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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Mtand'sche Aassadenstoffe.
i.

Neben den Schiller'scheu und einem Theile der Goethe'schen Balladen sind
wohl keine Erzeugnisse dieser Dichtnngsgattuug so sehr Gemeingut unsres
Volkes geworden, wie die Balladen Uhland's; ja, sie haben neuerdings,
wie jeder bestätigen wird, dessen Schulzeit noch nicht allzuweit zurückliegt, eine
Popularität erlangt, welche der der Schiller'schen Balladen mindestens gleich¬
kommt, vielleicht sie sogar übertrifft. Welchem halbwegs gebildeten wären
nicht heutzutage Gedichte wie "Der blinde König" oder "Der Schenk von
Limburg" oder "Des Säugers Fluch" ebenso sehr in Fleisch und Blut über¬
gegangen, wie Schiller's "Handschuh" oder "Taucher" oder "Gaug nach dem
Eisenhammer" ? Namentlich in den mittleren Klassen unserer höheren Bildungs-
anstalten erfreuen sich gegenwärtig die Uhland'schen Balladen einer entschiedenen
Bevorzugung; sie sind die Lieblinge der Jugend geworden.

Während aber sür das richtige Verständniß der Schiller'schen und Goethe'¬
schen Gedichte mannigfache Hilfsmittel zu Gebote stehen -- man denke nament¬
lich an die Kommentare von Viehoff und von Düntzer, in denen sämmtliche
Gedichte Schiller's und Goethe's erläutert werden, und für die Balladen beider
speciell an das Büchlein von Saupe, "Goethe's und Schiller's Balladen und
Romanzen" (F. Fleischer, 1853) -- fehlt es für die Erklärung von Uhland's
Gedichten -- abgesehen etwa von dem, was in Sammelwerken, wie Götzinger's
"Deutschen Dichtern" dafür gethan ist -- noch immer an einem entsprechenden
Hilfsmittel. Und doch bedürfen nächst den Goethe'schen Balladen vielleicht keine
so dringend eines Kommentars als gerade diejenigen Uhland's.

Man hört zwar oft sagen: "Wozu braucht es überhaupt für solche Ge¬
dichte umständliche Erläuterungen? Austatt daß das Verständniß dadurch ge¬
fördert würde, wird einem vielmehr die Freude und der Geschmack daran gründ¬
lich verdorben. Jedes echte Kunstwerk und folglich auch jede echte Dichtung


Grenzboten III. 1377. 3ö
Mtand'sche Aassadenstoffe.
i.

Neben den Schiller'scheu und einem Theile der Goethe'schen Balladen sind
wohl keine Erzeugnisse dieser Dichtnngsgattuug so sehr Gemeingut unsres
Volkes geworden, wie die Balladen Uhland's; ja, sie haben neuerdings,
wie jeder bestätigen wird, dessen Schulzeit noch nicht allzuweit zurückliegt, eine
Popularität erlangt, welche der der Schiller'schen Balladen mindestens gleich¬
kommt, vielleicht sie sogar übertrifft. Welchem halbwegs gebildeten wären
nicht heutzutage Gedichte wie „Der blinde König" oder „Der Schenk von
Limburg" oder „Des Säugers Fluch" ebenso sehr in Fleisch und Blut über¬
gegangen, wie Schiller's „Handschuh" oder „Taucher" oder „Gaug nach dem
Eisenhammer" ? Namentlich in den mittleren Klassen unserer höheren Bildungs-
anstalten erfreuen sich gegenwärtig die Uhland'schen Balladen einer entschiedenen
Bevorzugung; sie sind die Lieblinge der Jugend geworden.

Während aber sür das richtige Verständniß der Schiller'schen und Goethe'¬
schen Gedichte mannigfache Hilfsmittel zu Gebote stehen — man denke nament¬
lich an die Kommentare von Viehoff und von Düntzer, in denen sämmtliche
Gedichte Schiller's und Goethe's erläutert werden, und für die Balladen beider
speciell an das Büchlein von Saupe, „Goethe's und Schiller's Balladen und
Romanzen" (F. Fleischer, 1853) — fehlt es für die Erklärung von Uhland's
Gedichten — abgesehen etwa von dem, was in Sammelwerken, wie Götzinger's
„Deutschen Dichtern" dafür gethan ist — noch immer an einem entsprechenden
Hilfsmittel. Und doch bedürfen nächst den Goethe'schen Balladen vielleicht keine
so dringend eines Kommentars als gerade diejenigen Uhland's.

Man hört zwar oft sagen: „Wozu braucht es überhaupt für solche Ge¬
dichte umständliche Erläuterungen? Austatt daß das Verständniß dadurch ge¬
fördert würde, wird einem vielmehr die Freude und der Geschmack daran gründ¬
lich verdorben. Jedes echte Kunstwerk und folglich auch jede echte Dichtung


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[0289] Mtand'sche Aassadenstoffe. i. Neben den Schiller'scheu und einem Theile der Goethe'schen Balladen sind wohl keine Erzeugnisse dieser Dichtnngsgattuug so sehr Gemeingut unsres Volkes geworden, wie die Balladen Uhland's; ja, sie haben neuerdings, wie jeder bestätigen wird, dessen Schulzeit noch nicht allzuweit zurückliegt, eine Popularität erlangt, welche der der Schiller'schen Balladen mindestens gleich¬ kommt, vielleicht sie sogar übertrifft. Welchem halbwegs gebildeten wären nicht heutzutage Gedichte wie „Der blinde König" oder „Der Schenk von Limburg" oder „Des Säugers Fluch" ebenso sehr in Fleisch und Blut über¬ gegangen, wie Schiller's „Handschuh" oder „Taucher" oder „Gaug nach dem Eisenhammer" ? Namentlich in den mittleren Klassen unserer höheren Bildungs- anstalten erfreuen sich gegenwärtig die Uhland'schen Balladen einer entschiedenen Bevorzugung; sie sind die Lieblinge der Jugend geworden. Während aber sür das richtige Verständniß der Schiller'schen und Goethe'¬ schen Gedichte mannigfache Hilfsmittel zu Gebote stehen — man denke nament¬ lich an die Kommentare von Viehoff und von Düntzer, in denen sämmtliche Gedichte Schiller's und Goethe's erläutert werden, und für die Balladen beider speciell an das Büchlein von Saupe, „Goethe's und Schiller's Balladen und Romanzen" (F. Fleischer, 1853) — fehlt es für die Erklärung von Uhland's Gedichten — abgesehen etwa von dem, was in Sammelwerken, wie Götzinger's „Deutschen Dichtern" dafür gethan ist — noch immer an einem entsprechenden Hilfsmittel. Und doch bedürfen nächst den Goethe'schen Balladen vielleicht keine so dringend eines Kommentars als gerade diejenigen Uhland's. Man hört zwar oft sagen: „Wozu braucht es überhaupt für solche Ge¬ dichte umständliche Erläuterungen? Austatt daß das Verständniß dadurch ge¬ fördert würde, wird einem vielmehr die Freude und der Geschmack daran gründ¬ lich verdorben. Jedes echte Kunstwerk und folglich auch jede echte Dichtung Grenzboten III. 1377. 3ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/289>, abgerufen am 28.09.2024.