Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Felspartie gebildet, die ziemlich kläglich aus Gips, Cement und Tropfstein
zusammengebacken ist. Das Süßwasseraquarium ist eine der empfindlichsten
Stellen des Trocadero. Die Fische, die mit großen Kosten und Mühen in
tausenden von Exemplaren hierher geschafft worden sind, fristen in dem dumpfi¬
gen, schwülen Wasserbecken ein elendes Dasein. Träge und schläfrig hangen
sie zu Klumpen geballt an der Oberfläche, als wollten sie jeden Augenblick
ihren letzten Seufzer in das trübe Wasser aushauchen.




Literatur.
Deutschland und der Sozialismus von Ludwig Bcimberger, Leipzig,
F. A. Brockhaus, 1878.

Der Standpunkt Ludwig Bamberger's der sozialen Frage gegenüber ist
bekannt. Schon vor einigen Jahren, als er die Hirsch'schen Gewerkvereine
und das Vereinsrecht einer scharfen Prüfung unterwarf, nahm er Gelegenheit
sich mit dem damals gerade besonders anmaßlich hervortretenden Katheder-
sozialismus und der deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen. Die vor¬
liegende Schrift kann als eine Ergänzung jener Studien angesehen werden,
indem sie die lieblichen Erscheinungen, welche neuerdings in Deutschland zur
Förderung des Sozialismus hervorgetreten sind, die Agrarier, die Brüder¬
schaft der Christlich-Sozialen, die sozialen Utopien der Neu-Konservativen !c. in
Betracht zieht. Aber dabei ist Inhalt und Plan unsrer Schrift durchaus
selbstständig, von jener srttheren unabhängig. Bamberger steht in seiner Auf¬
fassung vom Staate weiter links als wir. Treitschke würde in seinen An¬
sprüchen an den Staat zur Lösung der sozialen Frage etwa die Mitte ein¬
nehmen zwischen dem Standpunkte Bamberger's und demjenigen der Katheder¬
sozialisten. Bamberger's Auffassung erscheint uns zu mechanisch, um nicht zu
sagen zu materialistisch in einer Beziehung: Der Staat ist mehr, unendlich
viel mehr als eine juristische Person, wie etwa eine Aktiengesellschaft, in der
die Vielheit der Mitglieder der leitenden Organe die Gesammtverantwortlichkeit
eines einzigen Unternehmers, wie Bamberger richtig ausführt, doch niemals
vollkommen umfassen und daher anch niemals die höchsten Früchte individueller
menschlicher Energie und Selbstverantwortlichkeit ernten kann. Der Staat
unterscheidet sich von allen Rechtssubjekten und Korporationen, die unter seinem
Schutze aufwachsen, durch die Ewigkeit und Allseitigkeit, die Höhe und Un-


Felspartie gebildet, die ziemlich kläglich aus Gips, Cement und Tropfstein
zusammengebacken ist. Das Süßwasseraquarium ist eine der empfindlichsten
Stellen des Trocadero. Die Fische, die mit großen Kosten und Mühen in
tausenden von Exemplaren hierher geschafft worden sind, fristen in dem dumpfi¬
gen, schwülen Wasserbecken ein elendes Dasein. Träge und schläfrig hangen
sie zu Klumpen geballt an der Oberfläche, als wollten sie jeden Augenblick
ihren letzten Seufzer in das trübe Wasser aushauchen.




Literatur.
Deutschland und der Sozialismus von Ludwig Bcimberger, Leipzig,
F. A. Brockhaus, 1878.

Der Standpunkt Ludwig Bamberger's der sozialen Frage gegenüber ist
bekannt. Schon vor einigen Jahren, als er die Hirsch'schen Gewerkvereine
und das Vereinsrecht einer scharfen Prüfung unterwarf, nahm er Gelegenheit
sich mit dem damals gerade besonders anmaßlich hervortretenden Katheder-
sozialismus und der deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen. Die vor¬
liegende Schrift kann als eine Ergänzung jener Studien angesehen werden,
indem sie die lieblichen Erscheinungen, welche neuerdings in Deutschland zur
Förderung des Sozialismus hervorgetreten sind, die Agrarier, die Brüder¬
schaft der Christlich-Sozialen, die sozialen Utopien der Neu-Konservativen !c. in
Betracht zieht. Aber dabei ist Inhalt und Plan unsrer Schrift durchaus
selbstständig, von jener srttheren unabhängig. Bamberger steht in seiner Auf¬
fassung vom Staate weiter links als wir. Treitschke würde in seinen An¬
sprüchen an den Staat zur Lösung der sozialen Frage etwa die Mitte ein¬
nehmen zwischen dem Standpunkte Bamberger's und demjenigen der Katheder¬
sozialisten. Bamberger's Auffassung erscheint uns zu mechanisch, um nicht zu
sagen zu materialistisch in einer Beziehung: Der Staat ist mehr, unendlich
viel mehr als eine juristische Person, wie etwa eine Aktiengesellschaft, in der
die Vielheit der Mitglieder der leitenden Organe die Gesammtverantwortlichkeit
eines einzigen Unternehmers, wie Bamberger richtig ausführt, doch niemals
vollkommen umfassen und daher anch niemals die höchsten Früchte individueller
menschlicher Energie und Selbstverantwortlichkeit ernten kann. Der Staat
unterscheidet sich von allen Rechtssubjekten und Korporationen, die unter seinem
Schutze aufwachsen, durch die Ewigkeit und Allseitigkeit, die Höhe und Un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140340"/>
          <p xml:id="ID_1497" prev="#ID_1496"> Felspartie gebildet, die ziemlich kläglich aus Gips, Cement und Tropfstein<lb/>
zusammengebacken ist. Das Süßwasseraquarium ist eine der empfindlichsten<lb/>
Stellen des Trocadero. Die Fische, die mit großen Kosten und Mühen in<lb/>
tausenden von Exemplaren hierher geschafft worden sind, fristen in dem dumpfi¬<lb/>
gen, schwülen Wasserbecken ein elendes Dasein. Träge und schläfrig hangen<lb/>
sie zu Klumpen geballt an der Oberfläche, als wollten sie jeden Augenblick<lb/>
ihren letzten Seufzer in das trübe Wasser aushauchen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Deutschland und der Sozialismus von Ludwig Bcimberger, Leipzig,<lb/>
F. A. Brockhaus, 1878.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1498" next="#ID_1499"> Der Standpunkt Ludwig Bamberger's der sozialen Frage gegenüber ist<lb/>
bekannt. Schon vor einigen Jahren, als er die Hirsch'schen Gewerkvereine<lb/>
und das Vereinsrecht einer scharfen Prüfung unterwarf, nahm er Gelegenheit<lb/>
sich mit dem damals gerade besonders anmaßlich hervortretenden Katheder-<lb/>
sozialismus und der deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen. Die vor¬<lb/>
liegende Schrift kann als eine Ergänzung jener Studien angesehen werden,<lb/>
indem sie die lieblichen Erscheinungen, welche neuerdings in Deutschland zur<lb/>
Förderung des Sozialismus hervorgetreten sind, die Agrarier, die Brüder¬<lb/>
schaft der Christlich-Sozialen, die sozialen Utopien der Neu-Konservativen !c. in<lb/>
Betracht zieht. Aber dabei ist Inhalt und Plan unsrer Schrift durchaus<lb/>
selbstständig, von jener srttheren unabhängig. Bamberger steht in seiner Auf¬<lb/>
fassung vom Staate weiter links als wir. Treitschke würde in seinen An¬<lb/>
sprüchen an den Staat zur Lösung der sozialen Frage etwa die Mitte ein¬<lb/>
nehmen zwischen dem Standpunkte Bamberger's und demjenigen der Katheder¬<lb/>
sozialisten. Bamberger's Auffassung erscheint uns zu mechanisch, um nicht zu<lb/>
sagen zu materialistisch in einer Beziehung: Der Staat ist mehr, unendlich<lb/>
viel mehr als eine juristische Person, wie etwa eine Aktiengesellschaft, in der<lb/>
die Vielheit der Mitglieder der leitenden Organe die Gesammtverantwortlichkeit<lb/>
eines einzigen Unternehmers, wie Bamberger richtig ausführt, doch niemals<lb/>
vollkommen umfassen und daher anch niemals die höchsten Früchte individueller<lb/>
menschlicher Energie und Selbstverantwortlichkeit ernten kann. Der Staat<lb/>
unterscheidet sich von allen Rechtssubjekten und Korporationen, die unter seinem<lb/>
Schutze aufwachsen, durch die Ewigkeit und Allseitigkeit, die Höhe und Un-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] Felspartie gebildet, die ziemlich kläglich aus Gips, Cement und Tropfstein zusammengebacken ist. Das Süßwasseraquarium ist eine der empfindlichsten Stellen des Trocadero. Die Fische, die mit großen Kosten und Mühen in tausenden von Exemplaren hierher geschafft worden sind, fristen in dem dumpfi¬ gen, schwülen Wasserbecken ein elendes Dasein. Träge und schläfrig hangen sie zu Klumpen geballt an der Oberfläche, als wollten sie jeden Augenblick ihren letzten Seufzer in das trübe Wasser aushauchen. Literatur. Deutschland und der Sozialismus von Ludwig Bcimberger, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1878. Der Standpunkt Ludwig Bamberger's der sozialen Frage gegenüber ist bekannt. Schon vor einigen Jahren, als er die Hirsch'schen Gewerkvereine und das Vereinsrecht einer scharfen Prüfung unterwarf, nahm er Gelegenheit sich mit dem damals gerade besonders anmaßlich hervortretenden Katheder- sozialismus und der deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen. Die vor¬ liegende Schrift kann als eine Ergänzung jener Studien angesehen werden, indem sie die lieblichen Erscheinungen, welche neuerdings in Deutschland zur Förderung des Sozialismus hervorgetreten sind, die Agrarier, die Brüder¬ schaft der Christlich-Sozialen, die sozialen Utopien der Neu-Konservativen !c. in Betracht zieht. Aber dabei ist Inhalt und Plan unsrer Schrift durchaus selbstständig, von jener srttheren unabhängig. Bamberger steht in seiner Auf¬ fassung vom Staate weiter links als wir. Treitschke würde in seinen An¬ sprüchen an den Staat zur Lösung der sozialen Frage etwa die Mitte ein¬ nehmen zwischen dem Standpunkte Bamberger's und demjenigen der Katheder¬ sozialisten. Bamberger's Auffassung erscheint uns zu mechanisch, um nicht zu sagen zu materialistisch in einer Beziehung: Der Staat ist mehr, unendlich viel mehr als eine juristische Person, wie etwa eine Aktiengesellschaft, in der die Vielheit der Mitglieder der leitenden Organe die Gesammtverantwortlichkeit eines einzigen Unternehmers, wie Bamberger richtig ausführt, doch niemals vollkommen umfassen und daher anch niemals die höchsten Früchte individueller menschlicher Energie und Selbstverantwortlichkeit ernten kann. Der Staat unterscheidet sich von allen Rechtssubjekten und Korporationen, die unter seinem Schutze aufwachsen, durch die Ewigkeit und Allseitigkeit, die Höhe und Un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/519>, abgerufen am 28.12.2024.