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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die pariser Weltausstellung.
Von Adolf Rosenberg.

9. Italienische Plastik und Malerei. -- Das Kunstgewerbe in Italien. -- Die Spitzen¬
industrie. -- Japan. -- Dänemark.

Schon auf der Wiener Weltausstellung, wo sie zuerst in imponirender
Menge auftraten, haben die Erzeugnisse der Bildhauerateliers von Mailand,
Florenz, Rom und Neapel sowohl um ihrer originellen sujets als um ihrer
raffinirten technischen Ausführung willen ungewöhnliches Aufsehen erregt. Die
Behandlung des Marmors, die Charakteristik des Stofflichen, die durch alle
erdenklichen Mittel, durch Politur, durch Einreibungen und dergleichen erreicht
wurde, die ungemein zarte und weiche Durchbildung des Nackten, die Kühnheit,
ja die Verwegenheit der Situationen, die spielende Leichtigkeit, mit der man
die materielle Schwere des Marmors überwand -- das alles begeisterte das
Publikum zu lebhafter Bewunderung. Wie die französische Malerei eroberte
sich die italienische Plastik damals den Weltmarkt. Die Leistungsfähigkeit ihrer
Marmorarbeiter vermochte der Nachfrage zu genügen, und so wanderten die
Kopieen beliebter sujets, Barzaghi's Egypterin mit dem geretteten Moses,
Calpi's Othello mit dem Taschentuche der Desdemona, Tantardini's, Braga's
und Bianchi's Kinderfiguren zu Dutzenden nach Deutschland, Rußland und
Amerika.

Der allgemeine Beifall hat die Italiener aufgemuntert. Sie sind inzwischen
auf dem Pfade der Verwegenheit und Kühnheit noch weiter fortgeschritten. Sie
haben freilich dabei nicht immer die Grenze innegehalten, welche die Kunst von
der Künstelei trennt und damit denjenigen, welche über die italienische Nippes-
Plastik verächtlich die Achseln zuckten, neues Material geliefert. Auch die Nai¬
vetät des unbewußt, aus innerem Drange schaffenden Künstlers fehlt den meisten


Grenzboten III. 1873. 4et
Die pariser Weltausstellung.
Von Adolf Rosenberg.

9. Italienische Plastik und Malerei. — Das Kunstgewerbe in Italien. — Die Spitzen¬
industrie. — Japan. — Dänemark.

Schon auf der Wiener Weltausstellung, wo sie zuerst in imponirender
Menge auftraten, haben die Erzeugnisse der Bildhauerateliers von Mailand,
Florenz, Rom und Neapel sowohl um ihrer originellen sujets als um ihrer
raffinirten technischen Ausführung willen ungewöhnliches Aufsehen erregt. Die
Behandlung des Marmors, die Charakteristik des Stofflichen, die durch alle
erdenklichen Mittel, durch Politur, durch Einreibungen und dergleichen erreicht
wurde, die ungemein zarte und weiche Durchbildung des Nackten, die Kühnheit,
ja die Verwegenheit der Situationen, die spielende Leichtigkeit, mit der man
die materielle Schwere des Marmors überwand — das alles begeisterte das
Publikum zu lebhafter Bewunderung. Wie die französische Malerei eroberte
sich die italienische Plastik damals den Weltmarkt. Die Leistungsfähigkeit ihrer
Marmorarbeiter vermochte der Nachfrage zu genügen, und so wanderten die
Kopieen beliebter sujets, Barzaghi's Egypterin mit dem geretteten Moses,
Calpi's Othello mit dem Taschentuche der Desdemona, Tantardini's, Braga's
und Bianchi's Kinderfiguren zu Dutzenden nach Deutschland, Rußland und
Amerika.

Der allgemeine Beifall hat die Italiener aufgemuntert. Sie sind inzwischen
auf dem Pfade der Verwegenheit und Kühnheit noch weiter fortgeschritten. Sie
haben freilich dabei nicht immer die Grenze innegehalten, welche die Kunst von
der Künstelei trennt und damit denjenigen, welche über die italienische Nippes-
Plastik verächtlich die Achseln zuckten, neues Material geliefert. Auch die Nai¬
vetät des unbewußt, aus innerem Drange schaffenden Künstlers fehlt den meisten


Grenzboten III. 1873. 4et
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[0369] Die pariser Weltausstellung. Von Adolf Rosenberg. 9. Italienische Plastik und Malerei. — Das Kunstgewerbe in Italien. — Die Spitzen¬ industrie. — Japan. — Dänemark. Schon auf der Wiener Weltausstellung, wo sie zuerst in imponirender Menge auftraten, haben die Erzeugnisse der Bildhauerateliers von Mailand, Florenz, Rom und Neapel sowohl um ihrer originellen sujets als um ihrer raffinirten technischen Ausführung willen ungewöhnliches Aufsehen erregt. Die Behandlung des Marmors, die Charakteristik des Stofflichen, die durch alle erdenklichen Mittel, durch Politur, durch Einreibungen und dergleichen erreicht wurde, die ungemein zarte und weiche Durchbildung des Nackten, die Kühnheit, ja die Verwegenheit der Situationen, die spielende Leichtigkeit, mit der man die materielle Schwere des Marmors überwand — das alles begeisterte das Publikum zu lebhafter Bewunderung. Wie die französische Malerei eroberte sich die italienische Plastik damals den Weltmarkt. Die Leistungsfähigkeit ihrer Marmorarbeiter vermochte der Nachfrage zu genügen, und so wanderten die Kopieen beliebter sujets, Barzaghi's Egypterin mit dem geretteten Moses, Calpi's Othello mit dem Taschentuche der Desdemona, Tantardini's, Braga's und Bianchi's Kinderfiguren zu Dutzenden nach Deutschland, Rußland und Amerika. Der allgemeine Beifall hat die Italiener aufgemuntert. Sie sind inzwischen auf dem Pfade der Verwegenheit und Kühnheit noch weiter fortgeschritten. Sie haben freilich dabei nicht immer die Grenze innegehalten, welche die Kunst von der Künstelei trennt und damit denjenigen, welche über die italienische Nippes- Plastik verächtlich die Achseln zuckten, neues Material geliefert. Auch die Nai¬ vetät des unbewußt, aus innerem Drange schaffenden Künstlers fehlt den meisten Grenzboten III. 1873. 4et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/369>, abgerufen am 03.07.2024.