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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Weihnachtsbücherschau.

Unter den ernsten Werken, die zum Tage des Festes als Geschenke für
Tage des Lernens und Studiums 'empfehlenswert!) sind, erwähnen wir in
erster Linie W. Zimmermann's Jllustrirte Geschichte des deutschen
Volkes, Stuttgart, Verlag vou Gustav Weise. Dieses Werk ist mit dem in
diesem Jahre beendigten dritten Bande zum Abschluß gekommen, und denne
abgeschlossen ein Unternehmen jahrzehntelangen redlichen deutschen Forscher¬
fleißes, echt wissenschaftlicher Arbeit. Neben der Reife seines Urtheils und der
Höhe seines Standpunktes, dürste der Hauptvorzug dieses Buches darin be¬
stehen, daß es jedem gebildeten Deutschen verständlich ist, ja Jeden anzieht.
Gewiß hat die schöne patriotische Begeisterung, die aus der Darstellung des
Verfassers spricht, nicht geringen Antheil an dem lebhast anregenden Eindruck
dieses Werkes. Aber was Zimmermanns deutsche Geschichte vor allen ähnlichen
Werken auszeichnet und zum Kunstwerk macht, ist eben die Verbindung wissen¬
schaftlicher Forschung mit populärer Darstellung. Auch die Illustrationen von
F- Hottenroth sind tüchtige Leistungen. Sie zeigen, daß sich der Verfasser
überall, wo dies anging, streng an die von der Geschichte gegebenen Formen,
(Kostüme, Landschaft, Architektur, Portraits u. s. w.) hielt, nicht willkührlich
seiner Phantasie folgte. Wenn wir eins zu tadeln haben, so ist es die skizzen¬
hafte Behandlung unsrer Zeit, der ganzen Epoche seit 1815. Daß diese nicht
etwa in unverhältnißmäßiger Breite gegen frühere Jahrhunderte hätte darge¬
stellt werden follen, ist selbstverständlich. Aber sie ist statt dessen unnatürlich
verkürzt. Die Epoche von 18l5 bis 1871 - das Werk schließt naturgemäß
wie der Gründung des deutschen Reiches -- umfaßt nur sechzig Seiten, die
em Jcchrzent kürzere Regierungszeit Karls des Großen dagegen allein sieben-
undsechszig Seiten. Das Frankfurter Parlament ist ans etwa vier Seiten
abgethan. Schwer wiegt der Fehler nicht, da Jeder in der Lage ist, sich über
unsere Tage aus zahlreichen andern Büchern, die Jedem zur Hand sind, zu
unterrichten, nicht so leicht dagegen über jene entlegenen Jahrhunderte, in denen
Zimmermann so gut zu Hause ist, wie in der Gegenwart.

Eine gleich interessante kulturhistorische Schrift, die nun schon in dritter,
berichtigter und vermehrter Auflage vorliegt, bietet der Verlag von Veit und
Comp. in Leipzig in den "Kulturbildern ans Hellas und Rom" von
Hermann Gott (zwei Bünde). Die fesselnde und klare Schreibweise des
Verfassers darf als bekannt gelten -- jedenfalls den Lesern der Grenzboten,
da Hermann Göll wiederholt Beiträge in d. Bl. geliefert hat. Er ist einer
der wenigen deutschen Philologen, welche die Erbschaft Otto Jcchu's, das große


Weihnachtsbücherschau.

Unter den ernsten Werken, die zum Tage des Festes als Geschenke für
Tage des Lernens und Studiums 'empfehlenswert!) sind, erwähnen wir in
erster Linie W. Zimmermann's Jllustrirte Geschichte des deutschen
Volkes, Stuttgart, Verlag vou Gustav Weise. Dieses Werk ist mit dem in
diesem Jahre beendigten dritten Bande zum Abschluß gekommen, und denne
abgeschlossen ein Unternehmen jahrzehntelangen redlichen deutschen Forscher¬
fleißes, echt wissenschaftlicher Arbeit. Neben der Reife seines Urtheils und der
Höhe seines Standpunktes, dürste der Hauptvorzug dieses Buches darin be¬
stehen, daß es jedem gebildeten Deutschen verständlich ist, ja Jeden anzieht.
Gewiß hat die schöne patriotische Begeisterung, die aus der Darstellung des
Verfassers spricht, nicht geringen Antheil an dem lebhast anregenden Eindruck
dieses Werkes. Aber was Zimmermanns deutsche Geschichte vor allen ähnlichen
Werken auszeichnet und zum Kunstwerk macht, ist eben die Verbindung wissen¬
schaftlicher Forschung mit populärer Darstellung. Auch die Illustrationen von
F- Hottenroth sind tüchtige Leistungen. Sie zeigen, daß sich der Verfasser
überall, wo dies anging, streng an die von der Geschichte gegebenen Formen,
(Kostüme, Landschaft, Architektur, Portraits u. s. w.) hielt, nicht willkührlich
seiner Phantasie folgte. Wenn wir eins zu tadeln haben, so ist es die skizzen¬
hafte Behandlung unsrer Zeit, der ganzen Epoche seit 1815. Daß diese nicht
etwa in unverhältnißmäßiger Breite gegen frühere Jahrhunderte hätte darge¬
stellt werden follen, ist selbstverständlich. Aber sie ist statt dessen unnatürlich
verkürzt. Die Epoche von 18l5 bis 1871 - das Werk schließt naturgemäß
wie der Gründung des deutschen Reiches — umfaßt nur sechzig Seiten, die
em Jcchrzent kürzere Regierungszeit Karls des Großen dagegen allein sieben-
undsechszig Seiten. Das Frankfurter Parlament ist ans etwa vier Seiten
abgethan. Schwer wiegt der Fehler nicht, da Jeder in der Lage ist, sich über
unsere Tage aus zahlreichen andern Büchern, die Jedem zur Hand sind, zu
unterrichten, nicht so leicht dagegen über jene entlegenen Jahrhunderte, in denen
Zimmermann so gut zu Hause ist, wie in der Gegenwart.

Eine gleich interessante kulturhistorische Schrift, die nun schon in dritter,
berichtigter und vermehrter Auflage vorliegt, bietet der Verlag von Veit und
Comp. in Leipzig in den „Kulturbildern ans Hellas und Rom" von
Hermann Gott (zwei Bünde). Die fesselnde und klare Schreibweise des
Verfassers darf als bekannt gelten — jedenfalls den Lesern der Grenzboten,
da Hermann Göll wiederholt Beiträge in d. Bl. geliefert hat. Er ist einer
der wenigen deutschen Philologen, welche die Erbschaft Otto Jcchu's, das große


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[0441] Weihnachtsbücherschau. Unter den ernsten Werken, die zum Tage des Festes als Geschenke für Tage des Lernens und Studiums 'empfehlenswert!) sind, erwähnen wir in erster Linie W. Zimmermann's Jllustrirte Geschichte des deutschen Volkes, Stuttgart, Verlag vou Gustav Weise. Dieses Werk ist mit dem in diesem Jahre beendigten dritten Bande zum Abschluß gekommen, und denne abgeschlossen ein Unternehmen jahrzehntelangen redlichen deutschen Forscher¬ fleißes, echt wissenschaftlicher Arbeit. Neben der Reife seines Urtheils und der Höhe seines Standpunktes, dürste der Hauptvorzug dieses Buches darin be¬ stehen, daß es jedem gebildeten Deutschen verständlich ist, ja Jeden anzieht. Gewiß hat die schöne patriotische Begeisterung, die aus der Darstellung des Verfassers spricht, nicht geringen Antheil an dem lebhast anregenden Eindruck dieses Werkes. Aber was Zimmermanns deutsche Geschichte vor allen ähnlichen Werken auszeichnet und zum Kunstwerk macht, ist eben die Verbindung wissen¬ schaftlicher Forschung mit populärer Darstellung. Auch die Illustrationen von F- Hottenroth sind tüchtige Leistungen. Sie zeigen, daß sich der Verfasser überall, wo dies anging, streng an die von der Geschichte gegebenen Formen, (Kostüme, Landschaft, Architektur, Portraits u. s. w.) hielt, nicht willkührlich seiner Phantasie folgte. Wenn wir eins zu tadeln haben, so ist es die skizzen¬ hafte Behandlung unsrer Zeit, der ganzen Epoche seit 1815. Daß diese nicht etwa in unverhältnißmäßiger Breite gegen frühere Jahrhunderte hätte darge¬ stellt werden follen, ist selbstverständlich. Aber sie ist statt dessen unnatürlich verkürzt. Die Epoche von 18l5 bis 1871 - das Werk schließt naturgemäß wie der Gründung des deutschen Reiches — umfaßt nur sechzig Seiten, die em Jcchrzent kürzere Regierungszeit Karls des Großen dagegen allein sieben- undsechszig Seiten. Das Frankfurter Parlament ist ans etwa vier Seiten abgethan. Schwer wiegt der Fehler nicht, da Jeder in der Lage ist, sich über unsere Tage aus zahlreichen andern Büchern, die Jedem zur Hand sind, zu unterrichten, nicht so leicht dagegen über jene entlegenen Jahrhunderte, in denen Zimmermann so gut zu Hause ist, wie in der Gegenwart. Eine gleich interessante kulturhistorische Schrift, die nun schon in dritter, berichtigter und vermehrter Auflage vorliegt, bietet der Verlag von Veit und Comp. in Leipzig in den „Kulturbildern ans Hellas und Rom" von Hermann Gott (zwei Bünde). Die fesselnde und klare Schreibweise des Verfassers darf als bekannt gelten — jedenfalls den Lesern der Grenzboten, da Hermann Göll wiederholt Beiträge in d. Bl. geliefert hat. Er ist einer der wenigen deutschen Philologen, welche die Erbschaft Otto Jcchu's, das große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/441>, abgerufen am 22.07.2024.