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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Aus der Innenwelt.

Einer der berühmtesten Bergsteiger der Schweiz, der Jnnerrhvder I. I.
Weilen manu hat bei A. G. Liebeskind in Leipzig vor kurzem den dritten
Band seiner gesammelten Schriften herausgegeben unter dem Titel "Aus der
Firuenwelt." Da Weilenmann auf seinen Touren das Auge stets offen hat
für eine Reihe der wichtigsten Beobachtungen, so ist die Schilderung seiner
Bergfahrten einem großen Leserkreise willkommen und interessant. Die ver¬
dienstvollen Arbeiten, welche die Dufour'sche Karte der Schweiz ermöglichten,
welche die Blätter der österreichischen Generalstabskarte vom Tiroler Hochge¬
birge vorbereiteten, erfahren durch ihn in vielen Punkten eine entscheidende Be¬
richtigung oder Ergänzung. Kein Kritiker, der nicht noch mehr gewagt und
gesehen, als die Vermesser und Zeichner, die jene Karten schufen, könnte diese
bedeutenden Werke so klar in ihren Vorzügen und Mängeln beurtheilen.
Weilenmann hat das volle Recht dazu, dieser Kritiker zu sein: kaum Einer hat
es in gleichem Maße, wie er. Von den eisumstarrten Höhen des Oetzthales
an, vorüber an den Schneezinnen, die um die Wiege des Hinterrheiues sich
aufthürmen, bis zu den Firnen der Berner Alpen und den grausigen Fels¬
obelisken des Matterhornes, der Schneepyramide des Weißdorns, hat er fast
alle namhaften Gipfel bestiegen, viele von ihnen ganz allein, ohne Führer,
namentlich in jüngeren Tagen.

Aber die genaue Erforschung der Formation des Hochgebirges bis in
seine einzelsten Theile, die allezeit mit polizeilicher Gewissenhaftigkeit fortgesetzte
Beobachtung jedes Felsenhangs, jeder Schnee- oder Eiskante, jedes Gletscher¬
stromes in seiner Länge, Breite und Tiefe, erschöpft keineswegs das Verdienst
seiner Wahrnehmungen. Weilenmann berichtet uns mit derselben Genauigkeit
über jedes Moos, jede Flechte, jede Spinne, Mücke oder Raupe, mit beson¬
derer Begeisterung über jede Maus, jedes Wiesel, jeden Schmetterling und
Specht, den er in höheren Regionen antrifft, als die Buchführung der Natur¬
forscher bisher das Vorkommen dieser Pflanzen oder Thiere eintrug. Diese
Beobachtungen sind niemals im Tone der Pedanterie vorgetragen. Sie bieten
die Staffage für das landschaftliche Bild und unterbrechen wohlthätig das Einerlei
des Gemäldes, das uns immer wieder dieses einzige menschliche Wesen zeigt
auf himmelhohen Firn, viele tausend Fuß über jeder menschlichen Wohnstütte,
ringsumstarrt von ewigem Schnee und Eis, den Blick seubert über unerme߬
liche Fernen. Nicht selteu hat die Ausbeute, die Weilenmann aus diesen welt¬
fernen Höhen zu Thal brachte, das Staunen der Naturforscher erregt. Wie


Grenzboten IV. 1877. !)9
Aus der Innenwelt.

Einer der berühmtesten Bergsteiger der Schweiz, der Jnnerrhvder I. I.
Weilen manu hat bei A. G. Liebeskind in Leipzig vor kurzem den dritten
Band seiner gesammelten Schriften herausgegeben unter dem Titel „Aus der
Firuenwelt." Da Weilenmann auf seinen Touren das Auge stets offen hat
für eine Reihe der wichtigsten Beobachtungen, so ist die Schilderung seiner
Bergfahrten einem großen Leserkreise willkommen und interessant. Die ver¬
dienstvollen Arbeiten, welche die Dufour'sche Karte der Schweiz ermöglichten,
welche die Blätter der österreichischen Generalstabskarte vom Tiroler Hochge¬
birge vorbereiteten, erfahren durch ihn in vielen Punkten eine entscheidende Be¬
richtigung oder Ergänzung. Kein Kritiker, der nicht noch mehr gewagt und
gesehen, als die Vermesser und Zeichner, die jene Karten schufen, könnte diese
bedeutenden Werke so klar in ihren Vorzügen und Mängeln beurtheilen.
Weilenmann hat das volle Recht dazu, dieser Kritiker zu sein: kaum Einer hat
es in gleichem Maße, wie er. Von den eisumstarrten Höhen des Oetzthales
an, vorüber an den Schneezinnen, die um die Wiege des Hinterrheiues sich
aufthürmen, bis zu den Firnen der Berner Alpen und den grausigen Fels¬
obelisken des Matterhornes, der Schneepyramide des Weißdorns, hat er fast
alle namhaften Gipfel bestiegen, viele von ihnen ganz allein, ohne Führer,
namentlich in jüngeren Tagen.

Aber die genaue Erforschung der Formation des Hochgebirges bis in
seine einzelsten Theile, die allezeit mit polizeilicher Gewissenhaftigkeit fortgesetzte
Beobachtung jedes Felsenhangs, jeder Schnee- oder Eiskante, jedes Gletscher¬
stromes in seiner Länge, Breite und Tiefe, erschöpft keineswegs das Verdienst
seiner Wahrnehmungen. Weilenmann berichtet uns mit derselben Genauigkeit
über jedes Moos, jede Flechte, jede Spinne, Mücke oder Raupe, mit beson¬
derer Begeisterung über jede Maus, jedes Wiesel, jeden Schmetterling und
Specht, den er in höheren Regionen antrifft, als die Buchführung der Natur¬
forscher bisher das Vorkommen dieser Pflanzen oder Thiere eintrug. Diese
Beobachtungen sind niemals im Tone der Pedanterie vorgetragen. Sie bieten
die Staffage für das landschaftliche Bild und unterbrechen wohlthätig das Einerlei
des Gemäldes, das uns immer wieder dieses einzige menschliche Wesen zeigt
auf himmelhohen Firn, viele tausend Fuß über jeder menschlichen Wohnstütte,
ringsumstarrt von ewigem Schnee und Eis, den Blick seubert über unerme߬
liche Fernen. Nicht selteu hat die Ausbeute, die Weilenmann aus diesen welt¬
fernen Höhen zu Thal brachte, das Staunen der Naturforscher erregt. Wie


Grenzboten IV. 1877. !)9
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[0309] Aus der Innenwelt. Einer der berühmtesten Bergsteiger der Schweiz, der Jnnerrhvder I. I. Weilen manu hat bei A. G. Liebeskind in Leipzig vor kurzem den dritten Band seiner gesammelten Schriften herausgegeben unter dem Titel „Aus der Firuenwelt." Da Weilenmann auf seinen Touren das Auge stets offen hat für eine Reihe der wichtigsten Beobachtungen, so ist die Schilderung seiner Bergfahrten einem großen Leserkreise willkommen und interessant. Die ver¬ dienstvollen Arbeiten, welche die Dufour'sche Karte der Schweiz ermöglichten, welche die Blätter der österreichischen Generalstabskarte vom Tiroler Hochge¬ birge vorbereiteten, erfahren durch ihn in vielen Punkten eine entscheidende Be¬ richtigung oder Ergänzung. Kein Kritiker, der nicht noch mehr gewagt und gesehen, als die Vermesser und Zeichner, die jene Karten schufen, könnte diese bedeutenden Werke so klar in ihren Vorzügen und Mängeln beurtheilen. Weilenmann hat das volle Recht dazu, dieser Kritiker zu sein: kaum Einer hat es in gleichem Maße, wie er. Von den eisumstarrten Höhen des Oetzthales an, vorüber an den Schneezinnen, die um die Wiege des Hinterrheiues sich aufthürmen, bis zu den Firnen der Berner Alpen und den grausigen Fels¬ obelisken des Matterhornes, der Schneepyramide des Weißdorns, hat er fast alle namhaften Gipfel bestiegen, viele von ihnen ganz allein, ohne Führer, namentlich in jüngeren Tagen. Aber die genaue Erforschung der Formation des Hochgebirges bis in seine einzelsten Theile, die allezeit mit polizeilicher Gewissenhaftigkeit fortgesetzte Beobachtung jedes Felsenhangs, jeder Schnee- oder Eiskante, jedes Gletscher¬ stromes in seiner Länge, Breite und Tiefe, erschöpft keineswegs das Verdienst seiner Wahrnehmungen. Weilenmann berichtet uns mit derselben Genauigkeit über jedes Moos, jede Flechte, jede Spinne, Mücke oder Raupe, mit beson¬ derer Begeisterung über jede Maus, jedes Wiesel, jeden Schmetterling und Specht, den er in höheren Regionen antrifft, als die Buchführung der Natur¬ forscher bisher das Vorkommen dieser Pflanzen oder Thiere eintrug. Diese Beobachtungen sind niemals im Tone der Pedanterie vorgetragen. Sie bieten die Staffage für das landschaftliche Bild und unterbrechen wohlthätig das Einerlei des Gemäldes, das uns immer wieder dieses einzige menschliche Wesen zeigt auf himmelhohen Firn, viele tausend Fuß über jeder menschlichen Wohnstütte, ringsumstarrt von ewigem Schnee und Eis, den Blick seubert über unerme߬ liche Fernen. Nicht selteu hat die Ausbeute, die Weilenmann aus diesen welt¬ fernen Höhen zu Thal brachte, das Staunen der Naturforscher erregt. Wie Grenzboten IV. 1877. !)9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/309>, abgerufen am 22.07.2024.