/40>, abgerufen am 22.07.2024.