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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Denker zum Bösen. Spinoza weist dasselbe von: metaphysischen Standpunkte
ans ab, um es auf ethischem Boden später doch zu dulden, da er nicht anders
kauu. Für Lessing dagegen ist es unzertrennlich mit der menschlichen Unvoll-
kommenheit verbunden und stammt insofern auch von Gott her, als die Ge¬
schöpfe mit Einschluß des Menschen eben in unvollkommnen Zustande er¬
schaffen werden. Es soll aber durch die moralische Entwickelung überwunden
werden, und es ist überwunden, sobald das Ziel der Entwickelung, wenn auch
erst im späteren Leben, erreicht ist.

Weniger bedeutende Vergleichspunkte übergehen wir. Alle zeigen, daß die
Ergebnisse Spinoza's und Lessing's allerdings uicht dieselbe" sind, doch darf
man sich die Verschiedenheit anch nicht zu groß vorstellen. "Denn," so schließt
der Verfasser unsrer Schrift, "daneben herrscht eine augenscheinliche Verwandt¬
schaft, indem die Ansätze metaphysischer Spekulation bei Lessing sich mit denen
bei Spinoza berühren, und andrerseits dasjenige, was wir bei Spinoza von
Berücksichtigung der realen moralischen Welt finden, sich der Anschauung
Lessing's nähert. Lessing kann daher mit vollem Rechte, im Bewußtsein seiner
eignen Beobachtung und selbständigen Forschung sagen: Wenn ich mich nach
jemand nennen soll, so weiß ich keinen Andern als Spinoza. Aber eben diese
Selbständigkeit, welche sein Bild zu dem Bilde eines Mannes in des Wortes
vollster Bedeutung macht, berechtigt ihn zu sagen: Mein Credo steht in
keinem Buche."


Goethe's Leben von I. W. Schaefer. Zwei Bände. Dritte Auflage. Leipzig,
Friedrich Bremdstetter, 1877.

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, nach kritischer Prüfung der
Berichte von Seiten der Zeitgenossen Goethe's uns dessen Lebensgang und
dessen geistige Entwickelung, sein Verhältniß zu dem Zeitalter, in dem er sich
herausbildete, die Einflüsse, die auf ihn wirkten und andererseits seine Einwirkung
auf unsere nationale Bildung darzustellen, und zwar hat er bei alledem vor¬
zugsweise den Dichter und nur nebenher den Naturforscher, den Kunstfreund,
und den weimarischen Beamten im Ange. Die Werke des Dichters werden
nnr insoweit besprochen, als ihre Entstehung aus seinen Verhältnissen und
Erlebnissen, sowie ihre Aufnahme von Seiten der Nation und ihre Einwirkung
auf die Zeit nachgewiesen wird. Ihren ästhetischen Werth eingehend zu beurtheilen,
die von: Dichter geschaffnen Gestalten zu charakterisiren, liegt nicht im Plane
des Verfassers. In dieser Beschränkung, die auch alles massenhafte Detail und
alle Polemik vermied, hat der Verfasser auch in dieser Auflage, welche die seit
Erscheinen der früheren herausgekommenen Schriften über Goethe sorgfältig
geprüft und, soweit sie es werth, benutzt hat, ein Buch geliefert, welches als


Denker zum Bösen. Spinoza weist dasselbe von: metaphysischen Standpunkte
ans ab, um es auf ethischem Boden später doch zu dulden, da er nicht anders
kauu. Für Lessing dagegen ist es unzertrennlich mit der menschlichen Unvoll-
kommenheit verbunden und stammt insofern auch von Gott her, als die Ge¬
schöpfe mit Einschluß des Menschen eben in unvollkommnen Zustande er¬
schaffen werden. Es soll aber durch die moralische Entwickelung überwunden
werden, und es ist überwunden, sobald das Ziel der Entwickelung, wenn auch
erst im späteren Leben, erreicht ist.

Weniger bedeutende Vergleichspunkte übergehen wir. Alle zeigen, daß die
Ergebnisse Spinoza's und Lessing's allerdings uicht dieselbe» sind, doch darf
man sich die Verschiedenheit anch nicht zu groß vorstellen. „Denn," so schließt
der Verfasser unsrer Schrift, „daneben herrscht eine augenscheinliche Verwandt¬
schaft, indem die Ansätze metaphysischer Spekulation bei Lessing sich mit denen
bei Spinoza berühren, und andrerseits dasjenige, was wir bei Spinoza von
Berücksichtigung der realen moralischen Welt finden, sich der Anschauung
Lessing's nähert. Lessing kann daher mit vollem Rechte, im Bewußtsein seiner
eignen Beobachtung und selbständigen Forschung sagen: Wenn ich mich nach
jemand nennen soll, so weiß ich keinen Andern als Spinoza. Aber eben diese
Selbständigkeit, welche sein Bild zu dem Bilde eines Mannes in des Wortes
vollster Bedeutung macht, berechtigt ihn zu sagen: Mein Credo steht in
keinem Buche."


Goethe's Leben von I. W. Schaefer. Zwei Bände. Dritte Auflage. Leipzig,
Friedrich Bremdstetter, 1877.

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, nach kritischer Prüfung der
Berichte von Seiten der Zeitgenossen Goethe's uns dessen Lebensgang und
dessen geistige Entwickelung, sein Verhältniß zu dem Zeitalter, in dem er sich
herausbildete, die Einflüsse, die auf ihn wirkten und andererseits seine Einwirkung
auf unsere nationale Bildung darzustellen, und zwar hat er bei alledem vor¬
zugsweise den Dichter und nur nebenher den Naturforscher, den Kunstfreund,
und den weimarischen Beamten im Ange. Die Werke des Dichters werden
nnr insoweit besprochen, als ihre Entstehung aus seinen Verhältnissen und
Erlebnissen, sowie ihre Aufnahme von Seiten der Nation und ihre Einwirkung
auf die Zeit nachgewiesen wird. Ihren ästhetischen Werth eingehend zu beurtheilen,
die von: Dichter geschaffnen Gestalten zu charakterisiren, liegt nicht im Plane
des Verfassers. In dieser Beschränkung, die auch alles massenhafte Detail und
alle Polemik vermied, hat der Verfasser auch in dieser Auflage, welche die seit
Erscheinen der früheren herausgekommenen Schriften über Goethe sorgfältig
geprüft und, soweit sie es werth, benutzt hat, ein Buch geliefert, welches als


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[0127] Denker zum Bösen. Spinoza weist dasselbe von: metaphysischen Standpunkte ans ab, um es auf ethischem Boden später doch zu dulden, da er nicht anders kauu. Für Lessing dagegen ist es unzertrennlich mit der menschlichen Unvoll- kommenheit verbunden und stammt insofern auch von Gott her, als die Ge¬ schöpfe mit Einschluß des Menschen eben in unvollkommnen Zustande er¬ schaffen werden. Es soll aber durch die moralische Entwickelung überwunden werden, und es ist überwunden, sobald das Ziel der Entwickelung, wenn auch erst im späteren Leben, erreicht ist. Weniger bedeutende Vergleichspunkte übergehen wir. Alle zeigen, daß die Ergebnisse Spinoza's und Lessing's allerdings uicht dieselbe» sind, doch darf man sich die Verschiedenheit anch nicht zu groß vorstellen. „Denn," so schließt der Verfasser unsrer Schrift, „daneben herrscht eine augenscheinliche Verwandt¬ schaft, indem die Ansätze metaphysischer Spekulation bei Lessing sich mit denen bei Spinoza berühren, und andrerseits dasjenige, was wir bei Spinoza von Berücksichtigung der realen moralischen Welt finden, sich der Anschauung Lessing's nähert. Lessing kann daher mit vollem Rechte, im Bewußtsein seiner eignen Beobachtung und selbständigen Forschung sagen: Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen Andern als Spinoza. Aber eben diese Selbständigkeit, welche sein Bild zu dem Bilde eines Mannes in des Wortes vollster Bedeutung macht, berechtigt ihn zu sagen: Mein Credo steht in keinem Buche." Goethe's Leben von I. W. Schaefer. Zwei Bände. Dritte Auflage. Leipzig, Friedrich Bremdstetter, 1877. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, nach kritischer Prüfung der Berichte von Seiten der Zeitgenossen Goethe's uns dessen Lebensgang und dessen geistige Entwickelung, sein Verhältniß zu dem Zeitalter, in dem er sich herausbildete, die Einflüsse, die auf ihn wirkten und andererseits seine Einwirkung auf unsere nationale Bildung darzustellen, und zwar hat er bei alledem vor¬ zugsweise den Dichter und nur nebenher den Naturforscher, den Kunstfreund, und den weimarischen Beamten im Ange. Die Werke des Dichters werden nnr insoweit besprochen, als ihre Entstehung aus seinen Verhältnissen und Erlebnissen, sowie ihre Aufnahme von Seiten der Nation und ihre Einwirkung auf die Zeit nachgewiesen wird. Ihren ästhetischen Werth eingehend zu beurtheilen, die von: Dichter geschaffnen Gestalten zu charakterisiren, liegt nicht im Plane des Verfassers. In dieser Beschränkung, die auch alles massenhafte Detail und alle Polemik vermied, hat der Verfasser auch in dieser Auflage, welche die seit Erscheinen der früheren herausgekommenen Schriften über Goethe sorgfältig geprüft und, soweit sie es werth, benutzt hat, ein Buch geliefert, welches als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/127>, abgerufen am 28.09.2024.