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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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meldet, wie alle andern Menschen Steuern und Umgeld zu zahlen; sie waren
zu ihrem großen Verdruß nicht mehr, wie vormals in der angenehmen Lage,
zollfreien Wein trinken zu können. Und so gab es noch allerlei kleinere und
größere Unannehmlichkeiten und Beschränkungen. Allein der katholische Gottes¬
dienst war nicht verboten; in Bezug auf die Ausübung ihrer Religion legte
man den Katholiken so lange sie sich begnügten, in ihren Kirchen und Häusern
zu bleiben, keine Hindernisse in den Weg; nur das Läuten der Glocken der katholi¬
schen Kirchen und öffentliche Aufzüge waren abgestellt worden.

Wie ganz anders war man da doch mit den Protestanten umgesprungen
als die Katholiken am Ruder saßen! Wenn die ersteren, nachdem sie die Herr¬
schaft in die Hände bekommen, nun anfingen Revanche zu nehmen, so lag das
in der Natur der Dinge. Jedenfalls aber steht es unserm Pater Anastasius,
der, wie sein Vorgänger in dem Amte des Klosterchronisten einmal erzählt,
seiner Zeit bei der katholischen Reformation Augsburgs eifrigst bei der Bekehr¬
ung und der daraus entspringenden Verfolgung der Ketzer mit geholfen hatte,
übel an, sich darüber zu beklagen, daß die Protestanten nun auch ihrerseits
von dem Rechte des Stärkeren Gebrauch machten.

Doch ist sein Standpunkt dabei ein so arglos unbefangener, seine Ueber¬
zeugung von der Gerechtigkeit der Sache, die er vertritt, eine so unbedingte,
von keinem Zweifel angekränkelte, seine Klagen kommen so kindlich naiv zum
Vorschein, daß wohl schwerlich jemand dadurch irre geführt wird.




"Arinz Kaspar Käufer,
ii.

Schon als Kaspar Hauser 1828 in Nürnberg erschien, hatte Anselm von
Feuerbach die Blüthe seines Alters längst überschritten. Er zählte damals
zwar erst 53 Jahre, doch hatten die letzten Jahre bedenklich an seiner Lebens¬
kraft gezehrt. Die überreiche Thätigkeit seiner Jugend- und Mannesjahre hatte
ihm ein frühes Greisenalter beschieden, das den geistig und körperlich Er¬
schöpften rasch dem Tode zuführte. Schon im April 1829, dreiviertel Jahre
nachdem er am 11. Juli 1828 vou Ansbach nach Nürnberg geeilt war, um
das Weltwunder Kaspar Hauser sich anzusehn, hatte ein Nervenzufall ihn ge¬
zwungen, in einer längeren Erholungsreise Kräftigung zu suchen. Die ernstesten
Klagen über seinen Gesundheitszustand verschwinden von dieser Zeit an nicht


meldet, wie alle andern Menschen Steuern und Umgeld zu zahlen; sie waren
zu ihrem großen Verdruß nicht mehr, wie vormals in der angenehmen Lage,
zollfreien Wein trinken zu können. Und so gab es noch allerlei kleinere und
größere Unannehmlichkeiten und Beschränkungen. Allein der katholische Gottes¬
dienst war nicht verboten; in Bezug auf die Ausübung ihrer Religion legte
man den Katholiken so lange sie sich begnügten, in ihren Kirchen und Häusern
zu bleiben, keine Hindernisse in den Weg; nur das Läuten der Glocken der katholi¬
schen Kirchen und öffentliche Aufzüge waren abgestellt worden.

Wie ganz anders war man da doch mit den Protestanten umgesprungen
als die Katholiken am Ruder saßen! Wenn die ersteren, nachdem sie die Herr¬
schaft in die Hände bekommen, nun anfingen Revanche zu nehmen, so lag das
in der Natur der Dinge. Jedenfalls aber steht es unserm Pater Anastasius,
der, wie sein Vorgänger in dem Amte des Klosterchronisten einmal erzählt,
seiner Zeit bei der katholischen Reformation Augsburgs eifrigst bei der Bekehr¬
ung und der daraus entspringenden Verfolgung der Ketzer mit geholfen hatte,
übel an, sich darüber zu beklagen, daß die Protestanten nun auch ihrerseits
von dem Rechte des Stärkeren Gebrauch machten.

Doch ist sein Standpunkt dabei ein so arglos unbefangener, seine Ueber¬
zeugung von der Gerechtigkeit der Sache, die er vertritt, eine so unbedingte,
von keinem Zweifel angekränkelte, seine Klagen kommen so kindlich naiv zum
Vorschein, daß wohl schwerlich jemand dadurch irre geführt wird.




"Arinz Kaspar Käufer,
ii.

Schon als Kaspar Hauser 1828 in Nürnberg erschien, hatte Anselm von
Feuerbach die Blüthe seines Alters längst überschritten. Er zählte damals
zwar erst 53 Jahre, doch hatten die letzten Jahre bedenklich an seiner Lebens¬
kraft gezehrt. Die überreiche Thätigkeit seiner Jugend- und Mannesjahre hatte
ihm ein frühes Greisenalter beschieden, das den geistig und körperlich Er¬
schöpften rasch dem Tode zuführte. Schon im April 1829, dreiviertel Jahre
nachdem er am 11. Juli 1828 vou Ansbach nach Nürnberg geeilt war, um
das Weltwunder Kaspar Hauser sich anzusehn, hatte ein Nervenzufall ihn ge¬
zwungen, in einer längeren Erholungsreise Kräftigung zu suchen. Die ernstesten
Klagen über seinen Gesundheitszustand verschwinden von dieser Zeit an nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/428>, abgerufen am 28.12.2024.