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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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zu, und er lacht, denn er kennt den guten Italiener des geistlichen Herrn.
Mein Freund befürchtete schon, ich reize den Höhenlandwirth dnrch solches
Wort zum Kulturkampf.

Und der Italiener in Bristen war so gut wie immer. "Sind wir denn
nicht verspätet?" fragte ich den Schiffskapitün in Flüelen, als wir drei Stunden
später, etwas hinter der Post dort ankamen. "Ja, das wär auch g'fehlt" meinte
er H. B. , "wenn wir im August nicht verspätet sein wollten".




Erinnerungen an das zweite Kaiserreich.

Fast jeder deutsche Journalist kann eine an seltsamen Lebensschicksalen
reiche Vergangenheit aufweisen. Da nach dem noch heute in der Hauptsache zu¬
treffenden Worte des Fürsten Bismarck der Jonrnalistenstand zum Rendezvous
Derjenigen dient, welche ihren eigentlichen Lebensberuf verfehlt haben, so ist
diese berechtigte Eigenthümlichkeit nicht zu verwundern. Mindestens einen beinahe
großartigen Schiffbruch früherer Lebensplane und -Hoffnungen weiß fast jeder
deutsche Journalist aus eigner Erfahrung zu erzählen. Kaum einer uuter
ihnen wird aber bei noch jungen Jahren eine bewegtere Vergangenheit besitzen,
"is der jetzige Chefredakteur des "Deutschen Montags-Blattes" in Berlin, Dr.
Arthur Levysohn -- obwohl er gerade von Hans aus Journalist ist
und nicht erst nach dem großen Krach eines anders geträumten Bernfswirkens
auf den Sessel des Journalisten verschlagen wurde. Dr. Arthur Levysohn
war bekanntlich viele Jahre lang der Hauptkorrespondent der Kölnischen Zeitung
in Paris, dem Paris des dritten Napoleon. Er hatte sich in dieser Thätig¬
keit das seinen fleißigen und tüchtigen Leistungen entsprechende Vermögen
erworben. Er war Pariser Villen-Besitzer geworden, hatte, soviel uns bekannt,
sogar eine der Töchter des Landes gefreit, und war, obwohl er nach wie vor
die Tagesgeschichte und die Tageshelden der Franzosen scharf beobachtete und
ohne jede Schönfärberei darstellte, doch auf dem besten Wege, dem Beispiele
Albert Wolff's und anderer tüchtiger französischer Journalisten zu folgen und
sich in Paris wirklich heimisch zu fühlen, sich zu frcmzösiren. --

Da kam der Juli 1870 und wie alle übrigen Deutschen wurde auch
Arthur Levysohn aus Paris ausgetrieben, seine Villa geplündert -- die biedern
Freischnaren hausten ja auch in den Villen ihrer eigenen Landsleute wie Vandalen,
warum also nicht im Hause des Prnssien? -- aber schon im Herbst 1870 zog es


Grenzboten Ul. 1877. 65

zu, und er lacht, denn er kennt den guten Italiener des geistlichen Herrn.
Mein Freund befürchtete schon, ich reize den Höhenlandwirth dnrch solches
Wort zum Kulturkampf.

Und der Italiener in Bristen war so gut wie immer. „Sind wir denn
nicht verspätet?" fragte ich den Schiffskapitün in Flüelen, als wir drei Stunden
später, etwas hinter der Post dort ankamen. „Ja, das wär auch g'fehlt" meinte
er H. B. , „wenn wir im August nicht verspätet sein wollten".




Erinnerungen an das zweite Kaiserreich.

Fast jeder deutsche Journalist kann eine an seltsamen Lebensschicksalen
reiche Vergangenheit aufweisen. Da nach dem noch heute in der Hauptsache zu¬
treffenden Worte des Fürsten Bismarck der Jonrnalistenstand zum Rendezvous
Derjenigen dient, welche ihren eigentlichen Lebensberuf verfehlt haben, so ist
diese berechtigte Eigenthümlichkeit nicht zu verwundern. Mindestens einen beinahe
großartigen Schiffbruch früherer Lebensplane und -Hoffnungen weiß fast jeder
deutsche Journalist aus eigner Erfahrung zu erzählen. Kaum einer uuter
ihnen wird aber bei noch jungen Jahren eine bewegtere Vergangenheit besitzen,
"is der jetzige Chefredakteur des „Deutschen Montags-Blattes" in Berlin, Dr.
Arthur Levysohn — obwohl er gerade von Hans aus Journalist ist
und nicht erst nach dem großen Krach eines anders geträumten Bernfswirkens
auf den Sessel des Journalisten verschlagen wurde. Dr. Arthur Levysohn
war bekanntlich viele Jahre lang der Hauptkorrespondent der Kölnischen Zeitung
in Paris, dem Paris des dritten Napoleon. Er hatte sich in dieser Thätig¬
keit das seinen fleißigen und tüchtigen Leistungen entsprechende Vermögen
erworben. Er war Pariser Villen-Besitzer geworden, hatte, soviel uns bekannt,
sogar eine der Töchter des Landes gefreit, und war, obwohl er nach wie vor
die Tagesgeschichte und die Tageshelden der Franzosen scharf beobachtete und
ohne jede Schönfärberei darstellte, doch auf dem besten Wege, dem Beispiele
Albert Wolff's und anderer tüchtiger französischer Journalisten zu folgen und
sich in Paris wirklich heimisch zu fühlen, sich zu frcmzösiren. —

Da kam der Juli 1870 und wie alle übrigen Deutschen wurde auch
Arthur Levysohn aus Paris ausgetrieben, seine Villa geplündert — die biedern
Freischnaren hausten ja auch in den Villen ihrer eigenen Landsleute wie Vandalen,
warum also nicht im Hause des Prnssien? — aber schon im Herbst 1870 zog es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/521>, abgerufen am 28.09.2024.