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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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der Verbrauchssteuern, deren unerläßliche Voraussetzung wiederum die Sicherung
verfassungsmäßiger Bürgschaften ist. Die Verwickelung dieser grundlegenden
Frage hat das Tabakssteuerproblem vorläufig mehr in den Hintergrund der
akademischen Diskussion gedrängt, zu seinem und unserem Glücke. So traurig
die herrschenden Wirren sind, so spenden sie uns doch insofern eine Art grön¬
ländischen Sonnenscheins, als sie alle wagehalsigen Experimente auf dem
Franz Mehring. Gebiete der Tabaksfrage in weite Ferne rücken.




pariser Studien,
ii.

Bis vor Kurzem ist die Meinung weit verbreitet gewesen, in Frankreich
sei die Trunksucht höchstens bei den alten Troupiers und alten Ouvriers zu
Hause. Namentlich waren die Franzosen selbst sehr besorgt, dieses günstige
internationale Vorurtheil zu nähren. Wo immer möglich wurden Deutsche,
Engländer, Schweizer, Russen in französischen Schriften als leidenschaftliche
Trunkenbolde verhöhnt. In französischen Possen und französischen Romanen
ist der Deutsche schon lange vor 1870 ein unverbesserlicher Trinker gewesen.
Eine Nation, die so frei über ein weit verbreitetes Laster urtheilen konnte,
mußte doch wahrlich über jeden Verdacht der Mitschuld erhaben sein.

Dieser ruhmrediger Splitterrichterei gegenüber fördert nun allerdings
Max Nord an") eigenthümliche Thatsachen zu Tage. Gleich das erste Kapitel
des zweiten Theils seines ersten Bandes ist dem "Alk ob olismus in Paris"
gewidmet. Da der Verfasser indessen in der Hauptsache auf den statistischen
Mittheilungen über den Alkoholkonsum in Frankreich fußt, welche der Inspektor
der französischen Gefängnisse und Irrenanstalten I)r. Lunier der ^ca>eineni"z as
Uüäsoinv in Paris über den Weingeistverbrauch in ganz Frankreich gemacht
hat, so wirft dieses Kapitel auch auf ganz Frankreich ein sehr bedenkliches
Licht in Hinsicht der bei den Franzosen üblichen Vertilgung geistiger Getränke.
Dr. Lunier hat, wie wir hier einschalten, bei seinen statistischen Tabellen über
den Alkoholverbrauch in Fraukreich etwa die letzten fünfzig Jahre in Betracht
gezogen, und nachgewiesen, wie sich quantitativ und qualitativ (betreffs der
einzelnen Hauptgeträuke) in dieser Zeit der Woholkonsnm auf den Kopf der
Bevölkerung vertheilt. Da stellt sich denn die wahrhaft erschreckende Thatsache



*) Ans dem wahren Milliardenlandc. Pariser Studien und Bilder, Leipzig,
Duncker und Humblot, 187S,

der Verbrauchssteuern, deren unerläßliche Voraussetzung wiederum die Sicherung
verfassungsmäßiger Bürgschaften ist. Die Verwickelung dieser grundlegenden
Frage hat das Tabakssteuerproblem vorläufig mehr in den Hintergrund der
akademischen Diskussion gedrängt, zu seinem und unserem Glücke. So traurig
die herrschenden Wirren sind, so spenden sie uns doch insofern eine Art grön¬
ländischen Sonnenscheins, als sie alle wagehalsigen Experimente auf dem
Franz Mehring. Gebiete der Tabaksfrage in weite Ferne rücken.




pariser Studien,
ii.

Bis vor Kurzem ist die Meinung weit verbreitet gewesen, in Frankreich
sei die Trunksucht höchstens bei den alten Troupiers und alten Ouvriers zu
Hause. Namentlich waren die Franzosen selbst sehr besorgt, dieses günstige
internationale Vorurtheil zu nähren. Wo immer möglich wurden Deutsche,
Engländer, Schweizer, Russen in französischen Schriften als leidenschaftliche
Trunkenbolde verhöhnt. In französischen Possen und französischen Romanen
ist der Deutsche schon lange vor 1870 ein unverbesserlicher Trinker gewesen.
Eine Nation, die so frei über ein weit verbreitetes Laster urtheilen konnte,
mußte doch wahrlich über jeden Verdacht der Mitschuld erhaben sein.

Dieser ruhmrediger Splitterrichterei gegenüber fördert nun allerdings
Max Nord an") eigenthümliche Thatsachen zu Tage. Gleich das erste Kapitel
des zweiten Theils seines ersten Bandes ist dem „Alk ob olismus in Paris"
gewidmet. Da der Verfasser indessen in der Hauptsache auf den statistischen
Mittheilungen über den Alkoholkonsum in Frankreich fußt, welche der Inspektor
der französischen Gefängnisse und Irrenanstalten I)r. Lunier der ^ca>eineni«z as
Uüäsoinv in Paris über den Weingeistverbrauch in ganz Frankreich gemacht
hat, so wirft dieses Kapitel auch auf ganz Frankreich ein sehr bedenkliches
Licht in Hinsicht der bei den Franzosen üblichen Vertilgung geistiger Getränke.
Dr. Lunier hat, wie wir hier einschalten, bei seinen statistischen Tabellen über
den Alkoholverbrauch in Fraukreich etwa die letzten fünfzig Jahre in Betracht
gezogen, und nachgewiesen, wie sich quantitativ und qualitativ (betreffs der
einzelnen Hauptgeträuke) in dieser Zeit der Woholkonsnm auf den Kopf der
Bevölkerung vertheilt. Da stellt sich denn die wahrhaft erschreckende Thatsache



*) Ans dem wahren Milliardenlandc. Pariser Studien und Bilder, Leipzig,
Duncker und Humblot, 187S,
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[0306] der Verbrauchssteuern, deren unerläßliche Voraussetzung wiederum die Sicherung verfassungsmäßiger Bürgschaften ist. Die Verwickelung dieser grundlegenden Frage hat das Tabakssteuerproblem vorläufig mehr in den Hintergrund der akademischen Diskussion gedrängt, zu seinem und unserem Glücke. So traurig die herrschenden Wirren sind, so spenden sie uns doch insofern eine Art grön¬ ländischen Sonnenscheins, als sie alle wagehalsigen Experimente auf dem Franz Mehring. Gebiete der Tabaksfrage in weite Ferne rücken. pariser Studien, ii. Bis vor Kurzem ist die Meinung weit verbreitet gewesen, in Frankreich sei die Trunksucht höchstens bei den alten Troupiers und alten Ouvriers zu Hause. Namentlich waren die Franzosen selbst sehr besorgt, dieses günstige internationale Vorurtheil zu nähren. Wo immer möglich wurden Deutsche, Engländer, Schweizer, Russen in französischen Schriften als leidenschaftliche Trunkenbolde verhöhnt. In französischen Possen und französischen Romanen ist der Deutsche schon lange vor 1870 ein unverbesserlicher Trinker gewesen. Eine Nation, die so frei über ein weit verbreitetes Laster urtheilen konnte, mußte doch wahrlich über jeden Verdacht der Mitschuld erhaben sein. Dieser ruhmrediger Splitterrichterei gegenüber fördert nun allerdings Max Nord an") eigenthümliche Thatsachen zu Tage. Gleich das erste Kapitel des zweiten Theils seines ersten Bandes ist dem „Alk ob olismus in Paris" gewidmet. Da der Verfasser indessen in der Hauptsache auf den statistischen Mittheilungen über den Alkoholkonsum in Frankreich fußt, welche der Inspektor der französischen Gefängnisse und Irrenanstalten I)r. Lunier der ^ca>eineni«z as Uüäsoinv in Paris über den Weingeistverbrauch in ganz Frankreich gemacht hat, so wirft dieses Kapitel auch auf ganz Frankreich ein sehr bedenkliches Licht in Hinsicht der bei den Franzosen üblichen Vertilgung geistiger Getränke. Dr. Lunier hat, wie wir hier einschalten, bei seinen statistischen Tabellen über den Alkoholverbrauch in Fraukreich etwa die letzten fünfzig Jahre in Betracht gezogen, und nachgewiesen, wie sich quantitativ und qualitativ (betreffs der einzelnen Hauptgeträuke) in dieser Zeit der Woholkonsnm auf den Kopf der Bevölkerung vertheilt. Da stellt sich denn die wahrhaft erschreckende Thatsache *) Ans dem wahren Milliardenlandc. Pariser Studien und Bilder, Leipzig, Duncker und Humblot, 187S,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/306>, abgerufen am 27.07.2024.