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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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er namentlich seinen philosophischen und historischen Studien verdankte, zu ihr
hat Körner, insofern er an allen wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen
Anliegen des Freundes den tiefsten und verständnißvollsten Antheil nahm,
jedenfalls das allermeiste beigetragen. Der Briefwechsel zwischen beiden ist
der treue Spiegel dieses Entwicklungsprozesses.

Daß dieser reiche literarische Schatz, der übrigens dem deutschen Volke bereits
seit den vierziger Jahren und in bereicherter Gestalt seit 1875 vorliegt, von der
jetzigen Verlagshandlung nun auch in einer wohlfeilen, übrigens im Verhältniß zu
dem billigen Preise höchst splendid ausgestatteten Volksausgabe geboten wird,
kann man nur mit freudigem Danke begrüßen. Der Schiller-Körner'sche Brief¬
wechsel ist werth und fähig ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes zu
werden; er wird auch für solche Leser, denen literargeschichtliche Zwecke bei
der Lektüre gänzlich fern liegen, von unvergleichlich bildenden Werthe sein.
Es wäre zu wünschen, daß namentlich da, wo man darauf aus ist, den Kreis
der Lektüre für die erwachsene deutsche Jugend (namentlich auf der obersten
Stufe unserer höheren Lehranstalten) in zweckmäßiger Weise zu erweitern und
zu vervollständigen, das vorliegende Buch in Zukunft nicht lübersehen werde.


Carl von Kalckstein, Geschichte des französischen Königthums unter den erste"
Capetingern. Erster Band: Der Kampf der Robcrtiner und Karolinger. Leipzig,
T. O. Weigel, 1877.

Die Zeiten der ersten Capetinger sind in hervorragendem Sinne die
l^i'i'g, jneo8mei>. in der nationalen Geschichte Frankreichs. Es fehlt hier jener
centralisirende Zug, der sonst sür die Entwickelung des französischen Volks,
von den Zuständen der keltischen Zeit an bis aus unsere Tage, als typisch
gelten darf: noch liegen die centripetalen Kräfte des Volkscharakters im Halb-
schlummer, und eine Reihe schwacher Könige thut wenig, um sie zu wecken, zu
leiten und zu verstärken. Sehr begreiflich, daß eine Zeit, während welcher in der
Richtung des nationalen Gedankens so außerordentlich wenig zu geschehen
scheint, auch von der Geschichtswissenschaft meist als Aschenbrödel behandelt
worden ist. Die französischen Geschichten von Michelet, Sismondi, Martin n. A.
legen hierfür genugsam Zeugniß ab; sie alle gehen mehr oder weniger rasch
über die staatliche Entwickelung des 11. und 12. Jahrhunderts hinweg, um
mit ebenso unverkennbarem, wie gerechtfertigten Wohlgefallen die ungemein
rasche geistige Entwickelung Frankreichs in dieser Periode, die Zeiten eines
Berengar von Tours und Abälard zu schildern. Die politische Seite der Ge¬
schichte wird erst seit Philipp und August wieder gebührend betont: er ist der
erste wahrhaft große König des Capetingischen Hauses, und erst von ihm ab
datiren die systematischen Einheitsbestrebungen des französischen Königthums.


er namentlich seinen philosophischen und historischen Studien verdankte, zu ihr
hat Körner, insofern er an allen wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen
Anliegen des Freundes den tiefsten und verständnißvollsten Antheil nahm,
jedenfalls das allermeiste beigetragen. Der Briefwechsel zwischen beiden ist
der treue Spiegel dieses Entwicklungsprozesses.

Daß dieser reiche literarische Schatz, der übrigens dem deutschen Volke bereits
seit den vierziger Jahren und in bereicherter Gestalt seit 1875 vorliegt, von der
jetzigen Verlagshandlung nun auch in einer wohlfeilen, übrigens im Verhältniß zu
dem billigen Preise höchst splendid ausgestatteten Volksausgabe geboten wird,
kann man nur mit freudigem Danke begrüßen. Der Schiller-Körner'sche Brief¬
wechsel ist werth und fähig ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes zu
werden; er wird auch für solche Leser, denen literargeschichtliche Zwecke bei
der Lektüre gänzlich fern liegen, von unvergleichlich bildenden Werthe sein.
Es wäre zu wünschen, daß namentlich da, wo man darauf aus ist, den Kreis
der Lektüre für die erwachsene deutsche Jugend (namentlich auf der obersten
Stufe unserer höheren Lehranstalten) in zweckmäßiger Weise zu erweitern und
zu vervollständigen, das vorliegende Buch in Zukunft nicht lübersehen werde.


Carl von Kalckstein, Geschichte des französischen Königthums unter den erste»
Capetingern. Erster Band: Der Kampf der Robcrtiner und Karolinger. Leipzig,
T. O. Weigel, 1877.

Die Zeiten der ersten Capetinger sind in hervorragendem Sinne die
l^i'i'g, jneo8mei>. in der nationalen Geschichte Frankreichs. Es fehlt hier jener
centralisirende Zug, der sonst sür die Entwickelung des französischen Volks,
von den Zuständen der keltischen Zeit an bis aus unsere Tage, als typisch
gelten darf: noch liegen die centripetalen Kräfte des Volkscharakters im Halb-
schlummer, und eine Reihe schwacher Könige thut wenig, um sie zu wecken, zu
leiten und zu verstärken. Sehr begreiflich, daß eine Zeit, während welcher in der
Richtung des nationalen Gedankens so außerordentlich wenig zu geschehen
scheint, auch von der Geschichtswissenschaft meist als Aschenbrödel behandelt
worden ist. Die französischen Geschichten von Michelet, Sismondi, Martin n. A.
legen hierfür genugsam Zeugniß ab; sie alle gehen mehr oder weniger rasch
über die staatliche Entwickelung des 11. und 12. Jahrhunderts hinweg, um
mit ebenso unverkennbarem, wie gerechtfertigten Wohlgefallen die ungemein
rasche geistige Entwickelung Frankreichs in dieser Periode, die Zeiten eines
Berengar von Tours und Abälard zu schildern. Die politische Seite der Ge¬
schichte wird erst seit Philipp und August wieder gebührend betont: er ist der
erste wahrhaft große König des Capetingischen Hauses, und erst von ihm ab
datiren die systematischen Einheitsbestrebungen des französischen Königthums.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/43>, abgerufen am 27.07.2024.