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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Hanser-Literatur zu geben, und ihm, wenn er dazu Neigung hat, die Kontrole
dieser kurzen Uebersicht an der Hand der Originale zu ermöglichen, haben wir
bisher die Hauptfrage unerörtert gelassen: welchen Werth hatte denn das ge¬
heime Memoire Anselm von Feuerbach's an die Königin Karoline von Baiern,
jenes Memoire, von dem nachgewiesen wurde, daß es zuerst im Gegensatze zu
den schwindelhafter Verleumdungen der vormärzlichen Flüchtlingsliteratur die
Autorität eines gefeierten Namens für sich anführte, und auf dessen Schultern
alle diejenigen standen, die seit 1852 bis in die jüngste Vergangenheit hinein
das Prinzenthnm Kaspar Hausers vertheidigten?

Mit der Beantwortung dieser Frage wird sich der Schluß dieser Abhandlung
zunächst zu beschäftigen, und dann weiter zu prüfen haben, in welchem
Maße die geschichtlichen Thatsachen, die neuesten Enthüllungen des badischen
Archivs und die Gothaer Akten, die ein so merkwürdiges Licht über den dunkeln
Ursprung Kaspar Hauser's verbreiten, die Fabel für immer vernichtet haben,
daß der Nürnberger Findling ein eskamotirter badischer Thronerbe gewesen sei.


H.B.


Vom deutschen Keichstage.

Nicht ganz so schlimm, wie vor einer Woche befürchtet wurde, hat sich
das in letzter Stunde über dein Reichstage aufgestiegene Gewitter entladen --
eine parlamentarische Katastrophe aber war in der Entscheidung über die
Vorlagen gegen die Socialdemokratie doch enthalten. Wenn eine Regierung
mit einer so bedeutungsschweren, einer nach ihrer Anschauung für das Wohl
des Landes so unerläßlichen Maßregel, einer so erdrückenden Majorität unter¬
liegt, so bezeichnet das unter allen Umständen einen durchaus ungesunden
Zustand in dem Verhältniß zwischen den gesetzgebenden Faktoren. Einerlei, ob
die Debatten vom 23. und 24. Mai unmittelbare Folgen haben werden oder
nicht, für den Gang der constitutionellen Entwickelung im Reiche können sie
nicht ohne Wirkung bleiben. In welcher Richtung diese Wirkung sich äußern
wird, dürfte vorzugsweise durch die Stellung entschieden werden, welche das
Land dem ablehnenden Votum der großen Mehrheit des Reichstages gegen¬
über einnimmt.

Welches Urtheil immer man sich selbst über die Regierungsvorlage gebildet
habe, man wird zugestehen müssen, daß die Vertheidigung derselben im Reichstage


Hanser-Literatur zu geben, und ihm, wenn er dazu Neigung hat, die Kontrole
dieser kurzen Uebersicht an der Hand der Originale zu ermöglichen, haben wir
bisher die Hauptfrage unerörtert gelassen: welchen Werth hatte denn das ge¬
heime Memoire Anselm von Feuerbach's an die Königin Karoline von Baiern,
jenes Memoire, von dem nachgewiesen wurde, daß es zuerst im Gegensatze zu
den schwindelhafter Verleumdungen der vormärzlichen Flüchtlingsliteratur die
Autorität eines gefeierten Namens für sich anführte, und auf dessen Schultern
alle diejenigen standen, die seit 1852 bis in die jüngste Vergangenheit hinein
das Prinzenthnm Kaspar Hausers vertheidigten?

Mit der Beantwortung dieser Frage wird sich der Schluß dieser Abhandlung
zunächst zu beschäftigen, und dann weiter zu prüfen haben, in welchem
Maße die geschichtlichen Thatsachen, die neuesten Enthüllungen des badischen
Archivs und die Gothaer Akten, die ein so merkwürdiges Licht über den dunkeln
Ursprung Kaspar Hauser's verbreiten, die Fabel für immer vernichtet haben,
daß der Nürnberger Findling ein eskamotirter badischer Thronerbe gewesen sei.


H.B.


Vom deutschen Keichstage.

Nicht ganz so schlimm, wie vor einer Woche befürchtet wurde, hat sich
das in letzter Stunde über dein Reichstage aufgestiegene Gewitter entladen —
eine parlamentarische Katastrophe aber war in der Entscheidung über die
Vorlagen gegen die Socialdemokratie doch enthalten. Wenn eine Regierung
mit einer so bedeutungsschweren, einer nach ihrer Anschauung für das Wohl
des Landes so unerläßlichen Maßregel, einer so erdrückenden Majorität unter¬
liegt, so bezeichnet das unter allen Umständen einen durchaus ungesunden
Zustand in dem Verhältniß zwischen den gesetzgebenden Faktoren. Einerlei, ob
die Debatten vom 23. und 24. Mai unmittelbare Folgen haben werden oder
nicht, für den Gang der constitutionellen Entwickelung im Reiche können sie
nicht ohne Wirkung bleiben. In welcher Richtung diese Wirkung sich äußern
wird, dürfte vorzugsweise durch die Stellung entschieden werden, welche das
Land dem ablehnenden Votum der großen Mehrheit des Reichstages gegen¬
über einnimmt.

Welches Urtheil immer man sich selbst über die Regierungsvorlage gebildet
habe, man wird zugestehen müssen, daß die Vertheidigung derselben im Reichstage


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[0395] Hanser-Literatur zu geben, und ihm, wenn er dazu Neigung hat, die Kontrole dieser kurzen Uebersicht an der Hand der Originale zu ermöglichen, haben wir bisher die Hauptfrage unerörtert gelassen: welchen Werth hatte denn das ge¬ heime Memoire Anselm von Feuerbach's an die Königin Karoline von Baiern, jenes Memoire, von dem nachgewiesen wurde, daß es zuerst im Gegensatze zu den schwindelhafter Verleumdungen der vormärzlichen Flüchtlingsliteratur die Autorität eines gefeierten Namens für sich anführte, und auf dessen Schultern alle diejenigen standen, die seit 1852 bis in die jüngste Vergangenheit hinein das Prinzenthnm Kaspar Hausers vertheidigten? Mit der Beantwortung dieser Frage wird sich der Schluß dieser Abhandlung zunächst zu beschäftigen, und dann weiter zu prüfen haben, in welchem Maße die geschichtlichen Thatsachen, die neuesten Enthüllungen des badischen Archivs und die Gothaer Akten, die ein so merkwürdiges Licht über den dunkeln Ursprung Kaspar Hauser's verbreiten, die Fabel für immer vernichtet haben, daß der Nürnberger Findling ein eskamotirter badischer Thronerbe gewesen sei. H.B. Vom deutschen Keichstage. Nicht ganz so schlimm, wie vor einer Woche befürchtet wurde, hat sich das in letzter Stunde über dein Reichstage aufgestiegene Gewitter entladen — eine parlamentarische Katastrophe aber war in der Entscheidung über die Vorlagen gegen die Socialdemokratie doch enthalten. Wenn eine Regierung mit einer so bedeutungsschweren, einer nach ihrer Anschauung für das Wohl des Landes so unerläßlichen Maßregel, einer so erdrückenden Majorität unter¬ liegt, so bezeichnet das unter allen Umständen einen durchaus ungesunden Zustand in dem Verhältniß zwischen den gesetzgebenden Faktoren. Einerlei, ob die Debatten vom 23. und 24. Mai unmittelbare Folgen haben werden oder nicht, für den Gang der constitutionellen Entwickelung im Reiche können sie nicht ohne Wirkung bleiben. In welcher Richtung diese Wirkung sich äußern wird, dürfte vorzugsweise durch die Stellung entschieden werden, welche das Land dem ablehnenden Votum der großen Mehrheit des Reichstages gegen¬ über einnimmt. Welches Urtheil immer man sich selbst über die Regierungsvorlage gebildet habe, man wird zugestehen müssen, daß die Vertheidigung derselben im Reichstage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/395>, abgerufen am 27.07.2024.