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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die pariser Weltausstellung.
Von Adolf Rosenberg.
7. Die französische Malerei. Meissonier und Vibert.

Meissvnier hat bereits eine nicht ungefährliche Konkurrenz von Seiten
zweier Maler zu bestehen, auf welche der über alle Maßen eitle Mann mit
nicht geringem Ingrimm blickt. Der eine dieser Maler ist Worms, der andere,
bedeutendere Vibert. Letzterer weiß zwar nicht annähernd so scharf, so geist¬
voll und so mannigfaltig zu charakterisiren wie Meissonier, dafür besitzt aber
seine Palette einen ungleich größeren Farbenreichthum als die des älteren
Meisters, der als Kvlorist noch den strengeren und solideren Tendenzen der
klassischen Schule folgt. Vibert ist in höherem Grade Salonmaler als Meissonier,
der ebensowohl nur für artistische Feinschmecker wie für große Börsen malt.
Vibert ist ungleich malerischer im eigentlichen Wortsinne: er holt seine Stoffe aus
Italien und Spanien, er ist heiter und ausgelassen, während Meissonier fast immer
die würdige Miene des Akademikers aufsetzt. So zeigt uns Vibert z. B. einen
Mönch und einen Maler, die in dem Hofe eines Klosters emsig bemüht sind,
für den bevorstehenden Festtag ein Madonnenbild mit Kränzen und bunten
Farben zu schmücken, dann das Ständchen eines italienischen Edelmanns vor
dem Hause seiner Donuci, wo sich die übermüthige Laune des Malers gleich¬
sam in der Farbenlust ausspricht, welcher der Künstler freien Lauf gelassen hat.

Wir würden indessen ein unvollständiges Urtheil über Vibert gewinnen,
wenn wir nur seine Kleinmalereien in's Auge faßten. Vibert hat seitdem
einen Trumpf ausgespielt, der seinem Freunde Meissonier schwere Tage be¬
reitet hat. Aus dem Kleinmaler ist ein Historienmaler großen Stils geworden,
der den Versuch gemacht, eine riesige Leinwand mit einem würdigen, an den
Patriotismus jedes Franzosen appellirenden Stoffe zu erfüllen. Der "Salon"
von 1877 enthielt das grandiose Portrait des "Befreiers des Territoriums"
von der Meisterhand Bonnae's, ein im besten Sinne des Wortes historisches
Bild, das binnen Kurzem eine ungeheure Popularität gewonnen hat. Man
sieht das Portrait jetzt wieder auf dem Marsfelde, und man kaun sämmtliche
Säle der gewaltigen Kunsthalle durchwandern, man wird nicht seines Gleichen
finden. Im September 1877 starb Thiers: Der "Salon" von 1878 enthält
wieder ein Bild, das sich mit seiner Person beschäftigt und vor dem die Menge
sich ebenso andächtig sammelt wie vor seinem Bildnisse: seine Apotheose, ein
Bild von ganz außergewöhnlichen Dimensionen.

Auf einem Katafalke, der mit einer violetten Sammetdecke drapirt ist, liegt


Die pariser Weltausstellung.
Von Adolf Rosenberg.
7. Die französische Malerei. Meissonier und Vibert.

Meissvnier hat bereits eine nicht ungefährliche Konkurrenz von Seiten
zweier Maler zu bestehen, auf welche der über alle Maßen eitle Mann mit
nicht geringem Ingrimm blickt. Der eine dieser Maler ist Worms, der andere,
bedeutendere Vibert. Letzterer weiß zwar nicht annähernd so scharf, so geist¬
voll und so mannigfaltig zu charakterisiren wie Meissonier, dafür besitzt aber
seine Palette einen ungleich größeren Farbenreichthum als die des älteren
Meisters, der als Kvlorist noch den strengeren und solideren Tendenzen der
klassischen Schule folgt. Vibert ist in höherem Grade Salonmaler als Meissonier,
der ebensowohl nur für artistische Feinschmecker wie für große Börsen malt.
Vibert ist ungleich malerischer im eigentlichen Wortsinne: er holt seine Stoffe aus
Italien und Spanien, er ist heiter und ausgelassen, während Meissonier fast immer
die würdige Miene des Akademikers aufsetzt. So zeigt uns Vibert z. B. einen
Mönch und einen Maler, die in dem Hofe eines Klosters emsig bemüht sind,
für den bevorstehenden Festtag ein Madonnenbild mit Kränzen und bunten
Farben zu schmücken, dann das Ständchen eines italienischen Edelmanns vor
dem Hause seiner Donuci, wo sich die übermüthige Laune des Malers gleich¬
sam in der Farbenlust ausspricht, welcher der Künstler freien Lauf gelassen hat.

Wir würden indessen ein unvollständiges Urtheil über Vibert gewinnen,
wenn wir nur seine Kleinmalereien in's Auge faßten. Vibert hat seitdem
einen Trumpf ausgespielt, der seinem Freunde Meissonier schwere Tage be¬
reitet hat. Aus dem Kleinmaler ist ein Historienmaler großen Stils geworden,
der den Versuch gemacht, eine riesige Leinwand mit einem würdigen, an den
Patriotismus jedes Franzosen appellirenden Stoffe zu erfüllen. Der „Salon"
von 1877 enthielt das grandiose Portrait des „Befreiers des Territoriums"
von der Meisterhand Bonnae's, ein im besten Sinne des Wortes historisches
Bild, das binnen Kurzem eine ungeheure Popularität gewonnen hat. Man
sieht das Portrait jetzt wieder auf dem Marsfelde, und man kaun sämmtliche
Säle der gewaltigen Kunsthalle durchwandern, man wird nicht seines Gleichen
finden. Im September 1877 starb Thiers: Der „Salon" von 1878 enthält
wieder ein Bild, das sich mit seiner Person beschäftigt und vor dem die Menge
sich ebenso andächtig sammelt wie vor seinem Bildnisse: seine Apotheose, ein
Bild von ganz außergewöhnlichen Dimensionen.

Auf einem Katafalke, der mit einer violetten Sammetdecke drapirt ist, liegt


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[0285] Die pariser Weltausstellung. Von Adolf Rosenberg. 7. Die französische Malerei. Meissonier und Vibert. Meissvnier hat bereits eine nicht ungefährliche Konkurrenz von Seiten zweier Maler zu bestehen, auf welche der über alle Maßen eitle Mann mit nicht geringem Ingrimm blickt. Der eine dieser Maler ist Worms, der andere, bedeutendere Vibert. Letzterer weiß zwar nicht annähernd so scharf, so geist¬ voll und so mannigfaltig zu charakterisiren wie Meissonier, dafür besitzt aber seine Palette einen ungleich größeren Farbenreichthum als die des älteren Meisters, der als Kvlorist noch den strengeren und solideren Tendenzen der klassischen Schule folgt. Vibert ist in höherem Grade Salonmaler als Meissonier, der ebensowohl nur für artistische Feinschmecker wie für große Börsen malt. Vibert ist ungleich malerischer im eigentlichen Wortsinne: er holt seine Stoffe aus Italien und Spanien, er ist heiter und ausgelassen, während Meissonier fast immer die würdige Miene des Akademikers aufsetzt. So zeigt uns Vibert z. B. einen Mönch und einen Maler, die in dem Hofe eines Klosters emsig bemüht sind, für den bevorstehenden Festtag ein Madonnenbild mit Kränzen und bunten Farben zu schmücken, dann das Ständchen eines italienischen Edelmanns vor dem Hause seiner Donuci, wo sich die übermüthige Laune des Malers gleich¬ sam in der Farbenlust ausspricht, welcher der Künstler freien Lauf gelassen hat. Wir würden indessen ein unvollständiges Urtheil über Vibert gewinnen, wenn wir nur seine Kleinmalereien in's Auge faßten. Vibert hat seitdem einen Trumpf ausgespielt, der seinem Freunde Meissonier schwere Tage be¬ reitet hat. Aus dem Kleinmaler ist ein Historienmaler großen Stils geworden, der den Versuch gemacht, eine riesige Leinwand mit einem würdigen, an den Patriotismus jedes Franzosen appellirenden Stoffe zu erfüllen. Der „Salon" von 1877 enthielt das grandiose Portrait des „Befreiers des Territoriums" von der Meisterhand Bonnae's, ein im besten Sinne des Wortes historisches Bild, das binnen Kurzem eine ungeheure Popularität gewonnen hat. Man sieht das Portrait jetzt wieder auf dem Marsfelde, und man kaun sämmtliche Säle der gewaltigen Kunsthalle durchwandern, man wird nicht seines Gleichen finden. Im September 1877 starb Thiers: Der „Salon" von 1878 enthält wieder ein Bild, das sich mit seiner Person beschäftigt und vor dem die Menge sich ebenso andächtig sammelt wie vor seinem Bildnisse: seine Apotheose, ein Bild von ganz außergewöhnlichen Dimensionen. Auf einem Katafalke, der mit einer violetten Sammetdecke drapirt ist, liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/285>, abgerufen am 22.07.2024.